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StartVerteidigungDer Ukraine-Krieg als "lebendige Reaktion"

Der Ukraine-Krieg als „lebendige Reaktion“

In seinem Artikel: „Military Offensives, Hybrid Attacks – And No Peace in Sight“, hat Professor Sven Biscop, Direktor des Europe in the World Programme im Egmont Institute in Brüssel, auf Clausewitz verwiesen: „Es ist alles im Kriege sehr einfach, aber das Einfachste ist schwierig.“

Die Schwierigkeit entsteht durch Vieles, im Besonderen aber dadurch, dass der Angreifer oder Verteidiger nicht gegen eine bloße Materie antritt, sondern gegen einen Gegenüber mit eigenen Ideen, Interessen, politischen Zwecken. Es findet also fortlaufend eine „lebendige Reaktion“ statt. „Diese Wechselwirkung wirkt starrer Planmäßigkeit entgegen. Die Wirkung, welche irgendeine Maßregel auf den Gegner hervorbringt, ist das Individuellste, was es unter allen Datis des Handelns gibt“, so Clausewitz. An der Erörterung nach den Entscheidungen Putins für die Annexionen und die Teilmobilmachung lässt sich das gut ablesen. Da westliche Gesellschaften und Regierungen ihre antwortenden Maßnahmen öffentlich(er) diskutieren, geben sie dem Kreml zusätzliche Quellen, um diese in sein Handeln einzuordnen.

Evangelische Friedenstexte formulieren die Maxime: „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein“. Clausewitz folgert nach gründlicher, ja philosophischer Erörterung: „Krieg gehört … in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löst, und nur darin ist er von den anderen verschieden“. Und so ist es auch in der schon seit Jahren anhaltenden Auseinandersetzung, die Putin mit seinen Nachbarn und dem „Westen“ insgesamt immer drastischer zu führen bereit ist. Und es wird in diesem Krieg auch offensichtlich, dass Clausewitz‘ Hinweis, dass der Handel sich am ehesten mit ihm vergleichen ließe, heute in besonders drastischer Form als ein Mittel erweiterter Kriegführung eingesetzt wird. Deshalb ist es ein Spiel mit Worten, wenn NATO und EU immer noch argumentieren, dass sie nicht Kriegspartei werden wollen. Was sie meinen, ist, dass sie diesen Krieg nur ohne Einsatz eigener Soldaten auf dem Schlachtfeld in der Ukraine führen wollen. Das gibt Russland einen gehörigen Vorteil, da dies u.a. die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine (seit Kriegsbeginn von ihr dringendst gefordert) weiter ausschließt, obwohl dazu nicht einmal eigene Soldaten auf dem Gebiet der Ukraine stationiert werden müssten. Völkerrechtlich gibt es jedenfalls keine Bestimmung im Artikel 51 der UN Charta, dass ein überfallener Staat im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung nur durch Material anderer Staaten, aber nicht durch deren Truppen unterstützt werden darf.

Es sind politische Ermessens-, ja Zweckmäßigkeitserwägungen, mit dem Hinweis, keinesfalls als erster direkt russische Soldaten anzugreifen. Man will Russland keinen offensichtlichen, propagandistisch zu nutzenden Anlass liefern, um seine militärischen Aktionen auf NATO- oder EU-Gebiet auszudehnen. Dazu zählt auch, dass man der Ukraine keine weitreichenden Waffen liefern will, die wirksam militärische Ziele in Russland bekämpfen und so die russische Führungsfähigkeit und breite Logistik einschränken könnten. Gerechtfertigt wird das politisch immer mit dem Vermeiden eines „Dritten Weltkriegs“. Das ist inzwischen zu einer Art Mantra geworden.

Dieses Verhalten mag oder mag nicht eine direkte militärische Auseinandersetzung von NATO- und EU-Staaten mit Russland derzeit vermeiden. Aber in jedem Fall bedeutet diese politische Festlegung, dass der Krieg in und um die Ukraine zeitlich und in seiner Intensität verlängert wird. Dies um so mehr, als die militärische Unterstützung der Ukraine durch NATO- und EU-Mitgliedstaaten zwar beachtlich ist, aber immer noch nicht das Kräfteverhältnis an der Ost- und Südfront in der Ukraine erkennbar, geschweige denn durchschlagend zugunsten der Ukraine verändert.

Jetzt kehren wir wieder zu den politischen Zwecken zurück. Putin hat in seiner Rede am 30.09. anlässlich der illegalen Annexionen noch einmal massiv seinen Hass und seinen Angriff gegen den „Westen“ – über die Vernichtung der Ukraine hinaus – bekräftigt. Daran gibt es nun keine Zweifel mehr. Das Ziel der westlichen Staaten in NATO und EU konzentriert sich auf die Wiederherstellung der territorialen Integrität und vollen Souveränität der Ukraine. Und in der Folge sicherheitspolitische Garantien, die einen erneuten russischen Angriffskrieg ausschließen sollen.

Bei dieser gegensätzlichen Lage bedeutet jeder Waffenstillstand auf dem status quo einen wesentlichen Vorteil für den Angreifer. Er kann seine Kräfte konsolidieren und die Assimilierung der annektierten Teile intensivieren. Das widerspricht dem selbst gesetzten politischen Zweck der Ukraine und dem – jedenfalls deklaratorisch – ständig artikulierten Ziel der westlichen Staaten, sich für die volle Souveränität der Ukraine einzusetzen. Alle Befürworter eines (raschen) Waffenstillstandes sind bisher jedenfalls die Antwort schuldig geblieben, wie sie denn nach einem vereinbarten Waffenstillstand zügig die Rücknahme der Annexionen und den Rückzug der russischen Truppen erreichen wollen. Wer dazu keine plausiblen Vorschläge hat, muss sich sagen lassen, dass er einen anderen politischen Zweck verfolgt und für ihn die territoriale Integrität der Ukraine nachrangig ist. Eine solche Politik zementiert dann auch die Lage in Moldawien und Georgien. Und sie kann für Russland der Ausgangspunkt sein, andere Gebiete zu besetzen und dann Verhandlungen unter Wahrung des „fait accompli“ anzubieten. Eine solche Entwicklung sollten, ja müssen, NATO und EU sowie ihre Mitgliedstaaten mit ihren Partnern auf jeden Fall verhindern. Also: weiter Unterstützung der Ukraine und Sanktionen gegen Russland.

Der Autor des Gastbeitrags istGeneralleutnant a.D. Dr. Klaus Olshausen.

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