Ein Rheinufer-Stück und ein Stiftsmarkt ohne Pkw-Verkehr oder ganze Straßenblöcke, die für den Fuß- und Radverkehr optimiert sind und so für eine bessere Aufenthaltsqualität sorgen: Das ermöglichen Verkehrsversuche, denn so können Städte und Kommunen neue Verkehrskonzepte ausprobieren.
Seit der Änderung der StVo Ende 2024 ist es für Städte und Kommunen einfacher, Verkehrsversuche zu planen und durchzuführen. Denn seither können diese auch mit Klimaschutz oder Stadtentwicklung begründet werden. Vor der Gesetzesänderung waren diese Gründe noch nicht zulässig, wie z. B. die Universitätsstadt Gießen schmerzlich feststellen musste. Der Verkehrsversuch im Anlagenring wurde noch 2023 geplant und durchgeführt. Nachdem der Verwaltungsgerichtshof diesen allerdings für rechtswidrig befunden hatte, musste alles zurück gebaut werden. Die Stadt hat sich dennoch nicht unterkriegen lassen und hat andere Wege gefunden, um fahrradfreundlichere Infrastrukturen auf den Straßen einzuführen. Und während Gießen diese Änderungen schon fest umgesetzt hat – diese aber laut Aussage einer Sprecherin der Stadt noch beobachtet – sind in anderen Städten Deutschlands weitere Versuche gestartet, um autofreie Strukturen zu testen.
Myriaden an Möglichkeiten
Möchte eine Stadt die aktuellen Strukturen ihrer Innenstadt überdenken und Teile Klima- und aufenthaltsfreundlicher gestalten, gibt es verschiedene Varianten. Ob Verkehrsberuhigung oder vollständige Umleitung, Einschränkung oder Umgestaltung von Plätzen: Für jede Ecke gibt es ein passendes Konzept. So wurde z. B. erst über den vergangenen August hinweg im Wiesbadener Stadtteil Biebrich am Rheinufer ein Verkehrsversuch durchgeführt. Über die Wochenenden hinweg wurde von freitags 18 Uhr bis sonntags 22 Uhr ein Teil der Rheingaustraße vor dem Biebricher Schloss für den Auto und Busverkehr gesperrt und zu einer Fahrradstraße erklärt.
„Das Ziel des autofreien Rheinufers ist die Erhöhung der Aufenthalts- und Lebensqualität am Ufer, vor allem auch die Reduzierung der Lärm und Luftbelastung durch den Pkw- und Lkw-Verkehr“, so ein Sprecher der Stadt Wiesbaden. Nach dem Abschluss seien die ersten Eindrücke positiv, die Evaluation dauere aber noch an. Und auch wenn der Verkehr auf den Umleitungsstrecken unproblematisch verlaufen sei und es keine Rückstaus gegeben habe, hätte es viele Verstöße gegen das Durchfahrtsverbot gegeben, die möglicherweise durch stärkere Kontrollen hätten verhindert werden können.
Ein längerer Verkehrsversuch wurde beispielsweise in Stuttgart u. a. in der Augustenstraße durchgeführt. Der Superblock, der zehn Häuserblocks in Stuttgart-West umfasst, lässt nur Tempo 30 zu und wurde über anderthalb Jahre getestet. Wie eine Stuttgarter Sprecherin erklärte, sei es durch den versuchsweisen Aufbau möglich gewesen, die Auswirkungen auf den fließenden und ruhenden Verkehr zu beobachten, „ohne dafür hohe Baukosten zu verursachen“. Ziel sei es gewesen, eine breite Diskussion zur Nutzung von öffentlichen Räumen anzustoßen und die Akzeptanz für ein solches Projekt zu testen. „Neben der Skepsis vor Veränderungsprozessen, gab es vor allem Kritik an zu wenig „Grün“ im Quartier“, gibt die Sprecherin an. In diesem Herbst soll der Verkehrsversuch ausgewertet werden, um dann dem Gemeinderat im ersten Quartal 2026 Vorschläge für das weitere Vorgehen vorzulegen. Selbst in der Bevölkerung habe sich das Bild vom Verkehrsversuch gewandelt. Wo zu Beginn noch über die Sinnhaftigkeit des Projekts debattiert wurde, habe sich mit der Fortdauer der Fokus auf eine inhaltliche Diskussion verschoben und die kritischen Stimmen seien zurückgegangen, erläutert die Sprecherin. „Vor allem die Themen Ausstattung mit Möblierungselementen und Begrünung, Entwicklung für Gewerbetreibende und Auswirkungen auf den Verkehr standen im Vordergrund.“
Vom Auto zum Sandkasten
Ein weiterer Versuch wurde im nordrhein-westfälischen Warendorf durchgeführt. Dazu sollte seit September 2024 für ca. ein Jahr der Stiftsmarkt in Freckenhorst verkehrsberuhigt werden und mit der Installation von Stadtmobiliar wie Bänken, Begrünungselementen, einem Sandkasten und einer Spieleisenbahn zum Verweilen einladen. Denn wie ein Pressesprecher von Warendorf erläutert, habe es auf dem Platz an räumlicher Gliederung im „Aufenthalts-, Park- und Bewegungsbereich“ gefehlt. Die bisherige Gestaltung habe dazu geführt, dass viele Pkw-Nutzenden den Stiftsmarkt als Abkürzung und Parkfläche genutzt hätten. Daher sollte die Aufenthaltsqualität erhöht und die Zufahrt für die Nutzergruppen aufrechterhalten bleiben.
Ermöglicht worden sei die Realisierung durch das Förderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Im August 2025 konnten Bürgerinnen und Bürger über verschiedene Formate an der Evaluierung des Verkehrsversuchs teilnehmen. Wie der Sprecher erklärt, sei die Beteiligung gut und konstruktiv gewesen. Insgesamt sei er positiv bewertet worden und besonders die Spielangebote seien regelmäßig genutzt worden. Auch wurde „der Abkürzungsverkehr unterbunden und hat den Stiftsmarkt wesentlich ruhiger werden lassen“. Die Anregungen und Wünsche zum Stiftsmarkt seien ebenfalls geprüft und für eine mögliche dauerhafte Fortführung berücksichtigt worden, so der Sprecher.
Aber wie anfangen?
Hat sich eine Kommune für einen Ort der Umgestaltung entschieden, gibt es dennoch viel zu beachten. Die Stadt Gießen hat ihre Lehren aus dem gescheiterten Verkehrsversuch gezogen und erklärt: „Nach unserer Erfahrung mit dem Scheitern des sehr groß angelegten Verkehrsversuchs sind kleinere, klar abgegrenzte Verkehrsversuche eher erfolgversprechend. Sie ermöglichen es nach unserer Wahrnehmung, konkrete Wirkungen sichtbar zu machen, Erfahrungen zu sammeln und exemplarisch Grundlagen für spätere, größere Umgestaltungen zu schaffen.“ Es sei außerdem wichtig, den gesamten Prozess von Beginn an transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Die Gründe und Ziele sollten klar kommuniziert und es sollte auch betont werden, dass es sich dabei um eine „ergebnisoffene Testphase handelt, in der Erfahrungen gesammelt und Anpassungen vorgenommen werden können“, ist die Sprecherin der Stadt überzeugt. Zusätzlich sei es gut, wenn von vornherein alle relevanten Akteursgruppen wie Anwohnende, Verkehrsbetriebe oder Schulen miteinbezogen würden.




