Verschwindende Inhalte, fehlende Geschäftsadressen, Künstlernamen: Die Besteuerung von Influencern stellt Finanzämter vor vielfältige Herausforderungen. Wie Präventionsarbeit geleistet werden kann und sich Steuerschlupflöcher schließen lassen, erklärt der Vorsitzende der deutschen Steuergewerkschaft, Florian Köbler, im Interview mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellte Anne Mareile Moschinski.
Behörden Spiegel: In Nordrhein-Westfalen wird aktuell gegen Influencer ermittelt, die durch Steuerhinterziehung einen Steuerschaden von 300 Millionen Euro verursacht haben sollen. Gibt es bei Influencern mehr Steuerschlupflöcher als bei anderen Berufsgruppen?
Florian Köbler: Es gibt nicht unbedingt mehr Schlupflöcher, aber die Influencer-Branche hat strukturelle Besonderheiten, die Steuerhinterziehung erleichtern. Anders als klassische Selbstständige arbeiten Influencer oft ohne feste Betriebsstätte, ohne Geschäftsadresse und häufig grenzüberschreitend. Das macht sie für die Finanzverwaltung schwer greifbar. Hinzu kommt: Viele verdienen bereits mit Anfang 20 mehrere zehntausend Euro im Monat – haben aber nicht einmal eine Steuernummer. Das ist vorsätzliche Steuerhinterziehung mit hoher krimineller Energie. Die vermeintlichen Schlupflöcher entstehen durch die Digitalität und Mobilität der Geschäftsmodelle. Influencer verschieben ihren Wohnsitz nach Dubai oder in andere Niedrigsteuerländer, betreiben aber de facto ihr Geschäft weiterhin von Deutschland aus. Sie nutzen ausländische Briefkastenfirmen, nehmen Zahlungen über internationale Plattformen entgegen und verbuchen Einnahmen in Kryptowährungen. All das erschwert die Nachverfolgung.
Behörden Spiegel: Worin liegen die besonderen Probleme bei der Besteuerung von Influencern und wie kann ihnen begegnet werden?
Köbler: Die Probleme sind vielfältig und technisch anspruchsvoll. Erstens: Influencer haben keine festen Arbeitsplätze. Zweitens: Viele nutzen Künstlernamen oder Pseudonyme, wodurch die Identifizierung erschwert wird. Drittens: Werbeinhalte in sogenannten „Stories“ verschwinden nach 24 Stunden automatisch. Damit fehlen klassische Beweismittel. Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube verfügen über sämtliche Transaktionsdaten, die Influencer werden aber häufig von Drittanbietern direkt bezahlt. Hier brauchen wir dringend eine gesetzliche Grundlage auf EU-Ebene, die Plattformen zu automatischen Datenmeldungen verpflichtet.
Behörden Spiegel: Welche Präventionsarbeit können die Finanzämter leisten?
Köbler: Prävention beginnt mit Aufklärung – aber seien wir ehrlich: Die Informationen sind längst da. Das Bundesfinanzministerium hat bereits 2020 FAQs veröffentlicht unter dem Titel „Ich bin Influencer. Muss ich Steuern zahlen?“ Das Internet ist voll mit Erklärvideos, Beratungsangeboten und Informationsmaterial. Wer heute als professioneller Influencer tätig ist und behauptet, er habe von seiner Steuerpflicht nichts gewusst, dem nehme ich das nicht ab. Trotzdem kann Prävention intensiviert werden. Grundsätzlich bräuchte es schon in der Schule mehr Finanzbildung. Auch Influencer-Agenturen sollten verpflichtet werden, ihre Klienten über steuerliche Pflichten aufzuklären.
Behörden Spiegel: Welches Strafmaß droht Influencern bei Steuerhinterziehung und gibt es hier Nachbesserungsbedarf?
Köbler: Das Strafmaß richtet sich nach der Höhe der hinterzogenen Steuern. Bei Beträgen bis 50.000 Euro wird in der Regel eine Geldstrafe verhängt. Ab 50.000 Euro gilt die Tat als besonders schwerer Fall, und es droht eine Freiheitsstrafe – zunächst meist mit Bewährung. Ab einer Million Euro hinterzogener Steuern ist eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung der Regelfall. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Angriff auf den Sozialstaat.
Behörden Spiegel: Wie sind die gemeldeten Fälle von Finanzkriminalität bei Influencern im Vergleich mit anderen Berufsständen zu bewerten?
Köbler: Die absoluten Zahlen sind alarmierend, aber man muss sie in Relation setzen. Der jährliche Steuerschaden durch Schwarzarbeit in Deutschland liegt bei rund 50 Milliarden Euro. Allein durch Umsatzsteuerkarusselle bei Großunternehmen gehen weitere zweistellige Milliardenbeträge verloren. Im Vergleich dazu scheinen die 300 Millionen Euro bei Influencern in NRW noch nicht so erheblich. Was die Fallzahlen angeht: Die Steuerhinterziehung bei Influencern nimmt massiv zu. Das liegt zum einen daran, dass die Branche rasant wächst. Zum anderen liegt es daran, dass wir erst jetzt die Ermittlungsinstrumente haben, um diese Fälle systematisch zu erfassen. Früher sind viele Influencer einfach durchs Raster gefallen.
Behörden Spiegel: Wie häufig gibt es Selbstanzeigen von Influencern?
Köbler: Die Zahl der Selbstanzeigen ist in den vergangenen Monaten dramatisch gestiegen – und das ist kein Zufall. Seitdem bekannt wurde, dass in NRW und anderen Bundesländern Spezialeinheiten ermitteln, haben viele Influencer offenbar kalte Füße bekommen. Ich gehe davon aus, dass wir von mehreren hundert Selbstanzeigen bundesweit sprechen. Genaue Zahlen veröffentlichen die Finanzämter wegen des Steuergeheimnisses nicht, aber Steuerberater und Anwälte berichten von einem massiven Anstieg.
Behörden Spiegel: Einige Länder, wie z.B. NRW, haben Spezialeinheiten gegründet, die Steuersünder aus der Social Media-Welt aufspüren sollen. Wie erfolgversprechend ist das?
Köbler: Die Spezialeinheiten sind bereits erfolgreich. Das Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminaliät (LBF) NRW hat in kurzer Zeit über 200 Strafverfahren eingeleitet und einen Steuerschaden von 300 Millionen Euro aufgedeckt. Das zeigt: Die gezielte Spezialisierung funktioniert. Andere Bundesländer wie Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben eigene Task Forces aufgebaut. Der Erfolg liegt in der Kombination aus technischer Expertise und steuerrechtlichem Know-how.
Allerdings darf man nicht naiv sein: Die Influencer-Szene lernt dazu. Schon jetzt sehen wir ausgefeiltere Verschleierungsmethoden, komplexere Firmenstrukturen und professionellere Steuergestaltung. Wir brauchen einen Dreiklang aus Prävention, Ermittlung und gesetzlichen Verschärfungen. Nur so werden wir der Steuerhinterziehung in der digitalen Welt Herr.





