(BS) Der Attentäter von Solingen, der sich am Samstagabend den Sicherheitsbehörden gestellt hat, ist am Sonntag dem Generalbundesanwalt überstellt worden. Auch wenn das genaue Motiv des Täters erst in den anstehenden, umfangreichen Vernehmungen und Untersuchungen ermittelt werden wird, kann man aufgrund dieses Umstandes davon ausgehen, dass es sich um einen islamistischen Terroranschlag handelt. Der syrische Staatsbürger tötete mit einem Messer drei Menschen und verletzte acht – vier davon lebensgefährlich. Ein Ermittlungsrichter am Karlsruher Bundesgerichtshof (BGH) hat Haftbefehl unter anderem wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) und wegen Mordes und versuchten Mordes erlassen. Dies teilte die Bundesanwaltschaft mit. Wann genau er der Terrorvereinigung beigetreten sei, wurde nicht mitgeteilt. Den Behörden war er nicht als Extremist bekannt.
Der Abschiebung entzogen
Der 26-jährige Syrer habe sich auf das Solinger Stadtfest zum 650-jährigen Bestehen begeben, da er aufgrund seiner islamistischen Überzeugungen möglichst viele „Ungläubige“ töten wollte.
Gezielt stach er daher auf den Hals- und Oberkörperbereich der friedlich feiernden Menschen auf dem „Fest der Vielfalt“ein. In einer Mitteilung bekannte sich die Terrorvereinigung IS zeitnah zu dem Anschlag, bezeichnete die Tat als „Rache für Muslime in Palästina und anderswo“. Am Samstagabend stellte sich der Syrer, blutverschmiert und entkräftet, der Polizei. Nachdem der Täter von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde, verbrachte er die Nacht in einer Zelle der Solinger Polizeiwache. Am Sonntagmittag wurde er dann von einem Spezialkommando der Polizei abgeholt und mit einem Hubschrauber nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof gebracht, wo er dem Ermittlungsrichter vorgeführt wurde und nun in Untersuchungshaft sitzt.
Issa Al H. wurde in der syrischen Stadt Deir al-Sor geboren. Ende Dezember 2022 war der Asylbewerber über Bulgarien nach Deutschland gelangt und hatte in Bielefeld Asyl beantragt. Gemäß Dublin-Abkommen wurde sein Asylantrag jedoch abgelehnt, da Bulgarien für ihn zuständig war. Das Übernahmeersuchen wurde seitens Bulgariens auch angenommen. Doch beim Versuch, die Abschiebung umzusetzen, traf man den Syrer im Juni 2023 in seiner Flüchtlingsunterkunft in Paderborn nicht an. Da man den Fall nicht konsequent verfolgte, erhielt Al H. nach Ablauf der Überstellungsfrist im August 2023 aufgrund der Einstufung Syriens als unsicheres Herkunftsland subsidiären Schutzstatus. Polizeilich war er bis zu seiner Tat nicht auffällig geworden.
Professionelle Polizeiarbeit
Die Polizei reagierte nach den ersten Meldungen schnell und hochprofessionell. Bereits nach wenigen Stunden waren 800 Einsatzkräfte im Einsatz, sofort wurden die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt eingeschaltet. Es setzten Observierungsmaßnahmen im ganzen Land ein, an Bahnhöfen und auch an den Außengrenzen. Geschulte Beamte suchten die Familien der Opfer auf, Seelsorger aus ganz NRW kümmerten sich um die zahlreichen betroffenen Augenzeugen. Die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei verstand es, den Spagat zwischen Schweigen aus ermittlungstaktischen Gründen und Beruhigung der in Solingen in Panik geratenen Bevölkerung zu meistern. Auf politischer Ebene reagierte man mit zurückhaltender Besonnenheit. Der NRW-Innenminister tat sein Übriges: authentische Betroffenheit gepaart mit klarerer Analyse. Polizei, Justiz und die zuständigen Ministerien lieferten der Öffentlichkeit die nötigen Informationen, ohne dabei empfindliche Interna der Ermittlungen preiszugeben. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Kommune wirkte an diesem Krisenwochenende wie einstudiert, also perfekt. So konnte die Fahndung zu einem schnellen Erfolg führen.
Offensichtlich war die Polizei dem Attentäter bereits früh auf die Spur gekommen, hielt sich mit genauen Beschreibungen oder der Bekanntgabe der Identität jedoch zurück, um den Verdächtigen nicht in Panik zu versetzen und gegebenenfalls zu weiteren Taten zu animieren. Man hatte wohl seine Jacke mitsamt Geldbeutel und Ausweispapieren in der Nähe des Tatorts gefunden. Die Tatwaffe konnte kurze Zeit später ebenfalls – auf direktem Wege zur Flüchtlingsunterkunft des Täters – sichergestellt werden. Die Flüchtlingsunterkunft, in der er untergebracht war, liegt nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt. Spezialeinsatzkräfte der Polizei trafen dort nur auf seinen Zimmergenossen. Jedoch konnte man hier den Messerblock auffinden, aus dem die Tatwaffe vermutlich stammt. Aufgrund des hohen Polizeiaufgebots vor der Unterkunft und in der gesamten Innenstadt wagte sich der Flüchtling offensichtlich nicht mehr aus seinem Versteck, bis ihm seine Lage als aussichtslos erschien und er aufgab. Im Laufe des Samstags hatte die Polizei bereits einen 15-Jährigen festgenommen, der von den Anschlagsplanungen Kenntnis gehabt haben soll. Ihm wird vorgeworfen, die Pläne nicht rechtzeitig den Behörden mitgeteilt zu haben.
Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, drückte seine tiefe Betroffenheit ob der Ereignisse aus und bekräftigte das Mitgefühl der Polizei mit den Opfern und Angehörigen. Die Polizei werde alles Nötige dafür tun, die Tat vollständig aufzuklären. Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), lobte das Vorgehen der Sicherheitsbehörden: „Die Polizei in NRW hat sofort einen hohen Fahndungs- und Ermittlungsdruck aufgebaut und richtigerweise die Bevölkerung gewarnt und um Mithilfe gebeten. Die Tatbegehung deutet auf einen Terroranschlag durch einen gut ausgebildeten Täter hin, zu solchen Delikten haben extremistische Portale immer wieder aufgerufen.“ Er forderte erneut eine „Zeitenwende in der Inneren Sicherheit“. Deutschland und Europa müssten den Kampf gegen den Terror intensivieren. Dazu müsse die Polizei entsprechend mit Mitteln und Personal, aber auch Befugnissen ausgestattet werden.
Politische Konsequenzen
Auch Friedrich Merz (CDU) fordert mehr Kompetenzen für die Bundespolizei. Die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) präferierte Verschärfung des Waffengesetzes hält er, wie Unionskollege Markus Söder (CSU), nicht für zielführend. Für ihn seien nicht die Messer das Problem, sondern die Personen, die sie einsetzten. In der Mehrzahl seien dies Geflüchtete, die islamistische Ziele verfolgten. Er bot Bundeskanzler Olaf Scholz Zusammenarbeit in der Einwanderungspolitik an und forderte, keine Flüchtlinge mehr aus Syrien und Afghanistan aufzunehmen. Stattdessen solle in diese Länder abgeschoben werden können. SPD-Chefin Saskia Esken forderte Straftäter und islamistische Gefährder konsequent auch nach Syrien und Afghanistan abzuschieben. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) betonte am Sonntagabend, man habe bereits seit Monaten vor einer hohen abstrakten Gefahr gewarnt. Auch er forderte eine bessere Ausstattung und erweiterte rechtliche Rahmenbedingungen für Polizei und Verfassungsschutz.