Das ehrenamtliche Engagement ist das Rückgrat des deutschen Hilfeleistungssystems. Zwar zeigen Jahresstatistiken immer wieder eine Zunahme an Kräften bei den Freiwilligen Feuerwehren, doch auch dort fordert der Demografischer Wandel hier in den kommenden Jahren Tribut. Was sich die Kräfte selbst wünschen und wie Kommunen den Dienst attraktiv gestalten können, erklärt Prof. Dr. Doris Rosenkranz von TH Nürnberg, die eine Studie zu dem Thema durchgeführt hat. Die Fragen stellte Bennet Biskup-Klawon
Behörden Spiegel: Warum engagieren sich Menschen ehrenamtlich? Gibt es da Unterschiede zwischen Freiwilligen Feuerwehren und anderen Verbänden?
Prof. Dr. Doris Rosenkranz: Seit vielen Jahren forsche und lehre ich zum Thema „Engagement“. Die Motive für ein Engagement sind vielfältig – Gutes Tun wird oft genannt, anderen Menschen helfen zu können – sowohl bei den Freiwilligen Feuerwehren als auch in anderen Felders des Engagements. Sehr deutlich ist aber auch, dass viele Ehrenamtliche auch für sich selbst einen „benefit“ erwarten – z.B. soll das Ehrenamt auch Spaß machen und sich gut in den Alltag integrieren lassen. Auch die Bereitschaft für kürzere ehrenamtliche Projekteinsätze ist gestiegen, bei denen auch das Ende des Engagements bereits mitgedacht wird. Oftmals wird auch ein Ehrenamt gewechselt.
Für die wenigsten Menschen ist die sprichwörtliche „goldene Ehrennadel“ ein erstrebenswertes Ziel ihres eigenen Engagements. Das stellt Organisationen und Vereine, die auf Ehrenamt bauen, zunehmend vor Herausforderungen: Wie lassen sich Menschen für ein Ehrenamt gewinnen, halten, was sind passende Formen der Anerkennung? Das sind aktuelle Fragen in vielen Gemeinden. Die Engagementforschung stellt hier im Rahmen des Freiwilligenmanagements konkrete Empfehlungen zur Verfügung.
Behörden Spiegel: Gibt es den freiwilligen Feuerwehrmann bzw. die freiwillige Feuerwehrfrau?
Rosenkranz: An unserer Studie haben sich über 32.000 ehrenamtliche Feuerwehrleute in Bayern beteiligt. Deren Antworten zeigen klar, dass es keine homogene Gruppe in diesem Ehrenamt gibt. Das private und berufliche Leben ist so individuell gestaltet und die Lebensentwürfe sind so vielfältig, dass es gut das Leben in Deutschland abbildet. Da gibt es die Hausmänner genauso wie die selbständigen Unternehmerinnen oder Personen, die jeden Tag zur Arbeit eine weite Strecke zur Arbeit pendeln und die Menschen, die Pflege von Angehörigen und die Betreuung von Kindern mit organisieren. Was sie jedoch eint, ist die Bereitschaft, etwas sehr Kostbares zu verschenken – nämlich ihre eigene Lebenszeit. Dazu zählt die Qualifizierung für das Ehrenamt und die Bereitschaft, von „jetzt auf dann“ bei einem Notfall auszurücken. In Bayern geschieht dies überwiegend rein ehrenamtlich – von 100 Feuerwehrleuten sind etwa 96 Personen im Ehrenamt aktiv – neben Job, Familie und Partnerschaft aktiv.
Behörden Spiegel: Sind die Ergebnisse nur bayernspezifisch oder lasse sie sich auch auf andere Regionen in Deutschland projizieren? Sehen Sie allgemeine Trends?
Rosenkranz: Erstmals wurde in unserer Studie das Ehrenamt in den Freiwilligen Feuerwehren praxisorientiert und wissenschaftlich fundiert untersucht. Es gibt dabei Trends z.B. in der Bevölkerungsstruktur, die für die meisten Gemeinden und Regionen in Deutschland ähnlich sind. Insofern sind unsere Ergebnisse selbstverständlich ein Impuls auch für andere Regionen, sich dem Thema zu widmen.
Ein Beispiel: Etwa 96 Prozent der Aktiven in den Feuerwehren, die die Daseinsvorsorge zu „Brandschutz und technischer Hilfeleistung“ leisten, sind Ehrenamtliche. Da (fast) nur die Freiwilligen Feuerwehren eine gesetzlich geregelte Altersgrenze für Ehrenämter kennen, die den aktiven Dienst bislang mit dem 65. Geburtstag beendet, ergeben sich daraus Hinweise auf die Anzahl der künftigen Aktiven. Auf Basis der statistischen Analysen der Bestandsdaten lässt sich für den Zeitraum bis 2041 belegen, dass viele der heute Aktiven dann aus Altersgründen ausscheiden werden. Würde man die Altersgrenze erhöhen, ließe sich dieser Rückgang allenfalls verlangsamen. Ersetzt werden könnten die „Ausscheidenden“ durch Personen, die neu in die Feuerwehr als Aktive eintreten. Der Blick auf die demografische Struktur in Bayern zeigt jedoch einen deutlichen Rückgang bei der Zahl der jungen Menschen zwischen 18 und ca. 30 Jahren – allein aufgrund der seit vielen Jahren niedrigen durchschnittlichen Kinderzahl. Ableiten lässt sich daraus die Notwendigkeit, neue Zielgruppen für die Freiwilligen Feuerwehren in den Blick zu nehmen.
Insgesamt wird im Jahr 2041 die Zahl der Aktiven bei den Freiwilligen Feuerwehren in ganz Bayern um mindestens ein Drittel niedriger sein als heute. In einzelnen Regionen ist der Rückgang noch höher. Dafür sind u.a. vor allem zwei Gründe wirksam, die einen Wandel der demografischen Struktur in Bayern zeigen:
a) Eine große Anzahl an ehrenamtlich Aktiven wird mit der gesetzlichen Altersgrenze bei den Freiwilligen Feuerwehren altersbedingt ausscheiden.
b) Wegen des Rückgangs der Kinderzahl („Fertilität“) verringert sich zudem das Potenzial an zukünftig Aktiven. Selbst wenn der Prozentsatz an Jugendlichen unverändert bleibt, der sich bei den Freiwilligen Feuerwehren engagiert, wird aufgrund der geringeren Besetzung der relevanten Jahrgänge die Anzahl der Aktiven sinken.
Wenn also im Alter mehr Personen ausscheiden als im jungen Erwachsenenalter (bisher) nachkommen, stellt sich die Frage wichtig, wie dieses System ehrenamtlicher Daseins-vorsorge trotz dieser sich wandelnden Bedingungen künftig erhalten bleiben kann.
Behörden Spiegel: Wie akut sehen Sie den Handlungsdruck von Entscheidungsträgerinnen und -trägern, um das ehrenamtliche Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr zu stärken?
Rosenkranz: Brandschutz und technische Hilfeleistungen liegen in der Verantwortung der Gemeinden. Der Druck auf die Kommunen wächst mit demografischen Veränderungen. Schon jetzt ist z.B. die Tagesverfügbarkeit von Hilfskräften ein oftmals ungelöstes Problem. Wenn das über 150 Jahre gewachsene Modell der Freiwilligen Feuerwehren in der bisherigen Form erhalten werden soll, sind insbesondere drei Aspekte akut wichtig:
a) Die Gestaltung von „Engagement“ ist ein strategisches Gesamtpaket mit dem Anspruch einer kontinuierlichen Organisationsentwicklung der Freiwilligen Feuerwehr. Sie braucht Begleitung vor Ort und durch die Bundesländer.
b) Notwendig ist ein kontinuierliches kommunales Monitoring dieser Form des Ehrenamts, die Erfassung der Aktiven, der Altersstruktur, der Mehrfach-Aktiven – auch wenn es um die Frage der tatsächlich verfügbaren lokalen Einsatzbereitschaft im Katastrophenfall geht.
c) Wichtig ist eine Veränderung der künftigen Perspektive: ein Wandel der Konzentration weg von den Gerätschaften, Gerätehäusern, Fahrzeugen und technischen Ressourcen hin zur stärkeren Betonung der personellen Ressourcen in den Freiwilligen Feuerwehren. Die Konzentration auf neue Technik und technische Gadgets führt nicht zwangsläufig zu mehr Ehrenamt.
Diese stärker personenzentrierte Perspektive inkludiert auch, die Aktiven vor Ort stärker einzubinden, stärker zu würdigen und stärker zu Wort kommen zu lassen.
Behörden Spiegel: Was wünschen sich ehrenamtliche Kräfte von Politik und Gesellschaft?
Rosenkranz: Veränderungsbedarf zeigt sich bei den Formen der Anerkennung – die präferierte Form hängt stark von der individuellen Lebensphase ab. Deutliches Interesse zeigt sich insgesamt für das vor Ort ausgeübte Ehrenamt bei den Feuerwehren stärker auch lokal (finanzielle) Entlastung zu erfahren und stärker hier als Akteur sichtbar zu werden (z.B. „Wir löschen für Sie in xy“). Darüber hinaus würden sich mehr als die Hälfte der Aktiven – und damit mit großem Abstand vor allen anderen Anerkennungsformen – einen Dank von den Personen wünschen, denen sie geholfen haben.
Behörden Spiegel: Wo sehen Sie Handlungsbedarf bei den Freiwilligen Feuerwehren?
Rosenkranz: Ehrenamt in der Weise, wie es in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert entwickelt wurde, ist überhaupt nicht selbstverständlich und kann nicht als „eh da“ vorausgesetzt werden. Engagement ist ein freiwilliges Geschenk von Bürgerinnen und Bürgern, das nicht „verordnet“ werden kann, sich aber durch gute Rahmenbedingungen gestalten lässt.
Das beginnt bei der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit: wissen denn die meisten Hilfesuchendes, die die Notruf-Nummer wählen, dass in Deutschland oftmals gut qualifizierte Ehrenamtliche zu Hilfe kommen? Über diese spezielle Konstruktion der Hilfestrukturen zu informieren, wäre ein erster wichtiger Schritt.
Genauso wichtig wäre es, deutlicher über das Portfolio der Aufgaben und den Zeitbedarf zu informieren: Was muss ich bei der Freiwilligen Feuerwehr konkret tun? Was kann ich lernen? Was habe ich selbst davon? Wieviel Zeit muss ich aufwenden?
Unsere empirisch fundierte Empfehlung: sachliche Informationen sind hier zielführender als Werbung, die auf Druck setzt (wenn du nicht mitmachst, dann…). Eine Bildsprache, die auf „Helden im Flammenmeer“ verzichtet und die allgegenwärtige „Kameradschaft“ durch zeitgemäße Formen des Teams ersetzt, scheint hier attraktiver zu sein.
Behörden Spiegel: Um nochmal auf die Studie zurückzukommen: Wer löscht denn nun morgen?
Rosenkranz: Eine Struktur des Willkommens für Frauen, für Zugezogene aus dem In- und Ausland wäre ein wichtiges Signal. Es ist zwar naheliegend, zunächst nach der „einen“ Stellschraube zu suchen, die die anstehenden Veränderungen bei den Ehrenamtlichen aufhält oder ausgleicht. Womöglich wird man sich Gedanken machen, wie die Werbung „für Frauen“ zu gestalten ist, um künftig mehr neue Aktive anzusprechen. Das wäre jedoch zu kurz gedacht.
Aus Sicht der Ehrenamtsforschung erweist sich stattdessen das Konzept des „Strategischen Freiwilligenmanagements“ als zielführend. Dieser Ansatz berücksichtigt einerseits den konkreten Bedarf einer Organisation wie der Freiwilligen Feuerwehr. Andererseits wird die Perspektive der Aktiven und vor allem der künftig Aktiven genau in den Blick genommen und zur Grundlage des strategischen Handelns gemacht. Inhalte dieses Konzepts sind neben der künftigen Gestaltung der Kommunikation auch Fragen der Gewinnung von Ehrenamtlichen, der Bindung, der Bildung und Qualifizierung sowie der Anerkennung des Engagements.
Ausgebildete Freiwilligenmanagerinnen und -manager gibt es heute bereits in vielen anderen Bereichen des Ehrenamts – für die Freiwilligen Feuerwehren ist dies ein unbedingt notwendige nächster Schritt, hin zu einer strategischen Gestaltung der Personalentwicklung im Ehrenamt. Informationen unter anderem z.B. unter www.hochschul-kooperation-ehrenamt.de
Die Studie wurde unterstützt durch das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration und zwischen September 2021 bis Januar 2024 erstellt. Die Studie erscheint im August 2024 als kostenloser E-Reader im Verlag Beltz Juventa und ist öffentlich zugänglich. Erste Informationen im Internet unter www.wer-loescht-morgen.de