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StartVerteidigungKurz vor der Zielgeraden

Kurz vor der Zielgeraden

„Mit der Auswahlentscheidung für die CH-47 – CH-47F Block II – im letzten Jahr wurde eine richtungsweisende Entscheidung für die zukünftige Luftbeweglichkeit der Bundeswehr getroffen“, betont ein Sprecher der Luftwaffe gegenüber dem Behörden Spiegel. „Die Hubschrauber sollen in der Bundeswehr das Rückgrat für den schnellen Lufttransport von Fahrzeugen, Material und Personal bilden. Das gilt für den Einsatz im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung sowie den Auslandseinsätzen.“

Aktuell nutzt die Bundeswehr als Transporthubschrauber CH-53, die allerdings vor mittlerweile über 50 Jahren beschafft wurden. „Wegen der steigenden Herausforderungen bei der Sicherstellung der Einsatzbereitschaft ist die Einführung eines Nachfolgesystems notwendig“, beschreibt der Sprecher der Luftwaffe. „Der Hubschrauber wird über Jahre schrittweise in die Luftwaffe eingeführt und sukzessive den Auftrag der CH-53 bruchfrei übernehmen. Analog dazu werden die ‚alten‘ CH-53 Schritt für Schritt außer Dienst gestellt.“

Nach einem über Jahre andauernden Beschaffungsprozess geht das Programm „Schwerer Transporthubschrauber“ (STH) also langsam in die Zielgerade. Das US-Außenministerium hat den möglichen Verkauf der Chinook-Hubschrauber plus dazugehörender Ausrüstung im Wert von rund 8,5 Milliarden US-Dollar an die deutsche Regierung genehmigt. Die Defense Security Cooperation Agency legte am 11. Mai die erforderliche Bescheinigung vor, mit welcher sie den amerikanischen Kongress über diesen möglichen Verkauf informiert.

Das verhandelte Angebot

Für die 8,5 Milliarden Dollar erhält die Bundeswehr allerdings nicht nur 60 Chinook Block II mit Luftbetankung, sondern unter anderem auch 140 T-55-GA-714A Triebwerke (120 installiert, 20 Ersatzteile), 72 AN/AAR-57 Common Missile Warning Systeme (60 installiert, 12 Ersatzteile) und 284 AN/ARC-231A Communications Security (COMSEC) Funkgeräte (240 installiert, 44 Ersatzteile). Hinzu kommen Sensoren, Selbstschutzsysteme, Navigationssysteme, Nachtsichtgeräte, Wartungsaufträge/Engineering Change Proposals (MWO/ECPs), technische Unterstützung, Unterstützung bei der Lufttüchtigkeit, Ausbildung, Flugschulung sowie andere damit verbundene Elemente der Logistik und Programmunterstützung.

Es ist also ein großes Paket, welches die Beschaffer der Bundeswehr mit der amerikanischen Seite ausgehandelt haben. In einem nächsten Schritt wird die amerikanische Regierung für dieses Paket einen offiziellen „Letter of Offer and Acceptance“ (LOA) an die deutsche Regierung übermitteln, das finale Angebot, wo jedes noch so kleine Element genau beschrieben und bepreist ist. Ursprünglich sollte der LOA bereits Anfang dieses Jahres vorliegen, doch auch die Angestellten der amerikanischen Regierung haben nur endliche Kapazitäten und diese sind aktuell durch den Ukraine-Krieg gebunden. Schließlich müssen alle Ausfuhren, alle militärischen Hilfen an die Ukraine sowie Ringtausche an andere Verbündete, denselben Prozess durchlaufen und binden die Kapazitäten derselben Sachbearbeiter. Nur mit größerer Dringlichkeit als das deutsche Vorhaben „Schwerer Transporthubschrauber“, wo Deutschland bereits rund fünf Jahre für die Auswahlentscheidung zwischen zwei Modellen brauchte.

Die nächsten Schritte

„Derzeit wird abgewartet, bis dem BMVg der sogenannte Letter of Offer and Acceptance (LOA) – also das Angebot – vorliegt“, nennt ein Sprecher des BAAINBw den aktuellen Zustand des Programms. „Nach Eintreffen des LOA kann das Angebot ausgewertet werden.“ Der Sprecher der Luftwaffe ergänzt: „Nach Vorliegen des finalen Angebots der US-amerikanischen Seite wäre die parlamentarische Befassung und Billigung der Beschaffung einzuleiten. Nach der parlamentarischen Entscheidung und dem Vertragsschluss gilt es dann für die Luftwaffe, in die weitere Planung – Zeitlinien, Stationierung usw. – zu gehen. Zusätzlich kann nach Vertragsschluss die Umschulung des Personals beginnen.“

Für die Chinook sprachen seinerzeit unter anderem, dass die Bundeswehr für denselben Preis fast ein Drittel mehr Hubschrauber erhält, was eine größere operationelle Flexibilität ermöglicht. Hinzu kommt, dass sehr viele andere Nationen, wie etwa die Niederlande und Großbritannien, die Chinook fliegen. Durch das Zusammenwachsen des niederländischen mit dem deutschen Heer bot sich die Nutzung eines gemeinsamen Transporthubschraubers an. So beschrieb Ben Lewis, der über 20 Jahre Chinook-Pilot in den britischen Streitkräften war, die Vorteile, die sich aus der großen Nutzerzahl ergeben. Lewis flog den Transporthubschrauber unter teilweise schwierigen Einsatzbedingungen. „Als wir einmal im Tiefflug auf dem Weg nach Bagdad waren, befanden wir uns etwa 50 Fuß über einem großen Marschland und ein riesiger Vogelschwarm hob vom Boden ab und flog auf uns zu. Er zertrümmerte alle Cockpitfenster und verursachte mehrere Schäden an unserem Rahmen“, erinnert sich Lewis. „Wir konnten zu einem nahegelegenen Koalitionsflugplatz ausweichen und dort war eine niederländische Einheit mit Chinook. Sie halfen uns, alle Scheiben zu ersetzen, flickten uns zusammen und wir konnten unsere Mission später am Tag fortsetzen.“

Vorausschauende Wartung und Instandhaltung

Lewis beschreibt hierbei eine wesentliche Eigenschaft der Chinook: Die einfache Wartung, die in vielen Nationen durch die Soldatinnen und Soldaten direkt vor Ort geleistet wird. Gleichzeitig ermöglichen die neuen Chinook eine vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance), welche die Leistung und Verfügbarkeit der Flotte deutlich steigert. Hierfür enthält der Hubschrauber eine Vielzahl von Datensensoren, welche mithilfe von Berechnungsmodellen mögliche Ausfälle prognostizieren. Wie dies funktioniert beschreibt Torbjorn Sjogren, Vice President & General Manager Government Services bei Boeing Global Services. Unter dem Namen „Next Generation Product Support“ (NGPS) entwickelte Boeing gewissermaßen ein Frühwarnsystem für die Wartung. Die Flugzeuge erhalten mehrere Zehntausende Datapoints, an denen Informationen erfasst werden. „Das Flugzeug spricht und wir hören zu“, beschreibt Sjogren die Digitalisierung der Systeme.

Als erstes startete Boeing NGPS in Zusammenarbeit mit Australien, Großbritannien und Kanada an deren C-17. Der Erfolg konnte sich schnell messen lassen, in tausenden von eingesparten Instandsetzungsstunden. Mittlerweile gehört die datengestützte Vorhersage zum Standard von Boeing. Ein Beispiel zum Nutzen nennt Sjogren: „Es ging um eine Verlegung von den USA nach Ungarn und wir sagten den amerikanischen Streitkräften, dass zwei Elemente am besten vor dem Abflug ausgetauscht werden sollten. Unser System sagte, dass diese beiden Elemente nach dem Langstreckenflug aufgrund der dann insgesamt abgeleisteten Flugstunden sehr wahrscheinlich ausfallen. Und weil hier in den USA die Ersatzteile und Techniker vorhanden sind, die ansonsten erst nach Ungarn geflogen werden müssten, bot sich der Austausch vor dem Flug an. Die Streitkräfte entschieden sich gegen unsere Empfehlung und was soll ich sagen, beide Teile mussten in Europa unter schwierigeren Bedingungen wie vorhergesagt ausgetauscht werden.“

Dieselbe Predicitve Maintenance wird auch auf den deutschen Chinook enthalten sein und somit die Wartung und Instandhaltung auf ein ganz neues Niveau heben.

Besondere Fähigkeiten inklusive Luftbetankung

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Chinook ist die Fähigkeit zum so genannten Pinnacle Landing. Hierbei setzt nur der hintere Teil – das Heck – des Hubschraubers auf. Da die Chinook über zwei Rotoren verfügt, kann sich das Heck dabei auf einer anderen Höhe befinden als das Cockpit. Verschiedene Spezialkräfte haben diese Fähigkeit bereits eindrucksvoll genutzt, indem sie Schlauchboote direkt in den Hubschrauber fahren ließen, der seinen Ladebereich dafür kurzzeitig ins Wasser tauchte. Auch bei Evakuierungsflügen nutzte die U.S. Army diese Fähigkeit, da der Hubschrauber nicht vollständig etwa auf einem Dach landen muss. So kamen Chinook der U.S. Army sowohl bei der Evakuierung aus Afghanistan als auch bei der Evakuierung aus Khartum zum Einsatz (wir berichteten).

Deutschland hat sich dabei für die moderne Chinook Block II entschieden, die in den USA bisher erst beim Special Operations Command der U.S. Army geflogen wird. Diese Version kombiniert den bekannten und erprobten Aufbau mit neuen Technologien und Materialien, sodass der Hubschrauber eine enorme Leistungssteigerung erfährt. Genau diese Wahl des modernen Modells führte in einigen Teilen der deutschen Öffentlichkeit zu der Ansicht, dass es Probleme mit der Luftbetankungssonde bzw. deren Zulassung gegen könnte. Dabei wird allerdings außer Acht gelassen, dass das Special Operations Command der U.S. Army die Block II inklusive Luftbetankung bereits seit Jahren erfolgreich fliegt. Dass der Name unterschiedlich ist – MH-47 gegenüber CH-47 – entstammt der internen Namensgebung der U.S. Army, welche bei Hubschraubern der Spezialkräfte ein „M“ für „Military“, bei jenen des Feldheeres ein „C“ für „Cargo“ voransetzt. Auch die Tatsache, dass die MH-47G Block II nicht exportiert wird, begründet sich nicht auf irgendwelchen Zertifizierungsproblemen, sondern auf dem Innenleben der Spezialkräfte-Chinooks, welches die USA noch nicht einmal an befreundete Nationen weitergeben würde.

Die Luftbetankungssonde der deutschen CH-47F Block II ist somit kein mühsam zu zertifizierendes Wunder, sondern Standard bei den aktuell in der Produktion befindlichen Spezialkräfte-Chinooks Block II.

Weiterer Zeitplan

Die neuen Hubschrauber bedeuten für die Bundeswehr einen deutlichen Fähigkeitsgewinn und eine gigantische Verbesserung der Verfügbarkeit, inklusive Senkung der Wartungskosten. Dennoch ist das Programm „Schwerer Transporthubschrauber“ ein Paradebeispiel dafür, wie eine Beschaffung nicht laufen sollte. Schließlich fiel die Auswahlentscheidung für zwei Modelle bereits 2017 und die Entscheidung für die Chinook folgte erst im Frühjahr 2022.

Seitdem sind viele Verzögerung dem Ukraine-Krieg geschuldet, da die zuständigen Mitarbeiter auf der amerikanischen Seite mit den durch den Krieg deutlich gestiegenen und zeitkritischen Exporten befasst sind. Dennoch zeigt sich aktuell Licht am Ende des Tunnels. Der genaue Exportanteil wurde durch das US-Außenministerium definiert, der Letter of Offer and Acceptance wird zeitnah erwartet und erreicht die deutsche Regierung hoffentlich noch vor der Sommerpause. Schließlich gilt es die Zustimmung der Politik einzuholen, bevor der Vertrag geschlossen werden kann.

Eines ist zumindest sicher, sowohl das Deutsche Heer als auch die Deutsche Luftwaffe dringen seit 2017 auf den Ersatz der alten CH-53. Die Neuausrichtung auf die Landes- und Bündnisverteidigung erfordern zudem schnellen Lufttransport, womit Transporthubschrauber noch zusätzlich an Bedeutung gewinnen. Die Zeit drängt.

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