Zunehmende Gewalt, fehlende Wertschätzung, knappe Kassen: Der Kommunalpolitik geht der Nachwuchs aus. Immer weniger Kandidaten lassen sich für Bürgermeisterwahlen aufstellen. Wie begegnen politische Stiftungen dem Problem?
Im Schnitt sind es mehr als 20 Stunden pro Woche, die Kommunalpolitiker für ihr Ehrenamt aufwenden. Die Vereinbarkeit mit Familie, Privatleben und Hauptberuf ist in der Regel schwierig, Gewalterfahrungen nehmen zu, die Wertschätzung ab. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie, die die Körber-Stiftung im vergangenen Jahr unter mehr als 1.500 ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern durchgeführt hat. Darin zeigt sich: Für kommunalpolitisches Engagement braucht es nicht nur Mut und Gestaltungswillen, sondern auch eine Portion Idealismus.
Genau das bringen augenscheinlich immer weniger Bürgerinnen und Bürger auf: So wird es schwieriger, geeignete Nachwuchskräfte für die Besetzung von kommunalpolitischen Ämtern zu finden. Dementsprechend befürchten ganze 71 Prozent der ehrenamtlichen Bürgermeister, dass sich in ihrer Gemeinde künftig nicht genügend geeignete Nachfolgerinnen und Nachfolger für das höchste Kommunalamt finden. Schon jetzt gibt es vereinzelt Gemeinden, in denen der Posten des Bürgermeisters unbesetzt bleibt und stattdessen ein Mitglied des Gemeinderats die Geschäfte führt.
Gewalttaten sind nur Einzelfälle
Ein Grund für die wachsende Nachwuchsproblematik dürfte die schlechte finanzielle Ausstattung vieler Kommunen sein und der damit verbundene eingeschränkte Handlungsspielraum. Doch auch die Zunahme von Übergriffen auf Amtsträger beschädigt das Bürgermeister-Image.
Für Dr. Richard Nägler, den Leiter der bei der Hermann-Ehlers-Stiftung angesiedelten Hermann Ehlers Akademie, sind die vielerorts registrierten, gewalttätige Übergriffe auf Kommunalpolitiker nicht die primäre Ursache für den Nachwuchsmangel. „Das sind nur Einzelfälle“, sagt er. „Deshalb schrecken die Gewalterfahrungen nicht ab.“ Auch die schlechte finanzielle Ausstattung sieht er nicht als Ursache. „Die Menschen lassen sich durch die kleinen Dinge antreiben. Das kann die Gestaltung eines Spielplatzes sein oder die Vernetzung innerhalb der Gemeinde.“
Kleine Bausteine „ins Schaufenster stellen“
Aus seiner Sicht ist der Grund für den Unwillen, für kommunalpolitische Ämter zu kandidieren, die rückwärtsgewandte Agenda vieler Parteien. Diese seien „in den 80er und 90er Jahren stehen geblieben“ und würden es nicht mehr schaffen, dem „Nachwuchs das Ehrenamt emotional und inhaltlich strategisch zu kommunizieren“. Das politische Engagement sei zu verbindlich, weil es beispielsweise Parteimitgliedschaften voraussetze. Stattdessen müssten die Parteien kleine Bausteine „in ihr Schaufenster stellen“. Wichtig sei es, die Einwohner einer Gemeinde zielgruppenspezifisch und nicht nach dem „Gießkannenprinzip“ anzusprechen, fügt er hinzu.
Reine Politikverdrossenheit reiche als Grund für den Nachwuchsmangel nicht aus, sagt Dr. Dietrich Herrmann vom Referat Staat, Verwaltung und Parteien der Heinrich-Böll-Stiftung. „Selbst, wenn über 90 Prozent der Wahlbevölkerung von der Politik verdrossen wären, was definitiv nicht der Fall ist, würden zehn Prozent als mögliche Kandidatinnen und Kandidaten völlig ausreichen“, führt Herrmann aus. Aus seiner Sicht sei ein Faktor die fehlende Würdigung des Ehrenamts. Anders als Richard Nägler von der Hermann-Ehlers-Stiftung sind für ihn die zunehmende Zahl von Übergriffen und Attacken auf Kommunalpolitiker mitursächlich für das Problem. „Das Problem ist nicht, dass Kommunalpolitiker von einer kleinen Minderheit von Menschen nicht nur in Sache kritisiert werden – das können Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen ertragen – sondern dass sie persönlich angegangen und attackiert werden und dem schutzlos ausgesetzt sind“, so Herrmann. Es fehle ein „sichtbarer und spürbarer prinzipieller Rückhalt durch die Mehrheit“.
Auch die prekäre Lage bei den Kommunalfinanzen und die daraus resultierenden geringen Handlungsspielräume hätten durchaus einen Effekt. Hinzu komme: Viele Ausgaben von Gemeinden seien durch gesetzliche Regelungen, Verordnungen und Erlasse vorgegeben. „Hier bedürfte es einer sehr grundsätzlichen Reform der Kommunalfinanzen“, fordert der Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung. Nicht zuletzt seien auch die Erwartungen an kommunale Amtsträgerinnen und Amtsträger hochgesteckt. Viele Menschen wünschten sich die Vier-Tage-Woche, der Bürgermeister solle aber sieben Tage rund um die Uhr für die Bürgerschaft ansprechbar sein. Deshalb müsse sich jeder und jede die Frage stellen: Ist der Umgang mit kommunalen Amtsträgern fair und realistisch?
Kommunalpolitik wird oft übersehen
Elke Erlecke von der der Kommunal-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung hält die fehlende Würdigung von kommunalpolitischem Engagement für einen Teil des Problems. Kommunalpolitik werde oft übersehen, sagt sie. „Kommunalwahlen werden nie den Rang von Landtags- oder Bundestagswahlen in der öffentlichen Wahrnehmung erhalten“, sagt Erlecke und ergänzt: „Weder Bürgermeister noch Gemeindevertreter können momentan die Politik nach eigenen Vorstellungen gestalten. Wer keine Chance hat, sein Lieblingsprojekt umzusetzen oder Pläne aus dem Kommunalwahlkampf zu realisieren, überlegt sich, ob er seinen Namen und seine Zeit investiert.“
Ein Lösungsansatz: Politikverdrossenheit lasse sich am besten mit positiven Gegenentwürfen beheben. So stünden nicht ohne Grund Nachwuchsprogramme in allen Parteien prominente Bürgermeister und Gemeinderäte in den Vordergrund. Junge Menschen bräuchten Vorbilder, sagt Erler. Die Kommunal-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung biete daher vielfältige Schulungsangebote für politischen Nachwuchs an: Bürgermeisterseminare, Mentoring-Programme für Frauen, Planspiele sollen Schülerinnen und Schüler für eine politische Laufbahn sensibilisieren.