Der Chief Scientist des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE), Prof. Dr. Wolfgang Koch, erläutert im Interview, wie sich die Zukunft der Militärforschung in Deutschland gestalten könnte.
Behörden Spiegel: Wie sehen die Gegenwart und die Zukunft militärtechnischer Forschung hier bei uns in Deutschland aus?
Koch: Diese Frage lässt sich nur in Ausschnitten beantworten. Die militärtechnische Forschung in Deutschland, speziell in Bonn, konzentriert sich stark auf die Themen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Ergonomie, also dem menschlichen Faktor bei all diesen Themen. Im Mittelpunkt steht das Ziel, Informationsüberlegenheit zu erlangen, um letztlich Entscheidungs- und Wirkungsüberlegenheit zu sichern. Algorithmen spielen dabei eine Schlüsselrolle, indem sie riesige Datenmengen verarbeiten und den Entscheidungsprozess unterstützen.
Behörden Spiegel: Welche Rolle spielen Künstliche Intelligenz und Algorithmen in der militärtechnischen Forschung und welche Grenzen sehen Sie?
Koch: Algorithmen sind entscheidend für das Erstellen von Lagebildern, die den Entscheidungsträgern helfen, die Situation zu verstehen. Unvollständiges Wissen ist eine Herausforderung, die mithilfe von Algorithmen besser bewältigt werden kann. Ohne Algorithmen sind die erhobenen Daten wertlos, mit Algorithmen werden sie sehr wertvoll. Sie assistieren, indem sie Optionen aufzeigen, aber sie entscheiden nicht.
Behörden Spiegel: Wie wird denn zur Automatisierung militärisch geforscht?
Koch: Nach der Entscheidungsfindung muss die Entscheidung umgesetzt werden, und hier spielt die Teilautomatisierung oder Vollautomatisierung von bemannten und unbemannten Plattformen in allen Dimensionen eine Rolle. Für den Einsatz braucht es Plattformen und natürlich sind Kommunikation, Rechenleistung, z.B. der Quantencomputer, und der Einsatz von Cloud-Technologien wichtige Forschungsfragen. Beispiele sind die militärischen Luftkampfsysteme, insbesondere das Future Combat Air System, das uns derzeit besonders stark in Atem hält, und die akustische Aufklärung – sowohl auf dem Gefechtsfeld als auch unter Wasser.
Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt Akustik in der Unterwasserwelt für militärische Anwendungen?
Koch: Wasser an sich schränkt die Bandbreite der Kommunikationsmöglichkeiten ein. Akustik ist daher in der Unterwasserwelt das zentrale Mittel, um zu kommunizieren und zur Aufklärung beizutragen, da elektromagnetische Wellen hier nicht funktionieren. Die sogenannte Multi-Statik, d.h. die Nutzung von bestehenden Geräuschquellen und deren Echos, ermöglicht eine passive Aufklärung. Die akustische Forschung trägt so dazu bei, den Ozean für sich selbst durchsichtig zu machen und gleichzeitig eigene Aktivitäten unentdeckt zu halten.
Behörden Spiegel: Beeinflusst die geostrategische Lage die Forschung für den militärischen Bereich?
Koch: Die Ostsee ist ein bedeutendes Operationsgebiet für die Bundeswehr und bietet viele Forschungsfragen, insbesondere in einem Multi-Domain-Ansatz, der die Dimensionen See, Land, Luft und Weltraum umfasst. Dabei kann sich der Schwerpunkt zwischen den Dimensionen rasch verschieben, aber die Dimensionen werden immer dabeibleiben. Die Fähigkeit zur Datenverarbeitung, Datenfusion und Datenteilung sowie Command & Control-Systeme sind damit von zentraler Bedeutung für die Sicherheit in der Ostsee.
Behörden Spiegel: Welche weiteren geografischen Räume spielen eine Rolle in der militärischen Forschung?
Koch: Der Nordatlantik ist ein wichtiges strategisches Gebiet, um die Seeverbindungen zu den amerikanischen Verbündeten zu sichern. Ich könnte mir vorstellen, dass das sicher der Hintergrund sein wird für die große Bedeutung der neuen deutschen U-Boote. Auch die Arktis gewinnt militärisch und wirtschaftlich an Bedeutung – sowohl durch die Klimaerwärmung als auch durch die Seeverbindungen Nordwestpassage und Nordostpassage, die sie zu einem bedeutenden militärischen Operationsraum, aber auch zu einem hochinteressanten Wirtschaftsraum machen. Die Chinesen sprechen längst von den „Polar Silk Routes“. Vor diesem Hintergrund hatte die Luftwaffe auch im letzten Jahr eine Verlegeübung nach Island überdurchgeführt und die Gebirgsjäger haben im April in Nordnorwegen geübt, zusammen mit den NATO-Partnern. Insofern ist die Arktis ein wichtiger Raum. Und überall spielen die Gewinnung von Lagebildern, die Schaffung von Entscheidungsoptionen und mögliche Wirkungen eine große Rolle.
Gleichzeitig ist die Arktis aber auch der Hotspot der Klimaerwärmung. Man spricht von der „arctic amplification“. Die Klimaerwärmung geschieht in der Arktis bis zu viermal schneller als anderswo.
Behörden Spiegel: Wie sieht diese ergänzende akustische Umgebungsaufklärung in der Praxis aus?
Koch: Wir wissen aus dem Radarbereich eine ganze Menge, zum Beispiel wie man komplexe Array-Antennen aufbauen kann. Und der große Durchbruch in der Battlefield Akustik wurde dadurch erzielt, dass wir ein Prinzip aus der Radartechnik, nämlich die Krähennest-Antenne, ein Volumen-Array, also einen „Haufen“ von Empfängern, auf die Akustik übertragen haben.





