Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat sich in einem Beschluss mit dem Thema Wissensvorsprünge zwischen Bietern Beschäftigt (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 07.05.2025, 1 Verg 1/25).
- Öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 GWB sind nur die Gebietskörperschaften – nicht die für sie handelnden Behörden.
- Wissensvorsprünge aus früheren Projekten begründen grundsätzlich keinen auszugleichenden Wettbewerbsvorteil
- Wettbewerbsvorteile werden nur dann vergaberechtsrelevant, wenn sie auf Verhalten des Auftraggebers zurückgehen.
- Wird ausschreibungsrelevantes Wissen nur einem Bieter zugänglich gemacht, liegt ein vergaberechtswidriger Vorteil vor.
Das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz (LUA) hat im Auftrag einer saarländischen Gebietskörperschaft (AG) die Erstellung von Vermessungsplänen sowie den Modellaufbau und die Berechnung von Hochwassergefahrenkarten im offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Antragstellerin (ASt) sowie die Beigeladene (Beigl.) waren an diesem Verfahren als Bieter beteiligt. Als Wertungskriterien wurden „Preis“ (Anteil 70 Prozent) sowie „Erfahrung des eingesetzten Personals“ (Anteil 30 Prozent) angegeben. Die Beigl. kalkulierte ihr Angebot mit einem erheblichen Preisnachlass. Auf Nachfrage der LUA verwies die Beigl. hinsichtlich des Preisnachlasses auf Synergien aus einem parallel laufenden Forschungsprojekt mit dem Saarländischen Ministerium für Umwelt, Klima, Mobilität, Agra und Verbraucherschutz, in dessen Rahmen bereits umfassend Daten für die Modellierung aufbereitet worden sind und auf die für die ausgeschriebene Leistung zurückgriffen werden könne.
Diese Daten waren nur der Beigl. zugänglich – anderen Bietern hingegen nicht. Die Bitte der ASt auch ihr die entsprechenden Daten zu übermitteln, wurde durch die LUA mit der Begründung abgelehnt, dass sie nicht Auftraggeberin für den in Rede stehenden Auftrag sei und daher keine Daten aus dem Projekt zur Verfügung stellen könne.
Die ASt wurde sodann mit Informationsschreiben nach § 134 GWB über ihre Nichtberücksichtigung und die vorgesehene Zuschlagserteilung an die Beigl. informiert. Als Grund für die Nichtberücksichtigung wurde angegeben, dass das Angebot der ASt nicht das wirtschaftlichste Angebot gewesen sei. Die Differenz zur Erstplatzierten würde sich (allein) aus der Wertung des Kriteriums „Preis“ ergeben.
Die ASt rügte daraufhin die beabsichtigte Zuschlagserteilung und beantragte nach der Nichtabhilfe der Rüge ein Nachprüfungsverfahren im Hinblick auf den aus ihrer Sicht vorliegenden vergaberechtswidrigen Wissensvorsprung der Beigl. Die Beigl. sei ihrer Meinung nach als vorbefasst i.S.d. § 7 VgV anzusehen. Insgesamt würde laut der ASt in der beabsichtigten Vergabe an die Beigl. ein Verstoß gegen das Wettbewerbsprinzip gem. § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB und das Gebot der Wirtschaftlichkeit aus § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB und inzident ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 2 GWB vorliegen. Die Vergabekammer gab ihr Recht – die AG legte daraufhin sofortige Beschwerde ein. Ohne Erfolg!
Entscheidung des OLG Saarbrücken
Das OLG Saarbrücken wies die Beschwerde der AG zurück.
Zwar würde keine „Vorbefasstheit“ der Beigl. i.S.d. § 7 VgV vorliegen, da diese nicht an der Vorbereitung der konkreten Ausschreibung beteiligt war und sie die entsprechenden Daten, während eines ganz anderen, von dem hiesigen Vergabeverfahren unabhängigen Projekts gewonnen habe.
Jedoch sah das OLG eine unzulässige Wettbewerbsverzerrung nach § 97 Abs. 2 GWB darin, dass die Beigl. durch ihre parallele Beteiligung an einem Forschungsprojekt mit identischem Sachbezug – Zugang zu Daten hatte, die für den verfahrensgegenständlichen Auftrag nutzbar waren und – sofern sie bei ihr noch nicht vorhanden waren – auf deren Überlassung die ASt einen Anspruch habe.
Dabei würde nach dem OLG grundsätzlich gelten, dass Wissensvorsprünge gegenüber anderen Bietern nicht per se ausgleichspflichtig sind, sondern nur dann, wenn besondere Umstände gegeben sind.
Aus den Äußerungen der Beigl. gehe hervor, dass die Beigl. die Daten nicht nur gewonnen habe, sondern diese bereits fertig aufbereitet habe, was zu dem ungewöhnlich hohen Preisnachlass führte. Andere Bieter hätten diese wesentlichen Vorarbeiten erst noch erledigen müssen. Auch wenn die Beigl. diese Daten im Rahmen des Forschungsprojekts selbst erarbeitet habe, handele es sich dabei dennoch nicht um ein allgemeines und damit nicht ausgleichspflichtiges Knowhow, da sie diese Daten weder für sich selbst noch für einen unbeteiligten Dritten, sondern im Auftrag einer obersten Behörde der AG gewonnen habe.
Bei dem Ministerium handle es sich nach dem OLG auch nicht im Verhältnis zu dem das Vergabeverfahren durchführenden LUA um einen unbeteiligten Dritten im vergaberechtlichen Sinn. Vielmehr würde es auf die Überlegungen der AG zur Wissenszurechnung zwischen unselbständigen Behörden des ein und desselben Rechtsträgers vorliegend nicht entscheidend ankommen. Nachdem nämlich sie selbst und nicht das für sie als Vergabestelle handelnde LUA der öffentliche Auftraggeber sei, sei ihr eigenes und nicht das Wissen des LUA maßgeblich. Sie selbst müsse sich als Gebietskörperschaft das Wissen der für sie im Rahmen der unmittelbaren Staatsverwaltung tätigen Stellen ohne Weiteres zurechnen lassen.
Der besondere Umstand, der das für den ausgeschriebenen Auftrag einschlägige Vorwissen der Beigel. aus dem parallel laufenden Forschungsprojekt zu einem ausgleichungspflichtigen Wettbewerbsvorteil mache, bestehe darin, dass die AG über die entsprechenden Daten verfüge oder jedenfalls einen Anspruch auf Überlassung habe, sie jedoch – bezogen auf den Bieterkreis – die Daten im exklusiven Zugriffsbereich der Beigel. belasse.
Das OLG macht deutlich, dass ausnahmsweise derartige Wissensvorsprünge vom Auftraggeber auszugleichen sind, und zwar namentlich dort, wo der Informationsvorsprung eines Bieters auf ihn selbst, den Auftraggeber, zurückzuführen ist.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung stärkt die vergaberechtliche Fairness: Öffentliche Auftraggeber sollten proaktiv für Waffengleichheit sorgen, wenn bestimmte Bieter durch Vorprojekte – insbesondere mit öffentlicher Beteiligung – über exklusive Daten oder Informationen verfügen.
Vergabestellen sollten daher bereits in der Planung prüfen, ob aus früheren Kooperationen Wissensvorsprünge entstehen und diese gegebenenfalls durch Informations- bzw. Datenbereitstellung gegenüber den Bietern ausgleichen.
Die Autorin dieses Gastbeitrages ist Anika Sanders Rechtsanwältin der Kanzlei Leinemann & Partner Rechtsanwälte mbB in Hamburg.




