Die Organisierte Kriminalität (OK) rückt mehr und mehr ins Blickfeld der Inneren Sicherheit in Deutschland. Während die mediale Aufmerksamkeit zur Zeit vor allem auf der sogenannten Mocro-Mafia und dem Drogenschmuggel aus Südamerika liegt, existieren auch andere Formen der OK, die die Fahnder deutscher Sicherheitsbehörden im Visier haben. So konnten im April dieses Jahres elf Angehörige – darunter auch führende Mitglieder – der nigerianischen Bruderschaft „Black Axe“ festgenommen werden.
Die Autorinnen Dinah Elisa Kreutz, Mitglied im Arbeitskreis Terrorismus und Innere Sicherheit der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., und Lisa Erlmann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Intelligence and Security Studies (CISS), Universität der Bundeswehr München, gehen in ihrem Aufsatz „Zwangsprostitution, Love Scam und Geldwäsche“ Wurzeln, Strukturen und der nigerianischen Mafia in Deutschland auf den Grund.
Wurzeln in Nigeria
Den historischen Ursprung at die Organisation dabei im studentischen Milieu der siebziger Jahre in Benin-City und Ibadan. Setzten sich die Bruderschaften seinerzeit vor allem für Gerechtigkeit und gegen Rassismus und Unterdrückung ein radikalisierten sie sich in den achtziger und neunziger Jahren unter der damals herrschenden Militärdiktatur, die versuchte die Gruppierungen aufzuspalten. Die zwischen den Bruderschaften bestehende Konkurrenz eskalierte schließlich in einem Ausbruch von Gewalt und gezielten Morden. Inzwischen operieren sie in verschiedenen kriminellen Bereichen wie Menschenhandel, Zwangsprostitution, Cyberkriminalität, Love Scam, Drogenhandel, Fälschungskriminalität und Geldwäsche.
Die Gruppierungen sind okkultistisch-spirituell – insbesondere im spirituellen Glaubenssystem des in Nigeria verbreiteten Juju verankert – geprägt, was eine verstärkte Loyalität zur Gruppe bewirkt. Aufgrund der Bedeutung dieses Glaubens für die Strukturen und Aktivitäten der Gruppierungen, werden diese auch als Kulte bezeichnet. Sie sind hierarchische beziehungsweise paramilitärisch strukturiert und verfügen über regionale Unterorganisationseinheiten. In Nigeria sind sie mit Politik, Polizei, Militär und Sicherheitsbehörden verwoben.
Größe unbekannt
Während über die genaue Größe und die finanziellen Mittel der einzelnen Gruppierungen nichts bekannt ist, weiß man, dass beispielsweise die „Black Axe“-Bruderschaft Verbindungen zu Vereinen besitzt, die sich öffentlich als karitative Organisation ausgeben. So ist in Deutschland seit 2002 der gemeinnützige Verein „Neo-Black Movement Germany e. V.“ eingetragen. In Deutschland schätzt man die Mitgliederzahl von „Black Axe“ auf eine dreistellige Zahl. Nach BBC-Recherchen beträgt diese weltweit über 30.000 Mitglieder.
Die nigerianische Mafia, die ursprünglich vor allem in Italien aktiv war, hat sich mittlerweile auch auf andere europäische Länder wie Deutschland und die Schweiz ausgeweitet. Bereits 2015 warnte das Bundeskriminalamt (BKA) vor einem Anstieg des nigerianischen Menschenhandels nach Deutschland, wo Nigerianerinnen zwischen 2010 und 2012 die größte Gruppe von Opfern aus Drittstaaten darstellten. Im Jahr 2019 folgte eine weitere Warnung des Bundesnachrichtendienstes (BND) über zunehmende Aktivitäten der nigerianischen Mafia in Deutschland, insbesondere durch Gruppen wie „Black Axe“ und die „Supreme Eiye Confraternity“.
Schwerpunkt in Bayern
In den Verfassungsschutzberichten des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz wird seit 2019 ein eigenes Kapitel zur nigerianischen organisierten Kriminalität geführt, in dem mehrere aktive Organisationen genannt werden. Nigerianerinnen stellten bis zum letzten gesonderten Bericht des BKA im Jahr 2019 die größte afrikanische Opfergruppe bei Zwangsprostitution dar. Die Zahl der nigerianischen Opfer stieg von 25 im Jahr 2016 auf 61 im Jahr 2018, fiel jedoch 2019 auf nur noch 16 Personen. In den folgenden Jahren wurden keine gesonderten Zahlen mehr veröffentlicht, da die Opferzahlen nicht mehr im zweistelligen Bereich lagen.
Auf Täterseite wurden in den Jahren 2017 bis 2019 insgesamt 29, 41 und 11 nigerianische Tatverdächtige erfasst. Ab 2020 bewegte sich die Anzahl der Tatverdächtigen im einstelligen Bereich, bis Nigeria für das Jahr 2022 wieder mit 13 Tatverdächtigen aufgeführt wurde. Die Dunkelziffer sowohl bei Opfern als auch bei Tätern dürfte erheblich höher sein.
Um dem Problem des nigerianischen Menschenhandels entgegenzuwirken, wurde bereits 2012 auf EU-Ebene das Projekt „ETUTU“ ins Leben gerufen, um Kooperationen zu verbessern. Trotz dieser Bemühungen wird die Bekämpfung der nigerianischen organisierten Kriminalität durch Verwicklungen lokaler Politiker erschwert, was die Zusammenarbeit mit deutschen Behörden beeinträchtigt.
Erschwerte Ermittlungen
In Deutschland gab es jedoch bereits Razzien und Festnahmen im Zusammenhang mit nigerianischem Menschenhandel. So wurde beispielsweise ein hochrangiges Mitglied einer nigerianischen Mafia-Organisation in Nordrhein-Westfalen verhaftet. Auch bei internationalen Operationen gegen „Black Axe“ wurden zahlreiche Festnahmen durchgeführt und Vermögenswerte beschlagnahmt.
Die Ermittlungen werden durch interne Verschwiegenheit sowie Abhängigkeiten der Opfer von den Tätern erschwert. Der Glaube an Juju-Rituale trägt ebenfalls dazu bei, dass viele Opfer nicht aussagen können oder wollen. Umso wichtiger für die Strafverfolgungsbehörden sind daher Aussagen der Opfer für die, um gegen diese Form der organisierten Kriminalität vorgehen zu können.
Die vollständige Publikation „Stresstest für die innere Sicherheit Deutschlands“ finden Sie auf der Internetpräsenz der Konrad Adenauer Stiftung.




