Deutsche Kommunen klagen immer wieder über schlecht aufgestellte Haushalte und Finanzierungen: Zu viele Aufgaben werden ihnen von Bund und Ländern übertragen und zu wenig Geld zur Verfügung gestellt. Rheinland-Pfalz (RLP) möchte dies nun mit einer Investitionsoffensive für die eigenen Kommunen ändern. Das Sofortprogramm Handlungsstarke Kommunen soll mit 600 Millionen Euro Soforthilfe die angespannten Kommunalfinanzen verbessern.
Wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) bei einer Regierungserklärung Anfang Juli verlauten ließ, sollten die Handlungsstärke der Kommunen in drei Schritten verbessert und die Voraussetzungen für einen schnellen Investitionsbeginn geschaffen werden. Im ersten Schritt werde noch in diesem Sommer ein 600-Millionen-Euro- Sofortprogramm aus Landesmitteln zusammengestellt. Diese sollen über einen Nachtragshaushalt für die Jahre 2025 und ’26 (jeweils 300 Millionen Euro pro Jahr) bedarfsorientiert verteilt werden. „Damit unterstützen wir die Kommunen entscheidend in einer herausfordernden konjunkturellen Lage“, so der Ministerpräsident.
Für Schritt zwei wird aktuell ein Sondervermögensgesetz entwickelt, welches die wichtigsten Zukunftsprojekte für Rheinland-Pfalz aus Bildung, Klima und Infrastruktur definiert. Unter anderem sollen Schulen und Kitas, eine Klima-Wald-Offensive, verbesserte Rahmenbedingungen für die medizinische Versorgung, aber auch Investitionen in Mobilität und Hochwasserschutz finanziert werden. Dies dient laut Schweitzer dazu, die 4,8 Milliarden Euro aus dem Infrastruktur-Sondervermögen über die kommenden zwölf Jahre einzusetzen.
Im dritten Schritt sollen noch in diesem Sommer weitere Bürokratieabbau- Maßnahmen umgesetzt werden, um die definierten Zukunftsprojekte schneller und digitaler auf den Weg zu bringen. Das Sondervermögen Infrastruktur soll vollständig digital verteilt werden. „Über die Sommerpause werden wir Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden über das Vorhaben einer Investitionsoffensive führen. Wir werden selbstverständlich ebenso, wie es in Rheinland-Pfalz gute Tradition ist, mit Gewerkschaften und der Wirtschaft sprechen. Nach den Sommerferien werden wir die Gesetzentwürfe im Kabinett beraten und sie im Herbst ins Parlament einbringen“, erklärt Schweitzer das weitere Vorgehen.
Gemischte Gefühle
Nun gibt es zu dem Sofortprogramm und dem Zeitpunkt der Ankündigung unterschiedliche Meinungen. Mit voller Überzeugung steht die mitregierende Landesfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hinter der Ankündigung des Ministerpräsidenten. So sieht die Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Haushalt, Kommunen und Digitalpolitik, Pia Schellhammer, darin eine „beispiellose Investitionsoffensive“. Gemeint sind neben dem Sofortprogramm aber auch die 4,8 Milliarden Euro des Bundes. Gleichzeitig kritisiert sie auch die kommunale Seite: Damit die Mittel ihre Wirkung richtig entfalten könnten, brauche es auch eine leistungsfähige Verwaltungsstruktur, besonders vor Ort, wo die Projekte geplant und umgesetzt werden müssen. „Es kann nicht sein, dass die Kommunen auf der einen Seiten immer mehr Geld fordern und auf der anderen Seite nicht reformbereit sind, wenn es darum geht, auch die Kommunalstruktur an die Erfordernisse ihrer Zeit anzupassen“, ist Schellhammer der Überzeugung.
Ralph Spiegler, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm (SPD), Vorsitzender des Gemeinde und Städtebunds Rheinland-Pfalz (GStB RLP) sowie Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB), vertritt eine gespaltene Meinung. Für ihn haben Bund und Land mit den geplanten Maßnahmen wichtige Weichen für Städte und Gemeinden gestellt – damit sei es aber noch nicht getan. Zwar seien 600 Millionen Euro eine gewaltige Summe, die auch zu einer Entlastung der Stadt- und Kreishaushalte führen werde, jedoch werde die Mehrheit der Städte, Gemeinden und Ortsgemeinden von den Mitteln nichts erhalten, da das Geld nicht in den kreisangehörigen Raum fließe. Spiegler ist sich sicher: „Die Soforthilfe lindert Symptome, löst aber keinesfalls die strukturelle Finanzkrise der Kommunen.“
Auch das Sondervermögen des Bundes sei ein „Hoffnungssignal für kommunale Investitionen“, jedoch sollten sich Kommunen darauf beschränken, in die „Kerninfrastruktur wie Schulen, Kitas, Sportanlagen und Feuerwehr zu investieren“. Der Digital-Only-Ansatz, den RLP in seinem dritten Schritt für die Auszahlung der Mittel anstrebt, sei längst überfällig. Zusätzlich dürften die Investitionen nicht mit bestehenden Fördermaßnahmen des Landes kollidieren und es bedürfe einer deutlichen Lockerung des Vergaberechts, erklärt Spiegler. Für eine Sprecherin und den geschäftsführenden Direktor des Städtetags Rheinland-Pfalz, Michael Mätzig, ist es positiv, dass das Land das Problem der Kommunen erkannt habe und mit dem Sofortprogramm weitere Schritte einleite, allerdings kritisieren sie das Vorgehen des Landes insgesamt.
Kein wirklicher Befreiungsschlag
Wie Mätzig aufschlüsselt, weise der Gesamthaushalt der Städte und Landkreise allein 2025 ein Defizit von über einer Milliarde Euro auf. Noch schlimmer sehe es im Teilbereich der Jugend- und Sozialhilfe aus, wo das Defizit bei mehr als drei Milliarden Euro liege. In diesem Punkt sind sich Städtetag und der GStB RLP einig: Es handele sich um eine Linderung aber keinesfalls um eine Behebung der kommunalen Haushaltsprobleme. Auch was die 4,8 Milliarden angeht, sind beide Organisationen einer Meinung. Doch der Städtetag RLP hinterfragt den Zeitpunkt der Regierungserklärung – und deren Hintergründe.
Denn die katastrophale kommunale Finanzsituation habe einige Kommunen und Landkreise zu offiziellen Klagen gegen das Land gebracht, erklärt die Sprecherin des Städtetags. Erst Ende Juni – nur wenige Tage vor der Regierungserklärung – hatte die Stadt Pirmasens zusammen mit dem Städtetag RLP eine erneute offizielle Klage gegen das Land beschlossen. Darin fordern sie, dass das Land die Kommunen finanziell so ausstattet, dass sie ihre Aufgaben erfüllen können – insbesondere diejenigen, die ihnen von Bund und Land übertragen wurden. So soll einer immer neuen Verschuldung vorgebeugt werden. „Vor dem Hintergrund, dass die strukturellen Probleme der Städte – und damit insbesondere auch der Stadt Pirmasens – mit den vorgestellten Maßnahmen nicht gelöst werden können, wird die Stadt ihre Klage – auch stellvertretend für alle Städte im Land – weiter vorantreiben“, ergänzt die Sprecherin.
Kein Blatt vor dem Mund
Der enge zeitliche Zusammenhang lege nahe, dass der Druck von kommunaler Seite doch hoch genug geworden sei, um das Land zum Handeln zu bewegen, ist Mätzig überzeugt. Besonders im Zusammenspiel mit den vom Ministerpräsidenten angekündigten Lockerungen bei der Kommunalaufsicht dränge sich Mätzig der Verdacht auf, dass durch die Maßnahmen „die Kommunen bis zur nächsten Landtagswahl ruhig gehalten werden sollen“. Seriöse und nachhaltige Finanzpolitik sehe anders aus und vom Konnexitätsprinzip fehle ebenfalls jede Spur. Daher richtet der geschäftsführende Direktor des Städtetags RLP klare Worte an die Landesregierung: „Die Kommunen sind keine Bettler, denen man je nach Kassenlage mal ein paar Almosen zuwirft. Wir sind die, die den Laden zusammenhalten und für Bund und Land die Arbeit erledigen.“ Dafür brauche es auch das nötige Geld – vollumfänglich und dauerhaft, ohne ständige Diskussionen oder politische Taktiererei.





