Es bleibt ein „was wäre, wenn“. Was wäre, wenn die EU und NATO auf die angeblichen Militärübungen Russlands an der ukrainischen Grenze zu Beginn dieses Jahres reagiert hätten. Was wäre, wenn Deutschland sich nicht abhängig vom russischen Gas gemacht hätte. Aber auch, was wäre, wenn die demokratischen Staaten – schließlich helfen neben NATO und EU auch zahlreiche andere Länder wie beispielsweise Israel oder Japan – die Ukraine nicht unterstützen würden?
Die letzte Frage stellte eine der bekanntesten Moderatorinnen des russischen (Staats-)Fernsehens, Olga Skabejewa, während der kremltreuen Talksendung „60 Minuten“. Skabajewa – und ihre Gäste – hielten einerseits fest, dass Russland sich nicht nur in einem Krieg mit der Ukraine, sondern mit der NATO befände. Nur hierauf seien die russischen Niederlagen zurückzuführen. Dies mündete in der Frage, warum Russland vom Eingreifen der NATO überrascht worden sei.
Da die Antwort „Fehleinschätzung durch Wladimir Putin“ in einer Diktatur nicht gegeben werden kann, läuft die offizielle Kommunikation des Kreml mittlerweile in die Richtung „Fehleinschätzung der beratenden Fachleute“. Dies zeigt die neue Veröffentlichungspolitik der russischen Führung. Rückschläge und Niederlagen werden nicht in Siege umgedeutet oder vertuscht, sondern zugegeben. Die Bevölkerung auf einen längeren, durchaus entbehrungsreichen Krieg vorbereitet. Der Gegner dieses langen Krieges ist natürlich nicht die Ukraine, sondern die NATO, ohne deren Eingreifen man schon längst gewonnen hätte. Und mit deren Eingreifen die (anonymen) Fachleute nicht rechneten.
Diese neue Kommunikationspolitik zeigt allerdings auch, dass Russland mittlerweile von einem längeren Krieg ausgeht und nicht gewillt ist, von dem Ziel der vollständigen Eroberung der Ukraine abzulassen. Russland stellt sich auf längere Entbehrungen, aber auch längere Wirtschaftssanktionen, größere Verluste im menschlichen, militärischen und wirtschaftlichen Bereich ein. Es gilt neue Verbindungen zu knüpfen, während die Zeit vor dem Ukraine-Angriff auch für Russland nicht wieder einholbar ist.
Am 21. Oktober fand übrigens das erweiterte Treffen des „Eurasian Intergovernmental Council“ (EAEU) unter russischer Leitung mit Repräsentanten von Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisien, Kuba und Usbekistan statt. Ziel ist der Aufbau von einheitlicheren Wirtschaftsbeziehungen. In der Abschlusserklärung ist zu lesen: „Wir setzen den Aufbau eines harmonischen Systems der Zusammenarbeit in allen Tätigkeitsbereichen der Union auf Konsensbasis und unter Berücksichtigung der Standpunkte aller EAEU-Mitgliedstaaten fort, um in erster Linie die Lebensqualität der Bürger unserer Länder zu verbessern und eine möglichst vorteilhafte Wirtschaftsumgebung zu schaffen.“




