Lettland zeigt, wie die Verwaltungsdigitalisierung gelingen kann. Was können wir von diesem Ansatz für Deutschland lernen – und wo liegen die Grenzen des Vergleichs? Anna Ströbele kommentiert.
In Estland ist die Digitalisierung schon viel weiter – hört man oft. Und es stimmt. Das Gleiche gilt für seinen Nachbarn Lettland. Hier sind bereits 91 Prozent der Verwaltungsleistungen digital. Die Nutzungsquoten sind ebenfalls beeindruckend hoch und zeugen vom Erfolg des baltischen Staats. Aber kann man ein Land, welches ungefähr so viele Einwohner wie Hamburg hat, mit Deutschland vergleichen?
Dagegen sträuben sich viele und weisen im gleichen Atemzug auf den Föderalismus hin, der hierzulande allzu gerne für das langsame Vorankommen in der Digitalisierung verantwortlich gemacht wird. Diese Abwehrhaltung ist verständlich. Der Frust ist groß, die Aufgabe komplex und ein Kommentar à la „Macht‘s doch wie die!“ klingt in den Ohren vieler eher wie ein Vorwurf als ein gut gemeinter Rat.
Lettische Erfolgsfaktoren
Jedoch ist es gar nicht nötig, die beiden EU-Staaten direkt miteinander zu vergleichen, geschweige denn ein Vorgehen haargenau zu kopieren. Es reicht aus, sich den „Fall Lettland“ anzuschauen und zu verstehen, wie das Land so digital wurde. Die Abteilungsleiterin im Amt für Stadtentwicklung in Riga, Diāna Korbe, betont mitunter die kontinuierliche politische Unterstützung, eine übergreifende Vision sowie ein gutes Marketing. Ein Punkt scheint jedoch besonders charakteristisch für den „lettischen Weg“ zu sein: Platz für Kreativität und Platz für Fehler.
Was in deutschen Sphären immer wieder zur Sprache kommt, wird in Lettland bereits aktiv gelebt. „Unfälle passieren“, räumt der CEO eines Cargo-Scooter-Start-Ups vor versammeltem Publikum unverblümt ein. Eine realitätsnahe Einschätzung, die sich nicht nur auf tatsächliche Verkehrsunfälle beziehen lässt, sondern auch auf Fehler und Rückschläge im Entwicklungsprozess. Der CIO der Regierung meint ebenfalls, man habe in den letzten Jahren eine Lernkurve durchlaufen müssen.
So wird die Digitalisierung in Lettland angegangen. Die Geschwindigkeit steht über der Qualität. Eine Anwendung wird ausgerollt, bevor sie perfekt ist. Und mit der Erfahrung wird sie stetig verbessert. Da stellt sich die Frage: Ginge das in Deutschland überhaupt? Wo alles ausgiebig durchdacht, geprüft und von oben abgesichert sein soll, bevor es losgeht. Und selbst wenn die öffentliche Verwaltung entscheiden würde, einen 180-Grad-Kulturwandel zu vollziehen – was würden die Bürgerinnen und Bürger von „nicht-perfekten Verwaltungsleistungen“ halten?
Wer wir (nicht) sind
In jedem Fall lohnt sich der Blick über Grenzen hinaus und kann uns wertvolle Impulse schenken. Gleichzeitig sollten wir uns darüber im Klaren sein, wer wir sind – und wer nicht. Wenn wir das verändern wollen, müssen wir am ehesten bei uns selbst anfangen. Wir müssen „unfertige Lösungen“ akzeptieren und uns vom eigenen Perfektionismus verabschieden – oder zumindest nach hinten verschieben. Und wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir – wie in der Cyber-Sicherheit auch – keine hundert Prozent erreichen werden.




