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StartRechtWeniger Formalismus im Vergaberecht? Nicht (immer) mit dem BGH!

Weniger Formalismus im Vergaberecht? Nicht (immer) mit dem BGH!

(BGH, Urt. v. 16.5.2023 – XIII ZR 14/21)

Die formalen Vorgaben in Vergabeverfahren und um somit der viel gescholtene Formalismus des Vergaberechts verfolgen keinen Selbstzweck, sondern sind ein wichtiges Mittel zur Durchsetzung der Grundsätze wie Transparenz, Gleichbehandlung und fairer Wettbewerb. Leider zeigt sich jedoch in der Praxis, dass die Vielzahl an teils widersprüchlichen formalen Vorgaben und deren teils widersprüchliche Interpretation durch die Rechtsprechung zu einer erheblichen Unsicherheit und zu teils abwegigen Ergebnissen führt. Die Vergabestellen sind mit zeitraubenden und somit teuren Prüfungen und Abwägungen beschäftig, welche wenig mit dem haushaltärischen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in Einklang zu bringen sind und im Vergleich zu Beschaffungsvorgängen in der Privatwirtschaft teilweise absurd wirken. 

In der hier veröffentlichten parallelen Urteilsbesprechung des Kollegen Schwientek zur Entscheidung des OLG Rostock, Beschluss vom 01.02.2023 – 17 Verg. 3/22 (zur VgV) spiegelt sich eine Tendenz wider, diesen allzu starren Formalismus zu durchbrechen. Der BGH stellte in seinem auf dieser Linie befindlichen Urteil vom 18.06.2019 (BGH, Urt. v. 18.6.2019 – X ZR 86/17) selbst fest, wie die Neuregelung der VOB/A seit 2009 gesehen werden soll:

„Diese dienen dazu, den Ausschluss von Angeboten aus vielfach nur formalen Gründen zu verhindern. Erklärtes Ziel ist im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren.“

In seinem Urteil vom 18.06.2019 hat der BGH diese praxisrelevante und insbesondere für eine wirtschaftliche und sparsame Verwaltung sinnvolle Vorgabe konsequent umgesetzt. In seinem Urteil vom 16.05.2023 hat sich der BGH jedoch von dieser Konsequenz bedauerlicherweise wieder entfernt:

I. Sachverhalt (Kurzzusammenfassung)

Der öffentlichen Auftraggeber (Beklagter) schrieb unterschwellig Bauleistungen nach der VOB/A (2016) aus. Elektronische Angebote in Textform wurden akzeptiert.

Ein Angebotsschreiben war u.a. wie folgt einzureichen: „Angebotsschreiben Teile der Leistungsbeschreibung: Leistungsverzeichnis Leistungsprogramm als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 Hinweis: Vom [Auftraggeber] wurde eine sog. Auftraggeberlizenz des Softwareprogramms WinGAEB erworben, welche den Bietern kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Damit können Angebot[e] auf elektronischem Weg bearbeitet und gespeichert werden.“

Die Klägerin gab das günstigste Angebot ab, wobei sie die Angebotsunterlagen jedenfalls im PDF-Format vollständig einreichte. Das Angebot wurde sodann vom Beklagten ausgeschlossen, weil es nicht als GAEB-Datei eingereicht wurde. Weil das Verfahren sodann aufgehoben wurde und ohne Beteiligung der Klägerin mittels eines formlosen Verhandlungsverfahrens vergeben wurde, konnte durch die Instanzen als Schadensersatzklage bis zum BGH gelangen.

III. Entscheidung des BGH

Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A sind u.a. Angebote auszuschließen, welche nicht den Vorgaben des § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A entsprechen. Der BGH sieht hier einen solchen Verstoß:

„§ 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016 ist nach der systematischen Stellung und dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift mit §§ 11, 11a VOB/A 2016 dahin auszulegen, dass die Festlegung des Auftraggebers, in welcher Form die Angebote einzureichen sind, auch die dabei zu verwendenden elektronischen Mittel umfassen darf. Da der Auftraggeber das Recht hat, die bei der Einreichung der Angebote zu verwendenden elektronischen Mittel zu bestimmen, kann er auch die Verwendung der dafür erforderlichen Dateiformate vorgeben.“

Diese Auslegung entspreche insbesondere auch dem Sinn und Zweck der Norm. § 13 VOB/A 2016 soll den ordnungsgemäßen Wettbewerb im Vergabeverfahren sichern, Chancengleichheit und Transparenz gewährleisten und insbesondere der Sicherstellung der Vergleichbarkeit der Angebote für die Wertungsphase dienen. §§ 11, 11a VOB/A könnten, so der BGH, ihren Sinn und Zweck, wonach der Auftraggeber die Kommunikationsmittel im Interesse der Effizienz und Transparenz festlegt, daher nicht erfüllen, wenn eine Verletzung entsprechender Vorgaben keinen Ausschluss des Angebots zur Folge hätte.

IV. Einordnung, Fazit und Empfehlung

Es kann schon daran gezweifelt werden, dass die Festlegung des Auftraggebers tatsächlich so eindeutig „GAEB-Datei und sonst nichts“ war. Gefordert war ein „Angebotsschreiben“ mit bestimmten weiteren Bestandteilen. Eine GABE-Datei dürfte kaum als „Schreiben“ durchgehen, ein hochgeladenes Angebotsschreiben mit einem Leistungsverzeichnis in Form einer PDF schon eher. Zweifel in den Vergabeunterlagen gehen zu Lasten des Auftraggebers, zudem gilt stets eine möglichst bieterfreundliche Auslegung. Bei dieser Auslegung wäre die GAEB-Datei zusätzlich gefordert worden, was bei einem Fehlen zumindest eine Nachforderung ermöglicht hätte.

Der BGH geht darüber hinaus mit seiner Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 i.Vm. § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A EU nach diesseitiger Auffassung sehr weit, wenn er eine derartige Verknüpfung mit den §§ 11, 11a VOB/A 2016 herstellt.

Ein Ausschluss vom Verfahren ist ein scharfes Schwert des öffentlichen Auftraggebers und sollte daher nur zum Tragen kommen, wenn es unbedingt sachlich zum Schutz der Grundsätze des Vergaberechts notwendig ist. Auf diese Art sind die entsprechenden Normierungen zu verstehen und entsprechend eng auszulegen. Ein Ausschluss ist demnach gerechtfertigt, wenn elektronische Angebote nicht in der vorgesehen Form, mithin hier in Textform eingereicht werden. Zuzugestehen ist dem BGH sicherlich, dass der Auftraggeber im Zusammenhang mit der Form eine einzuhaltende Vorgabe zum Kommunikationsweg unter Verwendung elektronischer Mittel zur Datenübermittlung und entsprechender Sicherheitsvorgaben machen muss. Richtig dürfte auch sein, dass elektronische Mittel Geräte und Programme für die elektronische Datenübermittlung sind, wie der BGH selbst feststellt. Allerdings kommt der BGH durch Auslegung der entsprechenden EU-Regelungen zu dem Schluss, dass es nicht nur um Geräte und Programme „für die elektronische Datenübermittlung“ – dieser Zusatz sei bei der Umsetzung der nationalen Normen nur klarstellend aufgenommen worden – geht, sondern auch um andere Vorgaben zu Dateiformaten. An dieser Auslegung kann bei der Lektüre der entsprechenden EU-Regelungen gezweifelt werden, geht es dort nach diesseitigem Verständnis doch überwiegend um Kommunikation und Datenaustausch. Bliebe es bei „für die elektronische Datenübermittlung“, dürfte das GAEB-Programm jedenfalls nicht hierunterfallen, handelte es sich doch eher um ein Datenverarbeitungsprogramm und nicht um ein Programm zur Datenübermittlung. Die Voraussetzungen für einen Ausschluss wären nicht erfüllt.

Darüber hinaus ist eine solche Auslegung gerade vor dem Hintergrund der Festlegung der Reichweite dieses Ausschlussgrundes auch nicht nötig. Eine Gefahr für die Verletzung vergaberechtlicher Grundsätze lässt sich insoweit nicht erkennen, wenn man die Möglichkeit zum Ausschluss auf das nicht Einhalten von Vorgaben zur elektronischen Datenübermittlung beschränkt. Reicht ein Bieter eine Datei in einem anderen Format ein und kann die Vergabestelle ohne wesentliche Hürden den Inhalt dieser Datei und deren Vollständigkeit überprüfen, dürfte die Gefahr für eine Wettbewerbsverzerrung ausgeschlossen sein. Der Vergabestelle dürfte es dann freistehen, die Angaben nochmals im gewünschten Format nachzufordern, was einen transparenten Abgleich der Angaben des Bieters ermöglichen würde und eine technische Auswertung vereinfachen dürfte. Der Vorteil wäre, dass es zu keiner übermäßigen Wettbewerbseinschränkung käme. Darüber hinaus könnten bizarre Ergebnisse vermieden werden: Wie hätte der BGH wohl entschieden, wenn die Vergabestelle schreibgeschützte und an bestimmten Stellen ausfüllbare Word-Dateien mit dem Hinweis, die bereitgestellten Vergabeunterlagen seien entsprechend ausgefüllt einzureichen, zur Verfügung gestellt hätte und die Bieter diese ausgefüllt aber als PDF über die eVergabe plattform eingereicht hätten?      

Vergabestellen ist bei der Konzeption der Vergabeverfahren (noch mehr als bisher) zu raten zu prüfen, welche Formvorgaben sie für die Einreichung der Angebote machen, um eine Einschränkung des Wettbewerbs zu vermeiden.  Sollte ein Formvorgabe sachlich gerechtfertigt sein, ist abhängig vom jeweiligen Vergaberegime zu prüfen, welche Sanktionsmöglichkeiten das Nichteinhalten bedeuten bzw. welche von Seiten der Vergabestelle implementiert werden können.

Der Autor des Gastbeitrages ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht, Andreas Rosenauer

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