„Es gibt nur zwei Treiber, mit denen so etwas funktionieren kann“, so Prof. Dr. Robert Müller-Török, Professor und Studiendekan für digitales Verwaltungsmanagement an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, über den notwendigen Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung. Um die preußische Regeltreue und die aus den Jahren des Wohlstands geborene Risiko-Aversion abzulegen und echte Entbürokratisierung zu ermöglichen, brauche es entweder leere Staatskassen oder einen starken politischen Willen. So sei etwa Portugal an sein erstklassiges zentrales Beschaffungssystem oder Österreich an seine digitale Verwaltung gekommen.
In Deutschland sei die Not aktuell noch nicht groß genug. Zwar ist die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren nicht gewachsen, der demografische Wandel hat aber bisher verhindert, dass dies zu massiv steigenden Arbeitslosenquoten führt. Auch die Haushaltsdefizite wachsen an, doch noch können die wichtigsten Ausgaben bewältigt werden. Es sei eine Begleiterscheinung unserer langen Friedensperiode, erklärte die ehemalige Vorsitzende des Normenkontrollrats Baden-Württemberg Dr. Gisela Meister-Scheufelen in der Diskussion bei Baden-Württemberg 4.0, dass man durch Risiken mehr zu verlieren habe, als man potenziell gewinnen könne. Das wiederum fördere die Tendenz, alle Entscheidungen so gut wie möglich absichern zu wollen, und führe so langfristig zu einer Überbürokratisierung.
Großes Entlastungspotenzial
Die Agentur Bayern Innovativ will nicht warten, bis die Krise einen Umbruch erzwingt und hat in Zusammenarbeit mit Studierenden der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, der Fachhochschule Landshut, dem Landkreis Augsburg, der Landeshauptstadt Stuttgart und der Stadt Landshut innerhalb eines Wintersemesters konkrete Handlungsempfehlungen für die Entlastung von Unternehmen erarbeitet. Die Ergebnisse des 250 Seiten langen Buches sollen nun in die Umsetzung gehen, so Willi Steincke, Projektleiter Smart Cities & Regions bei Bayern Innovativ.
Die potenzielle Wirkung dieses Vorhabens ist immens, prognostiziert Dr. Meister-Scheufelen. Immerhin empfänden bis zu 70 Prozent deutscher Familienunternehmen die Bürokratie als größten Wettbewerbsnachteil. In Großbritannien prüfe man bei neuen Gesetzen stets, inwiefern sie dem Wirtschaftsstandort nützen könnten. Hierzulande vermisse sie eine solche Regelung. Überhaupt werde Juristen nicht beigebracht, wie gute Gesetze gemacht würden. Ein großes Manko aus Sicht der Expertin.
Eine Revolution von unten
Auch Tobias Märtterer, Leiter IT und Digitalisierung der Stadt Ludwigsburg, will nicht warten. Als teil der interkommunalen OZG-Taskforce lebt er das Motto „Hilf dir selbst, sonst hilft die keiner“. Auf kommunaler Ebene können man Entscheidungen oft deutlich schneller erwirken als im Land oder gar im Bund. Märtterer fordert den Wegfall der Schriftform, mehr antragsfreie Prozesse und womöglich sogar einen Digital Reset. 16 Serviceportale, die nicht miteinander kommunizieren können – das müsse besser gehen.
Der Kulturwandel muss in den Köpfen passieren. Da sind sich die Expertinnen und Experten im Fachforum bei Baden-Württemberg 4.0 einig. Unterstützt wird das unter anderem im noch recht jungen Studiengang Digitales Verwaltungsmanagement. Müller-Török und seine Kollegin Prof. Dr. Antje Dietrich, von der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, möchten ihren Studierenden neben der klassischen Verwaltung auch die juristische und digitale Seite ihres Themenfeldes näher bringen. Mit dem so geschulten Blick wären Absolventen dann gut vorbereitet um aktiv an der Entbürokratisierung der Verwaltung mitzuwirken.




