Ist Künstliche Intelligenz (KI) Schlauer als der Mensch? Wird uns in Zukunft eine Superintelligenz regieren, die alles weiß und alles richtig macht, während der Mensch, getrieben von Fehlern und ausbeuterischen und dämonischen Neigungen, die Welt zugrunde richtet? Oder wird die Maschine uns zumindest von unangenehmen und lästigen Routineentscheidungen entlasten, auch wenn der Algorithmus bestimmt, was wir als die Welt da draußen wahrnehmen. Werden wir in Verwaltungen „algorithmischen Dienst nach Vorschrift“ machen, auch wenn wir nicht nachvollziehen können, wie die Anweisungen aus der „Black Box“ zustande gekommen sind?
Bestimmte menschliche Fähigkeiten werden in Zukunft nicht mehr benötigt, weil sie die Maschine übernimmt und sie automatisch, folgerichtig und fehlerfrei ausführt. Befürworter eines menschenzentrierten Ansatzes monieren, dass sie das mehr oder weniger schematisch tut und regel- und erfahrungsbasiert lediglich aufgrund von quantitativen Analysen Übereinstimmungen erkennt oder „das nächste Wort voraussagt“. Dagegen fehle es ihr an Weltwissen und gesundem Menschenverstand sowie an kontextuellem Branchenwissen und vor allem an menschlichen und demokratischen Werten. Sie könne nur auf der Basis des vorhandenen oder eingegeben Wissens „denken“, was teilweise auch zu Diskriminierungen und Halluzinationen führe.
Vertreter der Informatik verweisen darauf, dass die Maschine zunehmend auch Emotionen „verstehe“, auch wenn sie selbst menschliche Gefühle oder auch Konflikte nicht erlebt habe. Auch der Mensch selbst versuche beim Technologie-Design und der Nutzung immer wieder, den Kontakt zu vermenschlichen (Anthropomorphismus). Dennoch bleibt es dabei, dass Denken, Fühlen und Erleben wie im menschlichen Körper (Embodiment) nicht stattfinden kann, auch haptische Erfahrung, soziale Kontakte und bereichsüberschreitende ganzheitliche Perspektiven sind allenfalls eingeschränkt bzw. als Simulation möglich.
Beim Programmieren und dem Anlernen von großen Sprachmodellen, wie ChatGPT (Prompt Engineering) wird empfohlen, eindeutige Anweisungen zu geben sowie Zielgruppe, Perspektive und Tonalität klar zu beschreiben und umgekehrt vage, widersprüchliche, paradoxe oder unklare Aufträge zu vermeiden. Diese „Führung“ des KI-Assistenten erinnert an eine überholtes „command and control“-Verhältnis. Auch das anschließende „reinforcement learning“ verbleibt im vorgegebenen System.
Andererseits weist die moderne Computerwissenschaft darauf hin, die Vorstellung sei veraltet, Computer seien kalte, mechanistische Systeme, die eine strikt deduktive Logik anwendeten. Moderne Computer arbeiteten auch an Problemen, bei denen es keine klaren Regeln gebe, ein Teil der benötigten Informationen fehle oder eine richtige Antwort nicht möglich sei. Sie lernten zunehmend mit dem Zufall umzugehen, mit Annäherungswerten zu arbeiten oder gar Experimente und Wagnisse einzugehen.
Werden die Maschinen nun auch spontan, intuitiv sowie kreativ und innovativ? Können sie “um die Ecke denken“, Distanz zu ihrer eigenen Entscheidung gewinnen, Selbstreflektion üben, von der Regel und dem einprogrammierten „Herdentrieb“ abweichen und lebenstaugliche Individualität entwickeln sowie „höchstpersönliche Wertentscheidungen“ treffen, auf die man sich guten Gewissens verlassen kann? Können Sie Ambition, Aspiration und Agency entwickeln?
Über all dies kann man lange streiten oder auch mutmaßen. Sicher wird die technische Entwicklung neue Ansätze kognitiver und voluntativer Art hervorbringen, vielleicht auch versuchen, Werte- und Unrechtsbewusstsein sowie Achtung der Menschenwürde, Treu und Glauben im Verkehr sowie so etwas wie Charakter und Verantwortung zu trainieren. Wir werden sehen.
Festhalten lässt sich indes, dass die Künstliche Intelligenz nicht nur Auslöser objektiver Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelt mit sich bringt, sondern auch Anlass gibt, spezifisch menschliche Kompetenzen und Fähigkeiten, die die Maschine (noch) nicht beherrscht, auszubilden und weiterzuentwickeln, um dauerhaft besser zu sein als KI. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Christopher Pissarides rät sogar von einem MINT-Studium ab und empfiehlt Ausbildungen, in denen Kreativität und soziale Geschicklichkeit wichtiger sind.
Was kann der Mensch noch oder auf absehbare Zeit besser als die Maschine? Was wird sie nie können? Dazu gehören nach derzeitigem Stand vor allem Kreativität und Innovationsfähigkeit, soweit diese über ein Denken im System hinausgeht, um neue unkonventionelle Wege zu finden. Wie geht Innovation dieser Art? Und wie geht sie in der Verwaltung? Üblicherweise wird bei dieser Frage sofort darauf verwiesen, dass Regelorientierung, Hierarchien, Silodenken und Dienstweg ein innovationsförderliches Klima verhindern. In sog. Innovationslaboren wird dann außerhalb von Regeln und Routine versucht, Start-up-Denken zu ermöglichen und mit unkonventioneller Raumgestaltung, Teamarbeit und agilen Prozessen Innovationen zu befördern.
Diese äußeren Rahmenbedingungen, kombiniert mit Experimentierfreude und Fehlerfreundlichkeit, sind wichtig, aber nicht ausreichend. Andererseits kann man Innovationen nicht befehlen oder einfach nur abwarten, bis einen „die Muse küsst“. Zwischen diesen Extremen gibt es indes einige Methoden, die aus der Verhaltenspsychologie und der Hirnforschung stammen und sozusagen „psychologische Rutschbahnen“ (Priming) für „Heureka-Effekte“ bilden.
Es geht konkret darum, glückliche Zufälle (serendipity) für neue Ideen zu schaffen. Dazu gehören etwa die Erweiterung der Möglichkeitsräume, die Verknüpfung von bisher Fremden und neue herausfordernde „Begegnungen“, die Einnahme neuer Perspektiven, der Umgang mit Paradoxien und Polaritäten oder die Nutzung spielerischer Ansätze.
Für die erfolgreiche Umsetzung der Innovation ist eine konsequente Orientierung an der Lebenslage derjenigen, für die die Innovation einen Nutzen darstellt, erforderlich. Dazu gehört die Frage nach der Kontext- und Anschlussfähigkeit und die Integration in das Lebens- und Arbeitsumfeld. Wer nutzerorientierte Innovation schaffen will, muss also deren Situation beobachten und verstehen oder sie nach Möglichkeit in den Prozess einbeziehen.
Das Seminar informiert nicht nur über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen, sondern bietet auch Gelegenheit zum Experimentieren und Üben, etwa wenn theoretische Überlegungen immer wieder durch eigene Erlebnisse der Teilnehmer aufgelockert werden, die das Selbstvertrauen und den Glauben an die eigene Kreativität stärken und Mut machen zum Ausprobieren auch in der eigenen Verwaltung.
Auf diese Weise werden Fenster aufgestoßen und Türen geöffnet, um neue Wege zu entdecken und Voraussetzungen für Zukunftsfähigkeit zu schaffen. In einer Welt, die nicht planbar oder vorhersehbar ist und sich ständig verändert, dient dies sowohl der persönlichen und beruflichen Entwicklung einzelner Personen als auch der Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Organisation.
Ich freue mich auf die Teilnahme von Menschen, die offen und neugierig sind, bereit sind zu lernen und Neues zu wagen, nicht zuletzt auch um im Vergleich zur Künstlichen Intelligenz „eine Idee voraus“ zu sein.
Das Seminar findet am 24./25. September 2024 in Fulda statt.
Der Autor des Gastbeitrags ist Prof. Dr. Hermann Hill, Speyer.