Die deutsche Sicherheitsforschungsszene ist sehr rege. Viele Konzepte, Ideen und Demonstratoren finden den Weg an die Öffentlichkeit. Doch dann ist häufig Schluss. Dr. Sarah-K. Hahn, stellv. Generalsekretärin und Forschungskoordination der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb), erklärt im Interview, was die Gründe sind. Die Fragen stellte Bennet Biskup-Klawon.
Behörden Spiegel: Wie bewerten Sie das momentane Forschungsumfeld im Bereich der zivilen Sicherheitsforschung?
Dr.-Ing. Sarah-K. Hahn: Sicherheit ist ein Querschnittsthema, das es grundsätzlich bei allen Fachrichtungen zu berücksichtigen gilt. Wenn Sicherheit von Anfang an berücksichtigt wird, muss sie nicht im Nachhinein teuer implementiert werden. Beispiele aus der Praxis sind etwa die frühzeitige Einbindung von Brandschutzplanern bei der Errichtung von Gebäuden oder die Hinzuziehung von Explosionsschutzexperten bei der Planung von Anlagen. Auch in der anwendungsorientierten Forschung könnte dieser Aspekt in den unterschiedlichen Forschungsprogrammen noch stärker berücksichtigt werden. Gleichzeitig bleibt es von zentraler Bedeutung, die zivile Sicherheitsforschung als etabliertes, eigenständiges Forschungsfeld zu betrachten und gezielt zu fördern. Hierbei rückt die Anwendung zunehmend in den Fokus: Durch die frühzeitige Einbindung von Anwenderinnen und Anwendern in Forschungsprojekte werden praxisgerechte Lösungen entwickelt und die spätere Umsetzung von Forschungsergebnissen sichergestellt.
Behörden Spiegel: Was sind aus Ihrer Sicht gerade die Megathemen in der Sicherheitsforschung?
Dr. Hahn: Hierzu zählt für mich die Umsetzung einer sicheren und zuverlässigen Energiewende, um Ressourcen klimaschonend zu nutzen. Diese Aufgabenstellung ist direkt mit einem weiteren Schwerpunkt verknüpft: Das Klima hat sich bereits verändert und es gibt neue bzw. eine neue Häufung von Extremwetterlagen. Auf diese müssen wir uns als Gesellschaft vorbereiten. Neben technischen Maßnahmen, wie z.B. der konzentrierten Erfassung von Pegelständen auch bei kleineren Fließgewässern, steigt die Bedeutung einer zielgruppenorientierten Risikokommunikation. Dies steht wiederum in Verbindung mit zwei weiteren Kernthemen: dem Bevölkerungsschutz für eine resiliente Gesellschaft und der verantwortungsbewussten Integration von KI im sicherheitsrelevanten Bereich. Besonders im Bevölkerungsschutz ist es entscheidend, wissenschaftliche Erkenntnisse in konkrete Handlungsstrategien zu überführen – sei es durch innovative Ausbildungskonzepte, neue Warnsysteme oder realitätsnahe Übungsszenarien. Die Forschung muss dabei eng an der Lebensrealität der Bevölkerung ausgerichtet sein, um Akzeptanz und Wirksamkeit gleichermaßen zu stärken. Ziel ist ein integrativer Sicherheitsansatz, der sowohl strukturelle als auch soziale Resilienz fördert.
Behörden Spiegel: Der vfdb-Präsident Dirk Aschenbrenner sagt häufig: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“. Woran scheitert die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis? Welche Hindernisse gilt es zu überwinden?
Dr. Hahn: Die Hindernisse befinden sich auf unterschiedlichen Ebenen. Ein Beispiel: Im Forschungsprojekt „BRAWA – Kulturgut bewahren durch Helfermotivation und geringe Brandwahrscheinlichkeiten“ haben wir im Verbund mit Partnerinnen und Partnern aus Wirtschaft, Technik und Wissenschaft der Bereiche Brandschutz und Psychologie zusammengearbeitet. Es wurde ein soziotechnisches System entwickelt, mit dessen Hilfe bereits geringe Raumluftanomalien detektiert und Ersthelfende alarmiert werden können, um so Kulturgut vor schlimmeren Schäden zu bewahren. Die Vorschriften halten jedoch nicht immer Schritt mit den neuen Entwicklungen. Anstatt des neuen, multifunktionalen Systems mit seinen vielfältigen integrierten Möglichkeiten – neben der Branddetektion ist etwa eine Raumluftfeuchteüberwachung zur frühzeitigen Schimmeldetektion durchführbar – sind „Standardlösungen“ gefragt, die jeweils nur eine Gefahrenkomponente abdecken.
Behörden Spiegel: Was muss die Politik liefern?
Dr. Hahn: Mit Blick auf das obige Beispiel sind regulatorische Hindernisse von Bedeutung. Beispielsweise könnten rechtliche Vorgaben fachübergreifende Lösungen befürworten. Dies ist insbesondere im Kontext der zunehmenden Vernetzung relevant. Für kommunale Gefahrenabwehrbehörden wie Feuerwehren ist zudem eine verbesserte Zusammenarbeit von Bund-, Länder- und Kommunalebene wichtig. Nur so können mit Bundesmitteln finanzierte Forschungsergebnisse auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Es muss auch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Forschung „nicht mal eben nebenbei“ zu leisten ist. Über die Projektförderung hinaus müssen finanzielle Ressourcen eingeplant werden. Nur so kann kompetentes Personal aufgebaut und gehalten werden.
Die Politik auf kommunaler Ebene könnte ihre Feuerwehren beispielsweise dabei unterstützen, Forschungsprojekte anzugehen. Nachdem eigene Fähigkeitslücken identifiziert wurden, kann in einer wissenschaftlich-technischen Vereinigung wie der vfdb zunächst die überregionale, fachübergreifende Bedeutung analysiert werden. Im nächsten Schritt kann unter Einbindung aller relevanten Stakeholder an ihrer Lösung gearbeitet werden. Im Verbund mit erfahrenen anwendungsorientierten Forschungspartnerinnen und -partnern können dann Fördermöglichkeiten identifiziert und Forschungsprojekte durchgeführt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass bereits die kommunale Ebene den gewinnbringenden Nutzen anwenderorientierter Forschung erkennt und sich hierfür einsetzt. Es sollte auch im Selbstverständnis der Politik einer freien, demokratischen Gesellschaft liegen, die Vorteile unabhängiger, anwendungsorientierter Forschung zu kommunizieren und für die Bedeutung dieser Forschung einzustehen.
Behörden Spiegel: Was müssen die BOS anders machen?
Dr. Hahn: Forschung ist kein Selbstläufer, aber die Investition lohnt sich. Auch wenn es zunächst kompliziert erscheinen mag, ist der Einstieg mit überschaubarem Aufwand möglich – in einem gemeinsamen Verbund mit forschungserfahrenen Partnerinnen und Partnern. Die aktuellen Förderprogramme stellen bewusst die Anwendenden in den Fokus. Wer seine Fähigkeitslücken kennt, ist bestens gerüstet, um mit Hilfe öffentlicher Fördermittel Lösungen im Verbund zu erarbeiten. Treten Sie gerne mit uns in Kontakt!
Behörden Spiegel: Was braucht es für eine erfolgreiche Umsetzung?
Dr. Hahn: Den Willen der Beteiligten und finanzielle Ressourcen. Während erstere Voraussetzung eine (persönliche) Entscheidung und Haltung sein kann, ist für Letzteres die politische Ebene gefragt. Wir haben gute Voraussetzungen und es gibt bereits großartige Strukturen. Erst die finanzielle Komponente ermöglicht es jedoch, diese optimal zu nutzen, auszubauen und dauerhaft zu etablieren. Ein Beispiel ist etwa das ForAn-Netzwerk genannt, das mit Hilfe öffentlicher Forschungsförderung zahlreichen Anwenderinnen und Anwender die Sicherheitsforschung auf europäischer Ebene nähergebracht und ihnen so ganz neue Wege zum Schließen ihrer Fähigkeitslücken eröffnet hat. Dies ist die gute Seite der Nachricht: Die Kompetenz liegt vor, wir müssen sie nur nutzen.
Behörden Spiegel: Auf der vfdb-Jahresfachtagung haben Sie die vfdb-Akademie vorgestellt. Was verbirgt sich dahinter?
Dr. Hahn: Mit der Gründung der vfdb-Akademie setzt die vfdb einen bedeutenden Meilenstein für die Zukunft der Aus- und Weiterbildung in den Bereichen Schutz, Rettung und Sicherheit. Die Akademie dient als zentrale Plattform für den Wissenstransfer und bietet praxisnahe, wissenschaftlich fundierte Schulungen sowie Fachveranstaltungen an. Sie richtet sich ausdrücklich nicht nur an Feuerwehren, sondern möchte ein breites Zielpublikum ansprechen. Entsprechend der fachspezifischen Nachfrage können beispielsweise Ergebnisse aus Forschungsprojekten einfließen und zielgruppenorientiert aufgearbeitet werden. Damit leistet die vfdb-Akademie einen wichtigen Beitrag zum Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis.
Behörden Spiegel: Was sind die Ziele der Akademie?
Dr. Hahn: Zentrales Ziel der vfdb-Akademie ist der Wissenstransfer: Mithilfe des neuen Angebots können die in der vfdb erarbeiteten Erkenntnisse noch besser direkt zu den Menschen gelangen. Neben Resultaten aus Forschungsprojekten werden insbesondere Ergebnisse aus der Arbeit der Referate des Technisch-Wissenschaftlichen Beirats vermittelt, indem sie in praxisnahe und zukunftsorientierte Weiterbildungsformate sowie innovative Trainingsmethoden für Fachkräfte überführt werden. Ein erstes Highlight ist die Veranstaltung zum Merkblatt „Technische Hilfeleistung bei Straßen- und U-Bahnen“ des Referats 6 Fahrzeuge und technische Hilfeleistung, in der neben dem intensiven fachlichen Austausch mögliche Unfallszenarien praxisnah trainiert werden. Am 24. September 2025 lädt die vfdb dann zum Bausymposium ein. Hier werden Herausforderungen und Chancen beim Neubau und der Modernisierung von Feuerwehrgebäuden beleuchtet. Die Themen sind vielfältig und orientieren sich an den aktuellen Bedarfen der Anwenderinnen und Anwender.




