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Rolle rückwärts

Deutschlands Verteidigungspolitik steht vor neuen Herausforderungen: Die geplante Aufstockung der Bundeswehr bringt in vielen Kommunen langfristige Stadtentwicklungskonzepte zum Scheitern. Dringend benötigter Wohnraum steht auf dem Spiel. 

„Ein lebendiges Wohn- und Dienstleistungsquartier, in dem die Natur eine große Rolle spielt“. So beschreibt die Stadt Speyer auf ihrer Webseite das Entwicklungskonzept für die örtliche Kurpfalz-Kaserne. Der Gebäudekomplex, der vor mehr als 50 Jahren zu militärischen Zwecken errichtet wurde, sollte von der Stadt als modernes Baugebiet mit urbaner Mischung erschlossen werden. „Spiel, Sport und Begegnung“ sollten hier möglich sein – so hieß es weiter in der Beschreibung des Nutzungskonzepts. Dafür sollte das Areal aus dem Besitz der Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) in kommunale Trägerschaft überführt werden. Seit Kurzem liegen die ambitionierten Stadtentwicklungspläne auf Eis: Das Bundesverteidigungsministerium stoppte den Verkauf der Kaserne, um zu prüfen, ob die Liegenschaft in Zukunft wieder einer militärischen Nutzung zugeführt wird. 

Pläne für zivile Nachnutzung liegen auf Eis

Damit steht die Stadt nicht allein da: Die Kurpfalz-Kaserne in Speyer ist Teil einer Liste von insgesamt 200 ehemaligen Militärstandorten, die nun wieder in den Aufmerksamkeitsfokus des Bundes gerückt sind. Ende Oktober verkündete das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) einen Umwandlungsstopp für die ehemaligen Militär-Liegenschaften, da es wegen der geplanten Aufstockung der Bundeswehr in Zukunft auch wieder mehr Militärstandorte nötig seien.

Die in vielen Kommunen bereits angelaufenen Planungen für eine zivile Nachnutzung sind damit vorerst vom Tisch. 187 der genannten Standorte befinden sich im Besitz der BImA, 13 weitere werden von der Bundeswehr betrieben. Die genannten Liegenschaften sollen Teil einer „strategischen Liegenschaftsreserve der Bundeswehr“ werden und somit kurzfristig bei Bedarf von der Bundeswehr genutzt werden können.

Janine Friedmann, die Sprecherin der Stadt Speyer, erklärt, dass der Bedarf an Wohn- und Gewerbeflächen in Speyer groß sei. „Der Wegfall der potenziellen Stadtentwicklungsflächen ist deshalb sehr bedauerlich“, ergänzt sie. Die Kurpfalz-Kaserne habe als eines der letzten größeren, zum Teil bereits versiegelten Areale „eine ausgezeichnete Grundlage für eine nachhaltige Nachnutzung“ geboten. Bereits seit mehreren Jahren laufen die Kaufverhandlungen mit der BImA für das knapp 24 Hektar große Gelände. Ebenso lange werden in der Stadtverwaltung die Pläne für eine zivile Nachnutzung ausgearbeitet. Die Stadt kritisiert vor allem das Vorgehen des Bundes. „Wir hätten uns eine direkte Information seitens des Bundes oder der BImA gewünscht“, erklärt Sprecherin Friedmann. Stattdessen habe man erst durch eine eigenständige Auswertung von öffentlichen Mitteilungen von dem Umwandlungsstopp erfahren. „Für eine verlässliche Stadtentwicklung braucht es transparente Entscheidungen und einen partnerschaftlichen Austausch auf Augenhöhe zwischen Bund und Kommune“, kritisiert die Stadtsprecherin weiter.

Matthias Steffan, der Oberbürgermeister der Stadt Schwetzingen, sieht das ähnlich. „Unser Wunsch wäre gewesen, über die Pläne des Bundes nicht erst auf Nachfrage, sondern aktiv und frühzeitiger informiert zu werden“, erklärte er gegenüber dem Behörden Spiegel. Nun sei es aus seiner Sicht wichtig, dass die betroffenen Kommunen vor einer endgültigen Entscheidung zumindest angehört werden. Auch sollten Planungen, die bereits fortgeschritten sind, bei der Entscheidung des Bundes berücksichtigt werden. In Schwetzingen ist die ehemalige Tompkins-Kaserne von dem Umwidmungsstopp betroffen. Die Nachricht habe die Stadt zu einer Zeit erreicht, als die Planungen für eine zivile Nutzung bereits „sehr weit fortgeschritten“ waren, so Steffan.

Forderung nach einer „Infrastrukturwende“

Seit 2022 befand sich die Stadt in einem engen Abstimmungsprozess mit der BImA, 2023 gab es eine gemeinsame Absichtserklärung sowie einen städtebaulichen Entwurf für einen neuen Wirtschafts- und Gewerbestandort auf dem Tompkins-Gelände. Dass alle Mühen nun vorerst im Sand verlaufen, sei „unerfreulich“, sagt Steffens. Die Stadt habe dringend eine Entwicklungsfläche für die Ansiedlung von Unternehmen und Gewerbe gebraucht.

„Wir sind uns der Tragweite der Entscheidung sehr bewusst und wissen, dass in vielen Fällen bereits Planungen bestehen, betroffene Flächen zivil zu nutzen“, erklärte dazu Nils Hilmer, Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Wo immer dies möglich sei, werde man versuchen, bestehende zivile Planungen zu berücksichtigen.

Mit der Umwandung von alten Militärstandorten für zivile Zwecke war in den frühen 1990er begonnen worden, nach Aussetzung der Wehrpflicht in den 2010er Jahren wurde die Umwandlung fortgesetzt. Zur Aussetzung der Umwidmung und den „massiven Folgen“ der Zeitenwende äußert sich auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB). In einer Pressemitteilung schreibt er, dass die Städte und Gemeinden nun parallel dringend eine „Infrastrukturwende“ benötigten. Ihnen würden nicht nur Liegenschaften für die Stadtplanung fehlen, es müssten auch Kitaplätze für die Kinder der Soldatinnen und Soldaten geschaffen werden. Zudem brauche es strukturelle Verbesserungen bei Straßen, Brücken und Bahnanbindungen.

Beschleunigung darf nicht „am Kasernentor enden“

„Die Kommunen können diese riesigen Investitionen nicht allein bezahlen, da sie finanziell ohnehin schon stark belastet sind“, schreibt der DStGB. Hinzu komme: Wenn Bauprojekte für die Bundeswehr schneller genehmigt werden, dann müsse dies auch für die notwendigen Bauprojekte der Kommunen gelten. Beschleunigung dürfe nicht „am Kasernentor enden“. Wenn sich die Bundeswehr künftig stärker auf die Verteidigung fokussiere, habe dies zur Folge, dass sie bei Katastrophen wie Hochwasser nicht mehr so umfassend helfen könne wie bisher. Der DStGB mahnt deshalb an: Nicht nur die Verteidigungsfähigkeit, auch der Bevölkerungsschutz vor Ort müsse dringend gestärkt werden.

Platz für 10.000 Bewohnerinnen und Bewohner sowie Raum für 5.000 Arbeitsplätze – das bietet das Heidelberger Patrick-Henley-Village. Auch hier plante die Stadt seit Jahren, das Gelände anzukaufen. Seit Langem gebe es Verhandlungen mit der BiMA, teilte der Pressesprecher der Stadt, Christian Beister, mit. Das Patrick-Henley-Village sei die letzte große Entwicklungsfläche, die Heidelberg habe. Die Stadt stehe derzeit in engem Kontakt mit dem BMVg, um die Entwicklungsperspektive für das Gelände „beizubehalten“.

Wie viel zusätzlicher Wohnraum bundesweit auf dem Spiel steht, ist derzeit noch unklar. Für Christian Schuchardt, den Geschäftsführer des Deutschen Städtetags, ist jedoch klar: „Der Umwandlungsstopp wird für die betroffenen Kommunen eine riesige Herausforderung.“ Wo die Menschen fest mit neuen Wohnungen gerechnet hätten, sei das „ziemlich bitter“.   

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