Mit Sanktionen gegen militärischen Massenmord?

0
1131
(Bild: Gerd Altmann, pixabay.com)

Alle wirtschaftlichen und politischen Sanktionen, Maßnahmen und Aktivitäten demokratischer Staaten in Europa, Amerika und weltweit erfolgen in der Erwartung einer hoffentlich erfolgreichen Wirkung auf Putin in Richtung einer Beendigung dieses Krieges. Aber seit über drei Wochen verstärken die russischen Streitkräfte nur ihre brutalen Angriffe auf Städte und Menschen mit vielen Toten und unermesslichen Zerstörungen. Dort wo sie keine Bodentruppen haben, führen sie einen mehr und mehr terroristischen Luft- und Raketenkrieg. Seit dem 13. März auch in der Nähe der polnischen Grenze.

Die Ukrainer sehen und hören, dass die NATO Staaten alles Erdenkliche veranlassen, um den Schutz des NATO Gebiets gegen russische Übergriffe zu gewährleisten. Sie hören das Bekenntnis vom EU Gipfel, dass die Ukraine wichtiger Teil der europäischen Familie ist und bleibt, aber keine Möglichkeit eines EU Beitritts artikuliert wird.

Dies führt zu zwei Feststellungen:

Die starken Sanktionen haben seit über 26 Tagen keine Wirkung auf eine Minderung der Brutalisierung des russischen Krieges gegen das Bruderland Ukraine.

Die umfangreiche, aber nach Art der Ausrüstung und Waffensystem begrenzte militärische Unterstützung europäischer Staaten und Amerikas sind nützlich. Aber bei absoluter Luftüberlegenheit Russlands kann damit trotz aller Aufopferung der Ukrainer die militärische Übermacht nicht gebrochen werden.

Die westlichen Staaten wiederholen seit Monaten für die Begrenzung ihres Handelns, dass für die Ukraine die Beistandsklausel des Washingtoner Vertrags  nicht wirksam werden kann. Und die Einschränkung ihres Handelns unter Anerkennung des Rechts der Ukraine auf Selbstverteidigung begründen sie damit, dass sie nicht „Kriegspartei“ werden wollen.

Beide Verhaltensweisen berufen sich auf die Verantwortungsethik. Eine von der NATO oder einzelnen Staaten inkaufgenommene militärische Auseinandersetzung mit Russland müsse, vermieden werden, da dann die eigenen Länder auch so leiden könnten wie die Ukraine.

Auch bei der Beurteilung der Sanktionen v.a. einem Importstopp der Gaslieferungen, steht nicht das Ziel im Zentrum, die Finanzierung des russischen Krieges zu untergraben, sondern ob die eigenen Gesellschaften die gewiss schmerzlichen Konsequenzen aushalten könnten.

Im Ergebnis führt dieses Verhalten dazu, dass die Zerstörung der Ukraine durch Russland fortschreitet, es sei denn der Opfermut der Ukrainer selbst kann dies begrenzen oder die Ukrainer müssen ihre Identität und Staatlichkeit erst durch den Krieg nach dem Krieg, d.h. im unaufhörlichen Aufstand gegen den Eroberer erstreiten.

Als Fazit bei vielen Talkrunden mit Regierungs- und Oppositionspolitikern in den Fernsehanstalten bleibt als Ergebnis, dass die Sanktionen nicht das Ende des Krieges herbeiführen, sondern bestenfalls eine Bestrafung für diesen Angriffskrieg darstellen, der ungehindert weiter geführt wird.

Und die Unterstützung mit Waffen und Gerät wird so lange keinen durchgreifenden Erfolg haben, sondern weiter viele gefallene Soldaten und getötete Zivilpersonen beklagen lassen, solange die Überlegenheit Russlands im ukrainischen Luftraum bestehen bleibt.

Die bisherigen Feststellungen zeigen, dass NATO- und EU-Staaten, die „in der Sache der Ukraine auftreten, diese nie so ernst nehmen wie ihre eigene“ (Clausewitz, Vom Kriege, S. 680).

Und die „eigene Sache“ besagt eben, dass der Nuklearstaat Russland so wirksam abschreckt, dass keiner für einen „Drittstaat“ eine militärische Auseinandersetzung mit dieser Macht riskieren will. Gegenabschreckung wird schon gar nicht mehr erwähnt. (Selensky: „Putin ist ein Mörder, aber kein Selbstmörder“).

Natürlich wird das Recht des Art 51 der VN Charta zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung für die Ukraine bestätigt. Aber die eigene Unterstützung beschränkt sich auf bestimmte Waffenlieferungen, Hilfslieferungen und Geld.

Wenn es keine direkte militärische Unterstützung gibt, dann fällt der Blick auf die schon unmittelbar nach Angriffsbeginn gegen Russland beschlossenen und angewendeten Sanktionen. Nach den ersten 26 Tagen ist sichtbar, dass dadurch das aggressive Handeln Russlands in der Ukraine (noch) nicht beeinflußt wird. Vielmehr scheinen die bisherigen Sanktionen Putins militärische Eskalation, also die Zerstörungen in der Ukraine, die Belagerung und die Besetzung von Schlüsselstädten, eher anzutreiben, zumal den Luftraum fast ungefährdet die russischen Streitkräfte beherrschen.

Am 14. März setzte die EU ihr viertes Sanktionspaket inkraft. Es verringert den wirtschaftlichen Manövrierraum Russlands und trifft weitere russische Persönlichkeiten. Aber die beiden Stränge: militärischer Kampf in und um die Ukraine durch die ukrainische Bevölkerung und die Sanktionen der westlichen Staaten können in ihrer Wirkung nicht so synchronisiert werden, dass das Putin das Morden jetzt stoppt.

Diese Entwicklung wirft schon jetzt die Frage auf, wie lange diesem mörderischen Treiben noch zugesehen wird, ohne dass NATO, EU, ja die Weltgemeinschaft bei so massiven Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Kraft und den Willen aufbringen, ihre völkerrechtlich mögliche Schutzverantwortung (responsibility to protect) für die Menschen der Ukraine praktisch mit eigenen, auch militärischen Mitteln auszuführen.

Wenn alle Maßnahmen dieser Art mit dem Hinweis, dass jede direkte Konfrontation mit dem Aggressor die Gefahr eines „Weltkrieges“ bedeute, mit großem Bedauern abgelehnt wird, dann entpuppt sich die so häufig apostrophierte Verantwortungsethik als Alibi, den Ukrainern nicht wirklich zu helfen. Erneut klingt es: bitter, aber unvermeidlich.

Kommentar: Generalleutnant a.D. Dr. Klaus Olshausen

Die bisherige Berichterstattung des Behörden Spiegel zum Ukraine-Krieg finden Sie hier.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein