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StartVerteidigungWeg vom Zustimmungsfall

Weg vom Zustimmungsfall

In Berlin erläuterte der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, warum sich die Bundesrepublik auf einen andauernden Konflikt einstellen müsse. Russland fordere das westliche Gesellschaftsmodell heraus.

General Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, erinnerte sich vergangene Woche in Berlin an ein Gespräch mit dem Chief of Defence der Israel Defence Forces, Herzl Halevi. Er erläuterte, dass die israelischen Streitkräfte vor dem 7. Oktober umfänglich informiert waren. Allerdings sei es den israelischen Sicherheitsinstitutionen nicht gelungen, die Punkte zu verbinden.
„Genau das bereitet mir Sorge“, führte Breuer weiter aus. Er fordere, dass die deutschen Sicherheitsbehörden die Fähigkeit ausbilden, Ereignisse ins Verhältnis zu setzen. Die Bundeswehr müsse befähigt werden, das Lagebild zu verdichten und die relevanten Ableitungen zu treffen. Das sei insbesondere von Bedeutung, weil in der aktuellen weltpolitischen Lage jeder Konflikt das Potenzial habe, global zu wirken. Um diese komplexen Interdependenzen deutlich zu machen, bediente sich Breuer des Beispiels der koreanischen Halbinsel. Als Gegenleistung für den Einsatz seiner Soldaten im Ukraine-Krieg erhalte Nordkorea Technologie, Nahrungsmittel und auch Waffenteile aus Russland. Darüber hinaus verfügten die Soldaten Nordkoreas nach ihrer Rückkehr über Kampferfahrung. Auf diese Weise entfalte der Krieg in Europa auch einen destabilisierenden Effekt auf die koreanische Halbinsel. Dieser Umstand verdeutliche die Wichtigkeit, Zusammenhänge auf verschiedenen Handlungsebenen zu diskutieren, stellte Breuer klar. Es gelte sich, die Frage zu stellen, welcher Art die Herausforderungen seien und ob wir ihnen standhalten können.

Auf vieles gleichzeitig vorbereiten

Das gestalte sich allerdings gerade deshalb als besonders problematisch, weil vielfältige Szenarien mit Mitteln vorzubereiten seien, über die die Bundeswehr nur einmal verfüge. Krisen ließen sich nicht länger als unabhängige Einheiten betrachten, stellte der Generalinspekteur fest. So müsse man von der Vorstellung abkommen, zwischen Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) und dem Internationalen Krisenmanagement wählen zu können. Die Bundeswehr gehe „all in“. Auf diese Weise sei aus dem „war of choices“ ein „war of necessities“ geworden, bilanzierte Breuer.
Schlicht den russischen Angriffskrieg als Blaupause für die Gestaltung der LV/BV heranzuziehen, sei allerdings verkürzt. Vielmehr müsse sich die Bundesrepublik an die neuen Rahmenbedingungen der internationalen Konfliktführung anpassen. Die etablierten Kategorien – Frieden, Spannungs- und Konfliktfall – seien der Gleichzeitigkeit der Ausprägungsformen kriegerischer Auseinandersetzungen nicht länger angemessen. „Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass es grundsätzlich Zustimmungsfälle gibt“, stellte Breuer klar. Mit Zustimmungsfall ist eine Tatbestandsalternative zum Spannungsfall gemeint. Er erlaubt die dosierte und parlamentarisch kontrollierte Freigabe einzelner Bestimmungen des Notstandsrechts.
Die Entgrenzungstendenzen moderner Konfliktgestaltung führten darüber hinaus zum Aufweichen der Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Die klassischen Kategorien des Krieges seien deshalb nicht länger angemessen, um die gegenwärtige Konfliktlage einzuordnen. Vielmehr begegne man zurzeit etwas, das Breuer als „pure Auseinandersetzung mit dem westlichen Gesellschaftsmodell“ definiert. Dieser Diagnose entsprechend zeigt sich der Generalinspekteur überzeugt, dass Putin sich niemals mit der Ukraine zufrieden geben werde. Deshalb müsse die Bundesrepublik den Ukrainekrieg ganzheitlich im Rahmen einer europäischen Sicherheitsstruktur denken. Dass Putin die ihm vom Westen zugesprochene Kriegsziele nicht erfülle, dürfe kein Grund sein, sich selbstgerecht zurückzulehnen.
Von besonderer Bedeutung sei diese Schlussfolgerung laut Breuer auch, weil die russischen Streitkräfte zurzeit aufwachsen. Neue Wehrmittel würden in Depots für den Einsatz gegen den Westen eingelagert. So könne Russland im Jahr etwa vier Millionen Schuss Artilleriemunition aufbauen, weil die Bedarfe in der Ukraine durch nordkoreanische Munition kompensiert werden.

Alte Fehler nicht wiederholen

Angesichts dieser diffizilen Lage mahnt der Generalinspekteur dazu, nicht in die historische Zaghaftigkeit wie bei der Drohnenbeschaffung der Bundeswehr zurückzufallen. Vielmehr bedürfe es schneller, agiler und flexibler Streitkräfte. Demgegenüber müsse eine Rüstungsindustrie mit den entsprechenden Kapazitäten stehen. Es sei der Zeitpunkt gekommen, um das zu verstetigen. Ein Verteidigungshaushalt im Umfang von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) könne nur das Minimum darstellen.

Dem pflichtete Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV), bei. Zwar seien in den vergangenen zwei Jahren Fortschritte bei der Wirtschafts- und Verteidigungsstrategie gemacht worden, die Entwicklung erfolge aber zu langsam und nicht im auskömmlichen Umfang. Der Verbandsvorsitzende glaubt deshalb, in der Truppe große Hoffnung zu spüren, dass mit der neuen Regierung auch eine neue Dynamik entstehe. Diese Beschleunigung erachtet Wüstner als dringend notwendig. Denn mit der Festlegung der NATO-Planungsziele werde die Lücke zwischen den Ansprüchen, denen die Bundeswehr in der ihr zugedachten Rolle in der NATO gerecht werden müsse, und ihren tatsächlichen Fähigkeiten noch größer.
Ein nachhaltiger Fertigkeitsaufbau in Europa kann allerdings nur gelingen, wenn Europa die entsprechenden industriellen Fähigkeiten vorweisen kann. Der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Rüstungsunternehmens Rheinmetall, Armin Papperger, nahm dabei in Berlin auch die Industrie in die Pflicht. „Wir können nicht erst denken, wenn der Staat den Auftrag erteilt“, mahnt Papperger die Industrie. Er fordert die großen Rüstungsunternehmen in Deutschland auf, mehr unternehmerisches Risiko zu wagen. Allen Warnungen und strategischen Forderungen des Generalinspekteurs zum Trotz, muss die neue Bundesregierung die Streitkräfte zunächst auf eine solide finanzielle Grundlage stellen.

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