Starkregen tritt immer häufiger auf – und sorgt dafür, dass zu den rund fünf Millionen Kubikmetern Schmutzwasser in den Kanalisationen jährlich rund drei Milliarden Kubikmeter Regen hinzukommen. Eine Belastung für die Systeme und eine Gefahr für die Umwelt.
Wie Kommunen damit umgehen und gleichzeitig der neuen EU-Richtlinie über kommunales Abwasser entsprechen können, zeigt das Forschungsprojekt RIWWER des Technologieprogramms Edge Datenwirtschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Die Anforderungen an Kommunen, ihre Abwassersysteme auf Starkregenereignisse vorzubereiten, werden in den kommenden Jahren massiv steigen. Das liegt zum einen daran, dass Extremwetterlagen durch den Klimawandel zunehmen. Andererseits sorgen aber auch neue gesetzliche Vorgaben wie die Kommunalabwasserrichtlinie des Europäischen Parlamentes dafür, dass sich Kommunen um ein intelligentes Abwassermanagement kümmern müssen. Dabei geht es nicht nur darum, die Kanalbewirtschaftung zu verbessern, sondern – laut Richtlinie der EU – vor allem darum, „die menschliche Gesundheit und die Umwelt besser vor schädlichen Wassereinleitungen zu schützen.“
Technologie im Praxistest
Abwassermanagement inklusive Ableitung und Reinigung ist Sache der Kommunen und Städte, meist erfolgt sie durch kommunale Eigenbetriebe. Deshalb setzt die EU-Richtlinie über kommunales Abwasser hier an. Wörtlich heißt es dort: „Lösungen zur Verringerung dieser Verschmutzungsquelle sollten auf lokaler Ebene unter Berücksichtigungder spezifischen örtlichen Gegebenheiten ermittelt werden. Sie sollten auf einer integrierten quantitativen und qualitativen Wasserbewirtschaftungin städtischenGebieten beruhen. […] In diesen Plänen sollten Maßnahmen festgelegt werden, die darauf abzielen, die Verschmutzung durch Regenüberläufe auf höchstens zwei Prozent der jährlich gesammelten kommunalen Abwasserlast zu begrenzen.“
Um diesen Vorgaben zu entsprechen und ihre Infrastrukturen resilient aufzustellen, können Kommunen auf das Potenzial von digitalen Technologien setzen. Wie das gelingen kann, zeigt das Forschungsprojekt RIWWER (Reduction of the Impact of untreated WasteWater on the Environment in case of torrential Rain) aus dem Technologieprogramm „Edge Datenwirtschaft“ des BMWK. Ein Team aus Forschung und Wissenschaft, lokal und global agierenden Unternehmen sowie weiteren öffentlichen Partnern arbeitet im Rahmen des Vorhabens an einer digitalen Lösung für Abwassersysteme. Indem an bestimmten Stellen in Kanalsystemen und Regenbecken Sensoren installiert werden, können wichtige Daten zum jeweiligen System aufgenommen werden. So lässt sich in Echtzeit ein Überblick über Wasserstände, beispielsweise in Kanälen und Überlaufbecken, gewinnen. Außerdem werden die gesammelten Informationen auch als Trainingsdaten für KI-Modelle genutzt, die in Kombination mit Wetterdaten präzise Prognosen über die Wasserstände im Verlauf von Wetterereignissen liefern und eine Optimierung der Kanalnetzsteuerung ermöglichen.
Neben den Sensoren können zudem – je nach Bedarf – auch Antriebselemente installiert werden, die auf Basis der Vorhersagen der KI-Modelle die Möglichkeit eröffnen, Schleusen und Schieber intelligent zu steuern und damit den Weg bereiten für ein Abwassersystem, in dem überschüssiges Wasser in noch nicht ausgelastete Bereiche geleitet werden kann. Das Forschungsteam von RIWWER nutzt hier die Synergie aus Edge- und Cloud-Technologie, um ein leistungsfähiges System zu kreieren. Die Daten werden an den Sensoren selbst, also „on the edge“, erfasst und verarbeitet, Sensorgeräte können aber auch dazu genutzt werden, um das Abwassersystem dezentral zu steuern. Dies ermöglicht eine schnelle Reaktion auf lokale Ereignisse, da die Daten direkt vor Ort verarbeitet werden.Auf der Cloud-Ebene werden die Systemprozesse und Daten der Sensoren zentral erfasst, analysiert und langfristig ausgewertet. Dadurch können Trends und Muster erkannt werden, die punktuell nicht sichtbar sind. Außerdem kann die Cloud-Ebene durch umfangreichere Rechenkapazitäten komplexere Analysen und Vorhersagen durchführen und liefert Trainingsdaten und Algorithmen, die die Edge-Ebene nutzen kann, um ihre lokale Steuerung zu optimieren. Evaluiert und erprobt wird die Technologie von RIWWER aktuell in Kooperation mit den Wasserbetrieben Duisburg im Kanalnetz von Duisburg-Vierlinden. Im Pilotprojekt werden Sensoren im Kanalnetz eingebaut und KI-Modelle für den Bereich Vierlinden simuliert, die dann mit Daten aus der Vergangenheit verglichen werden.
Am Projektende sollen die Partner einen Modellansatz erhalten, wie die Entwässerung in dem Gebiet effektiver gesteuert werden kann. Eine wichtige Erkenntnis liegt schon jetzt vor: Um eine KI-gestützte Steuerung der Entwässerung zu ermöglichen, ist ein hoher Digitalisierungsgrad erforderlich.
Voraussetzung: Digitalisierung
Eine große Herausforderung ist, die sehr detaillierten und auf die genaue Lage der Leitungen in Relation zu Straßen und zur Bebauung vorliegenden Kanalpläne in vereinfachte, logische Pläne umzusetzen. Diese müssen die Funktionalitäten so abstrahiert zeigen, dass sie die Möglichkeit bieten, genau zu bewerten, wo Messungen und wo Steuerungen sinnvoll und möglich sind. Danach müssen diese abgestimmten Möglichkeiten wieder in die Bebauungspläne zurückübersetzt werden, um die Einbaumöglichkeiten zu checken. Dieser Prozess bedarf vieler Experten von allen Seiten – Messtechnik, Steuerungstechnik auf der einen und Stadt sowie Kanalnetzbetreiber auf der anderen Seite. Dieser Prozess kann nicht vollständig automatisiert werden, jedoch kann eine weitere Digitalisierung hier sehr gut unterstützen.
Handlungsempfehlungen dazu, wie dies gelingen kann, erarbeitet das Projektteam von RIWWER gemeinsam mit anderen im Rahmen der VDI-Expertenempfehlung 4.900 „Digitalisierung von Abwassersystemen“. Diese soll mit Ende des Projektes im Herbst 2025 veröffentlicht werden.
Der Autor des Textes ist Felix Grimmeisen. Er ist Diplom-Hydrogeologe (TU) und seit zehn Jahren im Forschungs- und Produktmanagement für Umweltmesstechnik tätig. Seit 2023 ist er als Forschungsmanager bei Okeanos tätig und für die Niederlassung in München zuständig.