Open Source und Open Data in der öffentlichen Verwaltung

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(Foto: bruzgodi, pixabay.com)

Bei der Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung sind vor allem die Unabhängigkeit von einzelnen Anbietern sowie der Umgang mit Daten Gegenstand der öffentlichen Debatte. Markus Pins, Geschäftsführer der ablida GmbH, hat mit einem der führenden Fachbuch-Autoren zur Digitalisierung in Deutschland, Jörg Schieb, die Trendthemen Open Source und Open Data näher beleuchtet.

Markus Pins: Herr Schieb, Sie zählen Open Source und Open Data zu den digitalen Trends für 2022. Warum?

Jörg Schieb: Wir haben in der jüngsten Vergangenheit ein sehr prominentes Beispiel, bei dem sich Open Source bewährt. Das ist die Corona-Warn-App. Dass sie derart gut akzeptiert ist – selbst von kritischen Geistern wie dem Chaos Computer Club und vielen anderen – ist der Tatsache zu verdanken, dass es sich hier um Open Source handelt. Dass man also reingucken kann in den Quellcode und auch wirklich feststellen kann, welche Daten erhoben werden. Es dient der Vertrauensbildung. Zu Open Data gibt es vermehrt die Forderung, dass Daten, die von öffentlicher Hand finanziert und erfasst werden – egal ob in der Kommune, im Land oder im Bund, bitte nicht in irgendwelchen Archiven verstauben, sondern dass sie der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden. Jedenfalls, sofern nicht irgendwas Konkretes dagegen spricht. Weil sich gezeigt hat, dass die Allgemeinheit dann auch ein bisschen experimentiert und vielleicht gute Ideen für Start-ups, gute Apps oder für eine Weiterverarbeitung der Daten hat.

Markus Pins: Es gibt den Slogan „public money, public code“. Was aus öffentlichen Mitteln bezahlt wird, sollte hinterher auch der Öffentlichkeit gehören. Wie sehen Sie das?

Jörg Schieb: Den Slogan „public money, public code“ finde ich nachvollziehbar. Natürlich nicht zu hundert Prozent. Es gibt sicher Projekte – sagen wir einmal im Bereich der inneren Sicherheit, wo mit öffentlichem Geld Daten erhoben werden, Projekte entwickelt werden, die nicht in die Allgemeinheit gehören. Aber sehr viele Projekte, die mit öffentlichem Geld finanziert werden, sollte man zur Verfügung stellen: aus Fairnessgründen, aus Transparenzgründen und am Ende auch, um Geld zu sparen. Denn wenn Projekte beispielsweise für eine Schule entwickelt werden oder eine Behörde, dann liegt die Vermutung doch sehr nahe, dass solch ein Projekt auch in anderen Behörden und anderen Schulen in vergleichbaren Situationen genutzt werden könnte. So kann man dann Projekte weiterentwickeln, besser machen, größer machen und am Ende sogar Geld sparen. Also ich halte sehr viel von diesem Konzept „public money, public code“.

Markus Pins: Neben der politischen Bedeutung von Open Source und Open Data gibt es auch die Frage, ob die Softwarequalität von Open Source Projekten mit der Softwarequalität und Entwicklungsgeschwindigkeit proprietärer Software mithalten kann. Wie gut ist Open Source?

Jörg Schieb: Lange Zeit hat es geheißen, Open Source wäre generell besser, sicherer als geschlossene Software. Mit der Begründung, dass in Open Source jeder reingucken kann. Und entdeckt man dann Sicherheitslecks, werden die schnell gestopft. Das ist aber ein Märchen, das wissen wir. Es gibt als jüngstes Beispiel log4j. Das ist  eine Software-Bibliothek, die Open Source ist und in sehr vielen Projekten integriert ist. Aber keiner kümmert sich darum. Das heißt also, Open Source ist nicht automatisch besser als Closed Source, umgekehrt selbstverständlich auch nicht.

Markus Pins: Wie sollte man dann mit dem Thema Softwarequalität umgehen?

Jörg Schieb: Viel wichtiger ist die Frage, wie dokumentiere ich eigentlich, welche Projekte ich verwende und verarbeite. Wie sorge ich dafür, dass mich Updates erreichen und wirklich auch in meinem Projekt integriert werden? Dadurch, dass so viele Module heutzutage benutzt werden, werden Software-Projekte unübersichtlich. Viele Beispiele haben in der jüngsten Vergangenheit gezeigt, wie gefährlich das für uns alle sein kann. Datendiebstahl, digitale Erpressung, Ransomware als Beispiel, hat nicht viel mit der Frage zu tun, ob Open Source oder nicht Open Source. Wenn Sicherheitslücken entdeckt und ausgenutzt werden, dann spielt es am Ende keine Rolle, ob das Open Source Software oder Closed Source Software betrifft.

Markus Pins: Auf welcher Ebene sollte Open Source zuerst zum Einsatz kommen? Die Erfahrungen mit Open Source im Servermarkt sind offensichtlich sehr gut, als Betriebssystem an Arbeitsplätzen nicht immer.

Jörg Schieb: Ein Internet ohne Open Source ist praktisch nicht vorstellbar.  Das Server-Betriebssystem Linux, Datenbanken wie MySQL und viele, viele wichtige Werkzeuge stehen kostenlos zur Verfügung. Weil sie eben Open Source sind. Weil aber auch Firmen sehr viel Geld in Open Source stecken. Es ist ja nicht so, dass das alles kostenlos entsteht. Das Internet ist ein schönes Beispiel dafür, dass es sehr gut funktionieren kann mit Open Source.

Markus Pins: Und auf dem Arbeitsplatz-Rechner?

Jörg Schieb: Im Bereich der Desktop-Anwendungen und Desktop-Betriebssysteme hält sich diese Open Source Geschichte eher so im unteren Bereich, denn die Usability lässt oft Wünsche übrig. Das stört Administratoren natürlich nicht – die haben kein Interesse an Usability. Aber Anwenderinnen und Anwender haben oft hohe Ansprüche, was die Optik und einfache Handhabung anbelangt. Und da hinken Open-Source-Projekte doch oft deutlich hinterher. Vielleicht, weil sich nicht viele Menschen die Mühe machen, ihre Arbeitszeit für grafische Benutzeroberflächen zu spenden. Aber das wäre notwendig, um Open Source auch so attraktiv zu machen, dass sie im breiten Markt von vielen Menschen eingesetzt wird. Das könnte sich natürlich ändern. Das müsste man wollen und dann auch die nötige Energie aufbringen.

Markus Pins: Sie reden von Open Source und Open Data in einem Atemzug. Wo liegt die Verbindung zwischen diesen beiden Themen?

Jörg Schieb: Es ist eine andere neue, nicht kommerzielle, jedenfalls nicht in erster Linie kommerzielle Art und Weise, mit wertvollen Ressourcen umzugehen, also der Ressource Programm- oder Quell-Code auf der einen Seite und der Ressource Daten auf der anderen Seite.

Markus Pins: Ist Open Data wichtig, damit Politik und Verwaltung transparent sind? Oder damit eine neue wirtschaftliche Ressource nutzbar gemacht wird? 

Jörg Schieb: Natürlich kann Open Data helfen, politische Entscheidungen, Verwaltungsakte und Verwaltung insgesamt transparenter zu machen. Transparenz ist immer wichtig, damit man etwas begründen, analysieren und nachvollziehen kann. Aber Daten helfen natürlich auch, sich gegen die ganz großen durchzusetzen. Denn wir wollen eins nicht vergessen: Die großen Konzerne Google, Facebook, insbesondere aber auch Amazon, haben unfassbare Datenmengen und sind unfassbar reich damit geworden. Warum? Weil diese Daten alles andere als Open Data sind, sie sind teilweise illegitim eingesammelt und zusammengefügt worden. Die Daten werden nur zum Zwecke des Wachstums des jeweiligen Unternehmens genutzt. Wir wissen, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind: Abhängigkeiten, steuerliche Fragen und Probleme, Verdrängungspolitik der großen Konzerne, Start-ups haben in vielen Bereichen keine Chance etc. Ganz zu schweigen davon, dass wir transparent sind, aber nicht die Politiker sind transparent, sondern wir sind transparent als Bürgerin und Bürger. Und als Konsumenten. Das verstößt teilweise gegen geltendes Recht.

Markus Pins: Welche Daten sollten als erste öffentlich verfügbar gemacht werden?

Jörg Schieb: Fangen wir doch mal an mit all den Daten, die die Behörden in den Kommunen, in den Städten und Gemeinden und in den Ländern erheben. Warum zum Beispiel wissen wir nicht, wie viele Ransomware Angriffe es in einem Bundesland gegeben hat? Warum wird das nicht erfasst oder, wenn es erfasst wird, warum sind diese Daten nicht verfügbar? Ich finde alles, was mit gutem Recht öffentlich verfügbar gemacht werden kann, sollte auch verfügbar gemacht werden. Das gilt sicher für Daten die das Klima und den Verkehr betreffen. Damit man kluge intelligente Anwendungen entwickeln kann, um Verkehr zu optimieren, um den Klimaschutz voranzutreiben, um die Energiewende voranzutreiben.

Markus Pins: In letzter Zeit wird die politische Forderung nach digitaler Souveränität lauter. Wie lässt sie sich erreichen?

Jörg Schieb: Von digitaler Souveränität sind wir meilenweit entfernt. In der EU gibt es ein paar Entwicklungen, die in die richtige Richtung gehen: Die Europäischen Gerichte, der europäischer Gerichtshof und auch das Verfassungsgericht in Deutschland achten darauf, dass die Bürgerrechte gewahrt bleiben. Der Digital Services Act und der Digital Markets Act beunruhigen die großen amerikanischen Konzerne durchaus.

Markus Pins: Wenn Sie einen Wunsch an die Politik zum Thema Open Source und Open Data frei hätten, was wäre Ihr größter Wunsch?

Jörg Schieb: Aktive, bewusste und gezielte Unterstützung der Konzepte Open Source und Open Data, um die Verwaltung zu entlasten, um vor allem Schule und Ausbildung zu entlasten. Da wird zwar auch schon viel Open Source eingesetzt, aber sehr, sehr unterschiedlich. Da sollte man auch finanziell unterstützen, am besten europaweit, damit wir europaweit interessante Lösungen entwickeln.

Es gibt sehr viel Kreativität bei uns in Europa – gerade auch, weil wir Datenschutz mit in unserer DNA haben. Das bedeutet ja nicht, dass niemand daran verdient: Auch wenn etwas Open Source oder Open Data ist, kann man ja noch Spezial-Lösungen entwickeln und auch Betreuung anbieten und so weiterhin damit Geld verdienen. Es ist ja nicht so, dass man da keinen Markt hätte. Aber es wäre eben transparent, es wäre sehr, sehr flexibel und es spart am Ende dem Steuerzahler eine Menge Geld.

Markus Pins: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörg Schieb zählt zu den führenden Journalisten und Fachbuch-Autoren zur Digitalisierung in Deutschland. Er ist Digitalisierungsexperte für zahlreiche Medien und ordnet Digitalisierungstrends gesellschaftspolitisch ein: https://www.schieb.de/ Die Fragen stellte Markus Pins. Sein Unternehmen betreibt eine digitale Organisations-Plattform u.a. zur Krisenbewältigung in Kommunen: https://schedura.de/

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