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StartSicherheitSicherheitsgefühl schaffen – aber wie?

Sicherheitsgefühl schaffen – aber wie?

Menschen wollen sich an ihrem Wohnort sicher fühlen. Das ist ein ureigenes Bedürfnis. Um das Sicherheitsgefühl zu erhöhen, ist häufig mehr Präsenz von Ordnungshütern gefordert. Aber ist das überhaupt zielführend? Tim Pfeiffer von der Justus-Liebig-Universität Gießen ist der Frage nachgegangen und hat interessante Ergebnisse erhalten. Die Fragen stellte Bennet Biskup-Klawon.

Behörden Spiegel: Wann fühlen sich Menschen sicher?

Tim Pfeiffer: Das kommt ganz darauf an, um welchen Lebensbereich es geht. Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, zwischenmenschliche Beziehungen, die finanzielle Lage, das Arbeitsverhältnis, Besitz und Eigentum; grundsätzlich spielt Sicherheit in sämtlichen Bereichen des Lebens eine zentrale Rolle. Wann man sich sicher fühlt, hängt also zunächst davon ab, in Bezug auf was man sich sicher fühlen möchte. Ganz allgemein hängt dies sowohl von internen, d.h. persönlichen Faktoren als auch von externen Einflussgrößen ab. Betrachtet man die Frage, wann sich Menschen sicher fühlen, beispielsweise in Bezug auf das Leben in einer Stadt oder Gemeinde, dann gibt es im öffentlichen Raum viele verschiedene Faktoren, die das Sicherheitsgefühl der Menschen positiv wie negativ beeinflussen können. Hierzu zählen u.a. sogenannte „Angstorte“ genauso wie physische Verwahrlosungs- und soziale Unordnungserscheinungen, sogenannte „Incivilities“. Natürlich kommt auch der polizeilich-registrierten – ebenso wie die empfundenen – Kriminalitätslage in einer Kommune eine Bedeutung für das Sicherheitsgefühl zu. Grundsätzlich gilt: Je weniger bedrohlich ich meinen Lebensraum wahrnehme und je mehr Lebensqualität er bietet, desto sicherer fühle ich mich.

Behörden Spiegel: Warum nimmt das Sicherheitsgefühl einen so großen Stellenwert in der Diskussion ein? Schließlich reden wir nur von einem Gefühl und nicht von Fakten.

Pfeiffer: Sicherheit ist seit jeher ein Grundbedürfnis des Menschen. Der Wunsch nach einem Lebensumfeld, das Sicherheit und Stabilität bietet, ist tief in uns verwurzelt. Daher sollte das persönliche (Un-)Sicherheitsgefühl keinesfalls unterschätzt oder gar mit einem einfachen Verweis auf die objektive Sicherheitslage abgetan werden. Richtig ist, dass subjektive Wahrnehmung und polizeilich registrierte Kriminalität zum Teil diametral auseinandergehen können. Trotzdem können sie einander beeinflussen. Deshalb sollte die Sicherheitslage immer von beiden Seiten betrachtet werden. Natürlich könnte man geneigt sein, sich lieber an Fakten als an persönlichen Empfindungen zu orientieren. Die Wahrheit ist jedoch, dass jedes Gefühl, ob es sich nun durch „objektive Zahlen“ bestätigen lässt oder nicht, seine Berechtigung hat. Für die Person gehört es zur Realität, für die Person ist das Gefühl Fakt. In repräsentativen Bürgerbefragungen haben wir beispielsweise immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich die Menschen vor Opferwerdung in Bezug auf Straftaten fürchten, die in Deutschland nachweislich äußerst selten vorkommen und sich dementsprechend auch in der betreffenden Kommune nur vereinzelt oder sogar überhaupt nicht ereignen. Trotzdem fürchtet man sich davor. Unter Umständen fängt man an, bestimmte Orte zu meiden. Dadurch nimmt die informelle Sozialkontrolle an diesem Ort ab und im schlimmsten Fall entsteht oder verfestigt sich ein Anziehungspunkt für Probleme, die sich schließlich in der objektiven Sicherheitslage negativ bemerkbar machen. Deswegen müssen die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger immer ernstgenommen werden, ganz gleich wie irrational eine Befürchtung nach außen auch erscheinen mag. Entscheidend ist, sich anzuschauen, was hinter dieser Furcht steht, um dann zu entscheiden, wie sie sich lösen lässt. Der Weg mag dabei nicht immer der direkte sein, das hat auch unser Experiment in Kassel gezeigt.

Behörden Spiegel: Bei einigen Befragungen hieß es bereits von Seite der Bürgerinnen und Bürger: Mehr Polizeipräsenz = besseres Sicherheitsgefühl. Können Sie das bestätigen?

Pfeiffer: Nein, mit Blick auf das von uns konkret verwendete Untersuchungsdesign lässt sich die Aussage, dass mehr Polizeipräsenz automatisch für ein besseres Sicherheitsgefühl sorgt, nicht bestätigen. Im Gegenteil. Wir mussten feststellen, dass eine Erhöhung der polizeilichen Präsenz im öffentlichen Raum, d.h. auf Straßen und öffentlichen Plätzen, in Wohngebieten, an Angstorten und Kriminalitätsschwerpunkten, zu einer Verringerung des Sicherheitsgefühls bzw. zu einer Steigerung des Unsicherheitsgefühls führen kann. Und das obwohl sich in der Regel zwei Drittel der Menschen mehr sichtbare Polizeipräsenz wünschen. Erscheint die Polizei jedoch an einem Ort, wird schnell angenommen, dass etwas passiert ist oder dass der Ort, an dem man sich befindet, so unsicher ist, dass die Polizei regelmäßig kommen muss. Gleichwohl heißt das nicht, dass Polizeipräsenz generell unwirksam ist. Vielmehr zeigt unsere Studie, dass Polizeipräsenz nicht das Universalmittel ist, für das sie so lange gehalten wurde und mit dem man nur allzu oft reflexartig auf Problemlagen reagiert, von denen man gar nicht weiß, ob eine erhöhte Polizeipräsenz überhaupt das Mittel der Wahl ist. Unsere Untersuchung belegt, dass Polizeipräsenz eine wertvolle Ressource ist, die dort eingesetzt werden sollte, wo sie den gewünschten Effekt erzielt. Wo genau das ist, darauf gibt unsere Studie bereits Hinweise. Nichtsdestotrotz bedarf es weiterer fundierter Forschung.

Behörden Spiegel: Sie führten eine Kontrollstudie in Kassel zu diesem Thema durch. Wie sah diese aus?

Pfeiffer: Gemeinsam mit dem Polizeipräsidium Nordhessen, der Bereitschaftspolizeidirektion Nord und der Stadt Kassel habe ich untersucht, welchen Einfluss Polizeipräsenz auf das Sicherheitsgefühl, die polizeilich-registrierte Kriminalitätslage und die berichtete Opferwerdung hat. In Deutschland gab es zu dieser Frage bislang noch keinerlei fundierte Forschung und selbst international existieren bis heute nur äußerst wenige Studien, die sich speziell mit dem Einfluss polizeilicher Präsenz auf das Sicherheitsgefühl befasst haben. Umso mehr motivierte es uns zur bundeweit ersten randomisierten Kontrollstudie. Mit anderen Worten haben wir also ein „echtes Feldexperiment“ in Hessens drittgrößter Stadt durchgeführt. Hierzu haben wir Kassel zunächst geografisch in sogenannte Rasterzellen eingeteilt. Jede dieser Raumeinheiten hatte eine Größe von 250 mal 250 Metern. Insgesamt bildeten 1.706 Rasterzellen das Stadtgebiet der Stadt Kassel. Am Ende eines mehrstufigen, zufallsbasierten Auswahlverfahren blieben 40 Raumeinheiten übrig. Die eine Hälfte wurde dann per Zufall der sogenannten „Interventionsgruppe“, die andere der sogenannten „Kontrollgruppe“ zugeteilt. In den 20 Raumeinheiten der Interventionsgruppe erhöhte die Polizei für ein Jahr ihre Präsenz. In der Kontrollgruppe gab es dagegen keine zusätzliche Polizeipräsenz. Für die einzelnen Interventionseinheiten bedeutete „mehr Polizei“, dass eine Doppelstreife der Polizei, bestehend aus zwei Beamtinnen und Beamten, mit einem Funkwagen in die jeweilige Rasterzelle fuhr, das Fahrzeug dort abstellte und im Durchschnitt 13 Minuten zu Fuß Präsenz in der Raumeinheit zeigte. Also ganz genau so, wie es sich laut nationalen und internationalen Studien in der Regel zwei Drittel der Menschen wünschen. Wenn die Beamten die Bestreifung einer Rasterzelle abgeschlossen hatten, zogen sie weiter zur nächsten. Das Ganze fand zwei- bis dreimal pro Woche, von montags bis sonntags und immer zu anderen Uhrzeiten statt, wobei auch hier stets der Zufall entschied, wann die Polizei in welcher Rasterzelle sein würde. Pro Woche waren fünf Doppelstreifen der Polizei im Einsatz. Im Laufe des Projektes führten insgesamt 70 Beamten des Polizeipräsidiums Nordhessen und Bereitschaftspolizei in Kassel mindestens einmal die Präventivbestreifung aus. Begleitend zu dieser Intervention führte ich gemeinsam mit der Stadt Kassel eine Vorher-Nachher-Befragung von 18.000 Bürgerinnen und Bürgern aus beiden Untersuchungsgruppen (Intervention und Kontrolle) durch. Und auch das Straftaten aufkommen habe ich mir zusammen mit der Polizei vor und nach dem Experiment angeschaut und auf Veränderungen überprüft, die aufgrund der Präventivbestreifung eingetreten sind.

Behörden Spiegel: Was sind Ihre bisherigen Ergebnisse?

Pfeiffer: Mithilfe unseres kontrollgruppengestützten Untersuchungsdesigns konnten wir feststellen, dass eine Erhöhung der Polizeipräsenz dazu führen kann, dass sich die Menschen unsicherer fühlen. Man fragt sich, was wohl passiert sei, dass die Polizei kommen müsse. Darüber hinaus sorgte die verstärkte polizeiliche Präsenz in der Interventionsgruppe dafür, dass die Problemwahrnehmung in Bezug auf die eingangs beschriebenen Incivilities stieg. Die Befragten aus der Gruppe mit mehr Polizei gaben im Vorher-Nachher-Vergleich an, Drogenabhängige, Betrunkene und Lärmbelästigung stärker als Problem in der eigenen Wohngegend wahrzunehmen. Und das, obwohl es keinen physischen Nachweis über die Zunahme dieser Incivilities gab. Spannenderweise hatte die Problemwahrnehmung in Bezug auf diese Punkte in der Kontrollgruppe abgenommen. Die erhöhte Polizeipräsenz führte also nicht bloß zu einer Stärkung der Problemwahrnehmung, sondern zu einer Umkehrung des eigentlich abnehmenden Trends. Die Erklärung hierfür ist, dass die Menschen nach Gründen für die erhöhte Polizeipräsenz suchten und diese dann in den besagten Incivilities ausmachten. Natürlich könnte die Anwesenheit der Beamtinnen und Beamten auch zu einer Sensibilisierung der Problemwahrnehmung geführt haben. Festzuhalten bleibt jedoch, dass es hier um subjektive Wahrnehmungen geht. Und das ist ein ganz spannender Befund. Ebenso spannend ist der Befund, dass sich die Befragten dort, wo das Unsicherheitsgefühl und die Problemwahrnehmung erst aufgrund der erhöhten Polizeipräsenz stiegen, ein Jahr später noch mehr Polizei zur Steigerung des Sicherheitsgefühl und der Sicherheitslage wünschten. Derselbe Wunsch hatte in der unbeeinflussten Kontrollgruppe abgenommen. Es deutet sich insofern ein Teufelskreis an, den eine erhöhte Polizeipräsenz in Gang setzen kann: Die Menschen wünschen sich mehr Polizei. Bekommen sie jedoch genau das, steigen das Unsicherheitsgefühl und die Problemwahrnehmung, was letztlich wiederum zu dem Wunsch nach noch mehr Polizei führt, die das Sicherheitsgefühl und die Sicherheitslage verbessern soll. In Bezug auf die polizeilich-registrierte Kriminalität und die berichtete Opferwerdung konnten wir hingegen keinerlei signifikante Veränderungen feststellen. Hier brachte die verstärkte Polizeipräsenz keinen Effekt – weder in die eine noch in die andere Richtung. Lediglich in einem Bereich konnten wir einen positiven Einfluss von Polizeipräsenz feststellen: Mehr Polizei führte in der Interventionsgruppe zu einem minimalen Anstieg bei (nur) einer Frage zum Nachbarschaftsvertrauen. Die Befragten gaben nach der einjährigen Experimentalphase häufiger an, dass ihre Nachbarn Respekt vor Gesetz und Ordnung hätten. Dies dürfte auf den Umstand zurückzuführen sein, dass sich die Menschen gefragt haben, wer wohl die Polizei gerufen haben könnte. Wenn man es selbst nicht war, müssen es wohl die Nachbarn gewesen sein, so die These. Und da für viele Menschen in unserem Land nach wie vor die Polizei für Gesetz und Ordnung steht, geht man davon aus, dass auch die Nachbarn Respekt davor haben, wenn sie die Polizei rufen.

Behörden Spiegel: Was könnte man aus diesen Ergebnissen ableiten, um das Sicherheitsgefühl zu steigern?

Pfeiffer: Unsere Studie zeigt zunächst, dass Wunsch und Wirkung mitunter weit auseinandergehen können und dass Präventionsmaßnahmen, die man jahrzehntelang aus gutem Glauben an ihre Wirksamkeit mit „Das wirkt schon“ etikettiert hat, fundierter Forschung bedürfen, die untersucht, ob eine Maßnahme auch wirklich den gewünschten Effekt bringt, den man sich von ihr erhofft. Speziell im Hinblick auf Polizeipräsenz hat unser Experiment aber gerade nicht ergeben, dass diese generell unwirksam ist. Es hat sich lediglich gezeigt, dass sie in der von uns betrachteten Form zu gegenteiligen Effekten führen kann. Unsere Ergebnisse geben im Einklang mit der internationalen Forschung aber auch Hinweise darauf, dass Polizeipräsenz in bestimmten Zusammenhängen sehr wohl gute Effekte herbeiführen können. In Bezug auf die Kriminalitätslage betrifft dies vor allem spezielle Maßnahmen des Hot-Spot-Policings. Beim Sicherheitsgefühl scheint hingegen bürgernahe Polizeiarbeit, sogenanntes „Community-Policing“ vielversprechend zu sein. All diese spezialisierteren Formen der Polizeipräsenz bedürfen aber tiefergehender Wirkungsforschung. Andernfalls steht man hier vor demselben Dilemma wie damals vor unserem Experiment und muss im schlimmsten Fall feststellen, dass bestimmte Maßnahmen zwar gut gedacht sein mögen, am Ende aber genau den gegenteiligen Effekt hervorrufen. Das wiederum ist der Worst-Case einer jeden Präventionsmaßnahme.

Behörden Spiegel: Was kommt nach der Studie?

Pfeiffer: Für uns ist dieses Experiment erst der Startschuss gewesen. Die polizeiliche Wirkungsforschung steckt in Deutschland in vielerlei Hinsicht noch in den Kinderschuhen und es gibt jede Menge grundlegender Fragen, auf die es noch keine (fundierten) Antworten gibt. Dank unserer Erkenntnisse und Erfahrungen aus unserer Studie wissen wir nun, wo wir ansetzen müssen und was wir gemeinsam mit Polizei und Stadt als Nächstes in den Blick nehmen sollten. Das beschränkt sich nicht nur auf Nordhessen. Wir würden uns freuen, auch andernorts mit weiteren Polizei- und Sicherheitsbehörden sowie Kommunen ins Gespräch zu kommen, um gemeinsam den Fortschritt auf dem eingeschlagenen Weg voranzutreiben und verlässliche Antworten auf Fragen zu finden, die die einzelnen Akteurinnen und Akteure vielleicht auch individuell betreffen und beschäftigen.

Behörden Spiegel: Welche Maßnahmen halten Sie für besonders geeignet, um das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern?

Pfeiffer: Die internationale Wirkungsforschung kennt mittlerweile viele Maßnahmen, die das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger positiv beeinflussen können. Viele davon sind gar nicht polizeilicher Natur. Beispielsweise hat sich gute und geeignete Beleuchtung als hervorragende Maßnahme zur Steigerung des Sicherheitsgefühls insbesondere bei Dunkelheit erwiesen. Zudem stellen die konsequente Beseitigung physischer Verwahrlosungserscheinungen ebenso wie die langfristige Bewältigung „sozialer Unordnungserscheinungen“ nützliche Ansätze dar. Mitunter ist das mit einem langen Atem und speziell bei Dingen wie etwa beschmierten Hauswänden oder herumliegendem Müll mit Sisyphusarbeit verbunden. Aber die Mühe lohnt sich. Schließlich ist Präventionsarbeit zukunftsorientiert und grundsätzlich nichts, womit irgendwann aufhören kann.

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