Gezielte Einflussnahmeversuche, Desinformation und Propaganda: Der Druck auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung steigt. Dies spiegeln auch die Ergebnisse des Thüringer Verfassungsschutzberichts 2023 wider. Die extremistischen Akteure machen sich speziell die überregionalen und internationalen Entwicklungen, wie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den Nahostkonflikt, zunutze.
Einen weiterhin großen Anteil des Extremismus in Thüringen machte im vergangenen Jahr der Rechtsextremismus aus. Rund 2.880 Personen können laut Bericht der rechtsextremistischen Szene Thüringen zugerechnet werden. Im Spektrum der rechtsextremistischen Parteien dominiere die AfD. So sei ihre Mitgliederzahl von 1.300 im Jahr 2022 auf rund 1.650 im Jahr 2023 gestiegen. Das Ziel des – vom Thüringer Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuften – AfD-Landesverbands, sei ein „ethnisch-homogenes Staatsvolk“. In diesem Zuge vertrete die Partei „seit Jahren Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip richten“.
Als besorgniserregend bezeichnet der Verfassungsschutzbericht den nationalsozialistischen Sprachgebrauch innerhalb der Partei. Dieser trage zur Verharmlosung der NS-Zeit bei. Dem Verfassungsschutz zufolge seien in Thüringen abseits der politischen Parteien eine Vielzahl von aktionistischen Gruppen wie „Kontrakultur Erfurt“ und „Patrioten Ostthüringen“ aktiv. Innerhalb dieser Szene sei in den vergangenen Jahren eine stetige Professionalisierung zu beobachten. Als Beispiele nennt der Verfassungsschutz hier sowohl rechtsextremistische Musik als auch Kampfsportveranstaltungen.
Die Anzahl der in Thüringen erfassten rechtsextremen Straftaten hat 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Der Verfassungsschutz verzeichnete insgesamt 1.835 Delikte im rechtsextremen Spektrum, was einen deutlichen Anstieg gegenüber 2022 (1.555) darstellt. Mit 1.048 Fällen machen Propagandadelikte den größten Anteil dieser Straftaten aus. Dazu zählen unter anderem die Verwendung verfassungswidriger Symbole und Volksverhetzung. Auch politisch rechts motivierte Gewalttaten liegen mit 93 Fällen auf einem hohen Niveau. Sie spiegeln laut Verfassungsschutz die generell hohe Gewaltbereitschaft in der rechtsextremistischen Szene wider.
Versammlungen und Sachbeschädigung
Die Anzahl der politisch motivierten Straftaten aus dem linken Spektrum liegt nach einem deutlichen Rückgang in 2022 (353 Fälle) mit 444 erfassten Delikten nun wieder auf einem vergleichbaren Niveau wie 2021 (443 Fälle). Während die Zahl der Gewalttaten mit 24 Fällen nahezu unverändert im Vergleich zu 2022 (23 Fälle) blieb, gab es vor allem bei Sachbeschädigungen (von 240 auf 303) und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz (von 12 auf 24) einen deutlichen Anstieg. Die Thüringer Autonomen stehen beispielsweise im Verdacht, an Übergriffen auf Personen anlässlich des von ungarischen Rechtsextremisten im Februar in Budapest veranstalteten „Tages der Ehre“ beteiligt gewesen zu sein.
Die Mitglieder der gewaltorientierten Linksextremisten erhöhte sich im vergangenen Jahr leicht auf rund 145. Laut Verfassungsschutz bestünden innerhalb dieser Thüringer Szene personenbezogene Kontakte zu bundesweiten Szenehochburgen in Leipzig, Berlin und Hamburg. Außerdem belegte die Mobilisierung für und die Teilnahme an überregionalen Veranstaltungen, Protesten und Vernetzungsbemühungen eine enge Einbindung und bundesweite Verflechtung.
Gefahr durch Islamismus
Laut dem Verfassungsschutz haben sich islamistische Gruppierungen „in Thüringen bislang kaum strukturell etabliert“. Stattdessen agierten lose Personennetzwerke oder Einzelpersonen, die islamistische Aktivitäten entfalten. Das Potenzial der losen Anhängerschaft belaufe sich auf circa 200 Menschen. Zwei Drittel davon seien dem Salafismus zuzurechnen. Einzelne Moscheevereine in Thüringen könnten als islamistisch beeinflusst bewertet werden. Seit dem Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober beeinflusse der Konflikt die Sicherheitslage deutlich. Islamistische Kreise betrieben seither verstärkt antisemitisch geprägte, über soziale Medien breit gestreute Agitation und Desinformation. Der offen kommunizierte Antisemitismus und Israel-Hass eröffne zudem Schnittstellen zu anderen Extremismusphänomenen.
Der Verfassungsschutz ist gefordert
Gezielte Einflussversuche und Destabilisierungsmaßnahmen durch ausländische Akteure nehmen laut dem Thüringer Verfassungsschutz angesichts globaler Verschiebungen, komplexer geopolitischer Entwicklungen und der raschen Digitalisierung des Informationsraums deutlich zu. Der Wettbewerb um die Deutungshoheit aktueller Ereignisse durch gezielte Desinformation und Propaganda nehme dabei einen zunehmend breiten Raum ein und richte sich vor allem an Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und verschiedenen Diaspora-Gruppen. Insbesondere seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine seien solche Kampagnen verstärkt zu beobachten. Hinzu kämen wachsende Bedrohungen durch von fremden Nachrichtendiensten gesteuerte Cyberangriffe auf staatliche Institutionen, politische Parteien, die Kritische Infrastruktur, Unternehmen sowie Einrichtungen in Wissenschaft und Forschung. Der Verfassungsschutz Thüringen sehe sich daher verstärkt gefordert, „sowohl auf konkrete Vorfälle zu reagieren als auch potenziell betroffene Stellen präventiv zu sensibilisieren“.