Im Rheinland fragt man sich häufig: Woran hat et jelegen? („Woran hat es gelegen?—für Nicht-Rheinländer.) Es ist eine der häufigsten Fragen nach einem Schadensereignis. Wieso haben bestimmte Maßnahmen und Planungen nicht so funktioniert wie geplant? Anfang des Jahres ist die „Meldeplattform Gefahrenabwehr“ gestartet. Was diese Plattform in dieser Frage anders machen will und wie sie funktioniert, erklärt Prof. Dr. Henning Goersch von der FOM Hochschule. Die Fragen stellte Bennet Biskup-Klawon.
Behörden Spiegel: Was soll die Meldeplattform leisten?
Prof. Dr. Henning Goersch: Die neue Plattform soll sich bundesweit etablieren und insbesondere außerhalb von Katastrophen und konkreten Einsatzlagen genutzt werden. Ziel ist es, Schwachstellen im System zu erkennen und zu benennen – unabhängig von akuten Ereignissen.
Häufig sehen wir erst im Nachgang großer Katastrophen, was nicht funktioniert hat, welche Fehler passiert sind und was wir daraus hätten lernen können. Dieser typische Zyklus – erst nach dem Ereignis zu reagieren – soll durch die Plattform durchbrochen werden.
Deshalb wollen wir bereits im Vorfeld, also ohne konkreten Anlass, systematisch einen Blick auf die Gefahrenabwehr werfen. Dabei geht es uns um zwei Dinge: Zum einen wollen wir Schwächen im System identifizieren, um sie frühzeitig zu benennen. Zum anderen sollen aber auch positive Beispiele sichtbar gemacht werden – also Strukturen und Abläufe, die besonders gut funktionieren und als Vorbild dienen können. Diese sollen ebenfalls systematisch erfasst und als mögliche Lösungen bereitgestellt werden.
Behörden Spiegel: An wen richtet sich diese Plattform und wer kann sich daran beteiligen?
Goersch: Die Plattform richtet sich in erster Linie an die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr, insbesondere an Akteure aus dem Bevölkerungsschutz, dem Rettungswesen und dem Brandschutz. Grundsätzlich kann aber auch die polizeiliche Gefahrenabwehr Beiträge leisten. Wir haben das bewusst offengehalten.
Ein wichtiger Aspekt ist: Es geht uns nicht darum, einzelne Organisationen oder Personen bloßzustellen. Die Plattform arbeitet deshalb mit bewusst grober Auflösung – etwa auf Ebene von Fachdiensten oder Bundesländern. So lassen sich Probleme und gute Ansätze erkennen, ohne jemanden konkret an den Pranger zu stellen.
Geplant ist, die gesammelten Erkenntnisse mindestens einmal im Jahr auszuwerten und sowohl der Fachöffentlichkeit als auch der Politik und interessierten Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung zu stellen. So wollen wir regelmäßig Impulse geben, wie sich unser System der Gefahrenabwehr verbessern lässt.
Behörden Spiegel: Wann soll die Plattform starten?
Goersch: Wir befinden uns jetzt in der zweiten Phase der Plattformentwicklung. An dem Projekt wurde lange gearbeitet – mit zahlreichen Tests und iterativen Anpassungen. Seit dem 1. Februar läuft die Plattform bereits in einer erweiterten Testphase. Nun wollen wir sie einem größeren Publikum zugänglich machen.
Aktuell liegen uns bereits rund 150 bis 160 Rückmeldungen vor. Im Laufe des Jahres möchten wir noch weitere Einsendungen sammeln, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten. Dabei ist uns wichtig zu betonen: Wir gehen mit einer gewissen Offenheit und auch Skepsis in dieses Projekt. Es ist durchaus möglich, dass die Plattform wieder eingestellt wird – etwa dann, wenn sie nicht angenommen wird oder sich das Konzept als nicht tragfähig erweist.
Ziel ist jedoch nicht, einzelne Vorfälle im engeren Sinne zu analysieren – wie es zum Beispiel bei klassischen Reporting-Systemen der Fall ist –, sondern vielmehr systemische Schwächen und funktionierende Lösungsansätze zu identifizieren. Das unterscheidet unsere Plattform deutlich von bestehenden Modellen. Sie ist auch nicht als Ersatz für bestehende Organisationsstrukturen gedacht, sondern als ergänzendes Analyse- und Lerninstrument.
Verortet ist das Projekt am FOM-Institut für Public Management, konkret in der Forschungsgruppe Gefahrenabwehr. Von dort aus wird es fachlich betreut und gesteuert. Es gibt eine eigene Steuerungsgruppe sowie eine Anonymisierungsgruppe, die sicherstellt, dass keine personenbezogenen Daten verarbeitet werden und gleichzeitig eine hochwertige wissenschaftliche Auswertung möglich ist.
Behörden Spiegel: Wann ist mit den ersten Ergebnissen zu rechnen?
Goersch: Geplant ist, etwa ein Jahr nach dem Start – also zu Beginn des Jahres 2026 – erstmals umfassend über die Ergebnisse und Erkenntnisse der Plattform zu berichten. Unser Ziel ist es, nicht erst im Nachhinein nach Ursachen und Verantwortlichkeiten zu suchen, wenn etwas schiefgelaufen ist. Vielmehr wollen wir typische Fragen wie „Warum hat das nicht funktioniert?“ bereits im Vorfeld stellen. Es geht darum, systematische Schwächen frühzeitig zu erkennen, zu priorisieren und gezielt zu thematisieren – noch bevor ein konkreter Vorfall eintritt.
Durch diese kontinuierliche, ereignisunabhängige Betrachtung hoffen wir, Muster zu identifizieren und Lösungen zu entwickeln, mit denen potenzielle Probleme frühzeitig adressiert werden können. Das ist ein zentraler Gedanke der Plattform.




