Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zieht aus der Stationierung US-amerikanischer Langstreckenwaffen den Ansporn, diese Fähigkeit selbst zu entwickeln. Die zwischen Deutschland und den USA erneut vereinbarte Stationierung von Mittel- und Langstreckenraketen ab dem Jahr 2026 veranlasste Russland, von einer Rückkehr des Kalten Krieges zu berichten. Neben den bereits eingeführten weitreichenden Waffensystemen vom Typ SM-6 und Tomahawk ist auch die Stationierung der in der Entwicklung befindlichen Hyperschall-Rakete Dark Eagle geplant. Die Waffen haben gemäß der gemeinsamen Presseerklärung eine deutlich höhere Reichweite als alle aktuellen landgestützten Waffen in Europa.
Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärte, dass Europa mit der Stationierung der amerikanischen Waffen eine deutliche Fähigkeitslücke in Europa schließe. Er erinnerte gleichzeitig aber auch daran, dass die von den USA stationierten Langstreckenwaffen als Ansporn und Ziel für die Entwicklung europaeigener Kapazitäten dienen. Diese Fähigkeiten seien „ein Bestandteil unserer Nationalen Sicherheitsstrategie.“ Bis diese Kapazitäten aber ausgebaut sind, werden die US-amerikanischen Systeme die europäischen Fähigkeitslücken schließen. Die US-Systeme sind somit auch eine Aufforderung, die „geliehenen“ Kompetenzen selbst zu entwickeln.
Deep-Precision-Strike-Kapazität
Die Deutsche Atlantische Gesellschaft e. V. nennt die Stationierung der amerikanischen Systeme eine überfällige Antwort auf die russischen Marschflugkörper 9M729 oder SSC-8. Denn die Zahl der verteidigungsrelevanten zivilen und militärischen Ziele in Europa hat sich mit dem russischen Großangriff auf die Ukraine im Februar 2022 vervielfacht. Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass Russland sich militärisch gegen einen oder mehrere NATO-Staaten wendet. Dem steht in der NATO zurzeit nur eine begrenzte Zahl von Luftverteidigungssystemen gegenüber, die den großen Raum des NATO-Gebiets und die darin befindlichen Schutzobjekte nur sehr bedingt schützen können. Auch die Bedrohung des nordbaltischen Raumes durch die in der russischen Enklave Kaliningrad stationierten nuklearfähigen Raketen 9K720 Iskander ist ein Problem. Reine Luftverteidigung kann nach Aussage der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e. V. aber keine Lösung für das Problem sein, „Don´t try to defend against all arrows but try to hit the bow“. Die Umsetzung dieses Prinzips verlangt die Fähigkeit zum frühen Ausschalten besonders von Führungszentren, Radaranlagen, Marschflugkörper- und Raketenstellungen und Flugplätzen ‚in der Tiefe des Raums‘. Aber auch für den taktisch-operativen Zweck, also die Lähmung und schließlich Abwehr konventioneller russischer Angriffe entlang der Front, zeigt der Krieg in der Ukraine praktisch täglich die Notwendigkeit weitreichender land- oder luftgestützter Abstandswaffen – zur Ausschaltung von Gefechtsständen, weitreichender Artillerie, Logistik-Depots, Brücken und Bahnlinien u.a.m. weit hinter der Front.
Klare Botschaft
Die amerikanischen Mittelstreckenwaffen senden auch eine klare Botschaft an die russische Führung: Bedroht Russland NATO-
Europa oder greift einen oder mehrere Bündnisnationen militärisch an, ist sein Territorium kein Sanktuarium. Die Systeme aus den USA in Deutschland können militärisch hochwertige Ziele in Russland treffen. Sie tragen dadurch zur Abschreckungskraft der NATO bei, wie Verteidigungsminister Pistorius herausstellte.
Die russische Regierung kritisierte die angekündigte Stationierung und bezeichnete sie als Schritt „in Richtung Kalter Krieg“. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warnte: „Alle Merkmale des Kalten Krieges mit der direkten Konfrontation kehren zurück.“ Von deutscher Seite gab es Kritik aus den Fraktionen Bündnis Sahra Wagenknecht und der Linkspartei an der Stationierung der Raketen. Es ist also wenig verwunderlich, dass Fragen nach einer Rückkehr des Wettrüstens aufkommen.
Pistorius betonte hingegen, dass es nicht das Ziel sei, „wettzurüsten und jemanden zu überholen“, es gehe darum „gleichzuziehen, damit eine Abschreckung glaubhaft sein kann“. Ziel sei es, eine weitere Eskalation und eine weitere militärische Auseinandersetzung von vornherein zu verhindern. Auf diese Art und Weise „sichern wir unsere Art zu leben, in Sicherheit und in Freiheit, ab“.
Ungewissheiten
Bis die europäischen NATO-Mitglieder diese wichtigen Kompetenzen erfüllen können, stellen die amerikanischen Systeme eine willkommene Ergänzung der NATO-Verteidigung dar. Gleichzeitig dienen sie als Erinnerung, welche Ziele es zu erreichen gilt. Wie lange die Systeme jedoch tatsächlich in Deutschland bleiben, ist allerdings noch vor dem Hintergrund der anstehenden US-Wahlen unklar. Denn Ex-Präsident und Präsidentschaftskandidat Donald Trump hatte in seiner ersten Amtszeit bereits den Abzug amerikanischer Truppen und Systeme erwogen. Damals folgten allerdings keine größeren Veränderungen der in Deutschland stationierten Truppen und Waffensystemen der USA. Dennoch ist unklar, wie Trump, sollte er erneut US-Präsident werden, zu der Stationierung von Langstreckenwaffen in Deutschland steht und ob diese tatsächlich in Europa ankommen.





