- Anzeige -
- Anzeige -
- Anzeige -
StartRechtGrenzen der „Rechtsmacht“ einer Vergabestelle - kein formnichtiges Angebot bei fehlendem Angebotsschreiben

Grenzen der „Rechtsmacht“ einer Vergabestelle – kein formnichtiges Angebot bei fehlendem Angebotsschreiben

Auftraggeber stehen häufig vor dem Problem, dass das geforderte „Angebotsschreiben“ entweder nicht unterschrieben oder gänzlich nicht eingereicht wird. Die Entscheidung des OLG Rostock (OLG Rostock, Beschluss vom 01.02.2023 – 17 Verg. 3/22) macht deutlich, dass das Fehlen eines solchen Schreibens das Angebot nicht per se ungültig macht und zeigt, wie derartige unvollständige Angebote handzuhaben sind. Rechtssicherheit wird dabei vor allem dadurch bewirkt, dass das Gericht den Vergabestellen die Grenzen für formale Vorgaben an die Angebotsabgabe verdeutlicht. Diese Entscheidung liefert daher eine wertvolle Orientierung für die Vergabepraxis.

I. Sachverhalt (Kurzzusammenfassung)

Ausgeschrieben war ein Dienstleistungsauftrag im offenen Verfahren (Übernahme, Transport und Entsorgung (Behandlung, Verwertung, Beseitigung) von Klärschlamm). In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots hieß es unter anderem:

„Mit dem Angebot sind daher folgende Unterlagen einzureichen:

– Angebotsschreiben (ausgefüllt) mit Anlagen (…)“

Für das Angebot war das von der Vergabestelle versandte Angebotsschreiben zu verwenden, auszufüllen und mit dem Namen der vertretungsberechtigten Person zu unterzeichnen. Die Antragstellerin reichte dreiunddreißig Unterlagen ein. Diese umfassten alle in den Vergabeunterlagen angesprochenen Dokumente, mit Ausnahme des Vordrucks „Angebotsschreiben“. Unter anderem wurde das Dokument „Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis“ eingereicht, in dem die Antragstellerin auf der letzten Seite unter Angabe des Unterzeichnenden unterschrieb.

II. Ausschluss und fehlende Nachforderbarkeit des Angebotsschreibens zunächst bejaht

Im Rahmen der Angebotsprüfung wurde festgestellt, dass die Antragstellerin unvollständige Unterlagen eingereicht hatte (fehlendes Angebotsschreiben) und das Angebot ausgeschlossen wird (§ 57 VgV); eine Nachforderung sei nicht möglich (§ 56 VgV). Die Antragstellerin reichte ein unterschriebenes Angebotsschreiben nach, rügte das Vorgehen der Vergabestelle und legte – nach Nichtabhilfe – Nachprüfungsantrag ein. Die Vergabekammer entschied, dass das Angebot, aufgrund des Fehlens des eindeutig geforderten Angebotsschreibens und damit zwangsläufig auch des Fehlens der geforderten Unterschrift nichtig sei (§ 125 BGB i. V. m. §§ 53 Absatz 1 Satz 2 VgV, 126 b BGB). Hiergegen legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht ein.

III. Entscheidung des OLG Rostock

Mit Erfolg! Das OLG Rostock entschied unter anderem., dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Entscheidung über die Nachforderung von Unterlagen und dem Ausschluss von Angeboten zurückzuversetzen ist. Auch wenn das Angebotsschreiben in diesem Fall nicht vorlag, lag dennoch ein rechtlich bindendes und formgültiges Angebot vor. Eine Nachforderung des Angebotsschreibens war rechtlich nicht ausgeschlossen.

1. Horizont einer verständigen Vergabestelle (§§ 133, 157 BGB)

Die Beurteilung, ob und mit welchem Inhalt eine rechtsverbindliche Erklärung vorliegt, erfolgt nach den §§ 133, 157 BGB aus der Perspektive einer verständigen Vergabestelle. Das OLG Rostock prüfte die eingereichten Unterlagen und kam zu dem Ergebnis, dass die Rechtsverbindlichkeit der gesamten Erklärung zu bejahen ist. Die von der Antragstellerin vor Ablauf der Angebotsfrist eingereichten Dokumente stellten demnach ein hinreichend bestimmtes, rechtsverbindliches Angebot dar – und nicht nur etwa eine unverbindliche Interessenbekundung. Das Fehlen des ausgefüllten Angebotsschreibens führte dabei zu keinem anderen Ergebnis.

2. Keine Formunwirksamkeit wegen fehlender „Rechtsmacht“ der Vergabestelle für die Vorgabe „gilt als nicht abgegeben“ (§§ 53, 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV, §§ 125 ff. BGB)

Unwirksamkeit einer Willenserklärung liegt vor, wenn die Erklärung gegen gesetzliche oder vertraglich vereinbarte Formvorschriften verstößt (§§ 125 ff. BGB). Vorgaben des Auftraggebers, ein bestimmtes Formular zu verwenden und dieses zu unterschreiben, bedürfen insoweit der – mindestens konkludenten – Annahme. Für eine einseitige Regelung der Wirkungen einer fremden Willenserklärung („gilt als nicht abgegeben“) fehlt dem Auftraggeber die Rechtsmacht.

Ein Angebot kann gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV ausgeschlossen werden, wenn es den Bestimmungen des § 53 VgV nicht entspricht. Jedoch lässt sich die Forderung der Antragsgegnerin, ein bestimmtes Formular zu nutzen und zu signieren, nicht unter § 53 VgV fassen. Nach § 53 Abs. 1 VgV sind die Bieter grundsätzlich berechtigt, ihre Angebote (insgesamt) in Textform nach § 126b BGB mithilfe elektronischer Mittel zu übermitteln, was die Antragstellerin in diesem Fall auch getan hatte.

Da im Grunde ein wirksames Angebot vorlag, war das fehlende Angebotsformblatt lediglich als fehlende Unterlage zu qualifizieren, die gemäß § 56 Abs. 2 VgV vom Auftraggeber nach eigenem Ermessen nachgefordert werden kann. Die Vergabestelle hatte jedoch zu dem Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung von diesem ihr zugestandenen Ermessen keinen Gebrauch gemacht; sie ging stattdessen davon aus, dass das Schreiben nicht nachgefordert werden könne. Es kann nicht allein aus der unterlassenen Nachforderung geschlossen werden, dass der Auftraggeber bereits von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat.

IV. Einordnung, Fazit und Empfehlung

Ob ein Angebot fristgemäß, vollständig und rechtsverbindlich eingereicht wurde, ist nicht vom Vorliegen des Angebotsschreibens abhängig, sondern aus Sicht einer „verständigen Vergabestelle“ mit Blick auf alle Umstände des Einzelfalls zu bewerten. In einer – zum älteren Recht ergangenen – Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 13.04.2016 – Verg. 52/15) wurde zwar entschieden, dass die fehlende Unterschrift unter dem Angebot beziehungsweise das Angebotsschreiben selbst nicht der Nachforderung zugänglich sei. Allerdings war auch dort ausschlaggebend, ob bei Auslegung der Unterlagen von einem rechtsverbindlichen Angebot ausgegangen werden kann. Insoweit findet die Entscheidung des OLG Rostock eine konsequente Fortsetzung der Rechtsprechung für den gegenwärtigen rechtlichen Rahmen.

Die Rechtsprechung entfernt sich hier erneut ein Stück vom streng formalen Vergaberecht und folgt der Tendenz des Bundesgerichtshofs in seiner Rechtsprechung (vgl. BGH-Urteil vom 18.06.2019 – X ZR 86/17. Vorliegend findet eine – erfreulicherweise – rechtssichere Begrenzung (insb. § 56 VgV, §§ 125 ff. BGB) der Ausgestaltungsoptionen für formale Vorgaben Einzug in die Kasuistik. Vergabestellen ist zu empfehlen, vor Aufstellung formaler Vorgaben an die Angebotsabgabe, die möglichen Grenzen ihrer „Rechtsmacht“ kritisch zu prüfen. Bei fehlenden Unterlagen in eingereichten Angeboten hat der Auftraggeber nach dem Horizont einer verständigen Vergabestelle zu beurteilen, ob und mit welchem Inhalt eine rechtsverbindliche Erklärung vorliegt (§§ 133, 157 BGB). Bei der Ermessensentscheidung zur Nachforderung ist zu berücksichtigen, dass § 56 Abs. 2 VgV darauf abzielt, Bieterangebote so weit wie möglich zu berücksichtigen. Ziel dieser Vorschrift ist es, den Ausschluss von Angeboten aus überwiegend formalen Gründen zu verhindern und den Wettbewerb nicht unnötig einzuschränken.

Der Autor dieses Gastbeitrages ist Rechtsanwalt Peter Schwientek

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein