Eine der ersten Maßnahmen zur Modernisierung und Aufrüstung der Bundeswehr war das Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr (BwBBG). Hauptziel war der Zeitgewinn. Mit Version 2.0 – dem Bundeswehr-Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwPBBG) – geht die Bundesregierung weiter, opfert aber auch Vergabeprinzipien.
Zwischen den Zeilen schwingt ein gewisser Stolz mit. Dies ist natürlich verständlich nach einigen Jahren, bei denen das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) immer wieder Kritik einstecken musste. „Seit der Verabschiedung des BwBBG stellen wir deutliche Beschleunigungseffekte fest: In der letzten Legislaturperiode haben wir gut 180 sogenannte 25 Millionen-Euro-Vorlagen erfolgreich durch das Parlament gebracht und in Verträgen mit einem Gesamtvolumen von knapp 150 Milliarden Euro umgesetzt. Aus dem Sondervermögen konnten wir im Jahr 2024 bereits erste Waffensysteme in die Bundeswehr einführen“, so eine Sprecherin des BAAINBw auf Anfrage des Behörden Spiegel. Die Bilanz des BwBBG kann sich also sehen lassen. Dies sei auch ein Resultat der beschleunigten Beschaffung auf der Grundlage des Gesetzes und interner Verkürzungen der Prozesse. Das BAAINBw habe neue Verfahren implementiert. „Zudem haben wir intern von fast 160 Verfahrensregeln gut 80 ‚über Bord geworfen‘, damit haben wir unsere Prozesse optimiert und sind entsprechend schneller geworden“, heißt es aus dem Bundesamt.
Die Beschleunigung sei deshalb möglich gewesen, weil man marktverfügbare Produkte gekauft habe und auf Goldrandlösungen verzichtet habe. Außerdem nutze das BAAINBw verstärkt Rahmenverträge, was den Abruf und damit die Lieferung von Material beschleunige. Dadurch könnten identische Produkte, wie z. B. persönliche Ausrüstung, geschützte und ungeschützte Führungs- und Funktionsfahrzeuge oder auch Munition, kontinuierlich aus dem jeweiligen Vertrag abgerufen werden. Auch der Verzicht auf sogenannte Losvergaben wirke sich positiv auf die Beschleunigung aus. „Zeit ist nun der handlungsleitende Faktor“, so die Sprecherin des BAAINBw. Auch das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) zieht eine positive Bilanz.
Leistungen aus einem Guss
„Durch ein angepasstes BwBBG erhoffen wir uns weitere Vereinfachungen, indem wir zum Beispiel in vielen Fällen auf Ausschreibungen ganz verzichten oder Verfahren weiter verkürzen können“, heißt es vonseiten des BAAINBW. Es entwickelt die Kernpunkte des BwBBG konsequent weiter. U. a. wird der Anwendungsbereich des Gesetzes erweitert und bezieht sich nun auf alle Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge der Bundeswehr sowie der restlichen Geschäftsbereiche des BMVg. Die Pflicht zur Losaufteilung wird weiter ausgesetzt.
„Das BwPBBG stellt eine deutliche Weiterentwicklung des bisherigen BwBBG dar. Zwar knüpft es an bekannte Elemente an – etwa den Fokus auf Beschleunigung und marktverfügbare Produkte – doch es geht in vielerlei Hinsicht darüber hinaus“, schätzt Prof. Dr. Michael Eßig, Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Bundeswehruniversität München, den Entwurf ein. Ein Punkt sei die Förderung von Innovation – z. B. durch die Stärkung funktionaler Leistungsbeschreibungen oder durch die Möglichkeit, das Vergabeverfahren der Innovationspartnerschaft zu nutzen. „Das zeigt sich auch daran, dass wir uns mittlerweile in einer zweiten Phase befinden. Die erste Phase – das Sondervermögen – diente dazu, Defizite im Bestand kurzfristig zu beheben. Nun aber geht es darum, das Ziel der 3,5 Prozent dauerhaft zu erreichen und die Verteidigungsfähigkeit strategisch zu sichern. In dieser Phase reicht reine Geschwindigkeit nicht mehr aus – nun muss auch Innovationsfähigkeit systematisch gefördert werden“, so Eßig.
Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) begrüßt das Vorhaben. „Das Vorgängergesetz hat ohne Frage bereits zu einer gewissen Beschleunigung der Beschaffung beigetragen, auch wenn diese Beschleunigung in Teilen auf Kosten der Angebotsmöglichkeiten für den wehrtechnischen Mittelstand ging und auch dort schon Rechtsschutz reduziert wurde“, erklärt Dr. Hans Christoph Atzpodien, BDSV-Hauptgeschäftsführer, auf Anfrage.
Beschleunigung hat ihren Preis
Der Rechtsschutz wird weiter aufgeweicht. Bei Beschwerden oder Rügen wegen Vergabeverstößen haben diese keine aufschiebende Wirkung. Selbst wenn in einem Nachprüfungsverfahren ein Verstoß des Auftraggebers festgestellt wird, kann die Wirkung des Vertrages erhalten bleiben, wenn nach Prüfung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung von Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen zwingende Gründe eines Allgemeininteresses dies rechtfertigen. Zudem kann dem Auftraggeber die Möglichkeit eingeräumt werden, Bagatellfehler zu beheben oder ein Vergabeverfahren einzuleiten, ohne dass die Finanzierung gesichert ist. „Natürlich führt der Fokus auf Beschleunigung zu Zielkonflikten – etwa beim Rechtsschutz. Es ist klar: Alles hat seinen Preis. Verfahren nach Aktenlage, Verzicht auf mündliche Verhandlungen, elektronische Kommunikation – all das verändert die gewohnte Struktur des Vergaberechts“, stellt Eßig klar.
Mehr Souveränität
Neu ist u. a. auch, dass Vergaben nur auf Unternehmen aus EU-Staaten beschränkt werden können. Es soll möglich sein, zu verlangen, dass ein Anteil der beschafften Leistung aus der EU stammt. Außerdem ist vorgesehen, Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerbung durchzuführen, wenn nur ein bestimmter Hersteller aufgrund der Interoperabilität infrage kommt.
Zwar gewinnt die Bedeutung von Souveränität in der Diskussion immer mehr an Gewicht, doch merkt Eßig an: „Die Einschränkung auf europäische Anbieter ist richtig, aber es bleibt die Realität: Wir haben es mit global verzweigten Lieferketten zu tun. Auch wenn der unmittelbare Lieferant europäisch ist, sind viele Komponenten in der zweiten oder dritten Stufe der Wertschöpfungskette importiert – etwa aus China. Die vollständige Kontrolle dieser Ketten ist faktisch kaum möglich.“ Es brauche dazu noch ein strategisches Lieferkettenmanagement. Das kann der Gesetzgeber jedoch nicht alleine stemmen. Industrieseitig heißt es dazu von Atzpodien: „Neu sind diejenigen Passagen, die den Ausschluss von Bietern und Unterauftragnehmern erlauben, welche ihren Sitz nicht in der EU haben. Dies mag im einen oder anderen Fall gerade bei ‚marktverfügbaren Produkten‘ zu weit gehen.“ Hier sei auch die Industrie gefragt. Medial herausgehobene Rüstungsprojekte wie die F-35, CH-47, P-8A Poseidon und PATRIOT-Systeme verstellten den Blick, heißt es vonseiten des BMVg. „Ganz grundsätzlich kann aber gesagt werden, dass die überwiegende Zahl von Rüstungsgütern in Deutschland oder europäischen Ländern beschafft wird“, so eine BMVg-Sprecherin. Man ist sich jedoch bewusst, dass in einer globalisierten Welt mit verflochtenen Zulieferketten auch Rüstungsbeschaffungsprojekte oftmals einen multinationalen Bezug haben.
Ein weiterer zentraler Punkt sei trotz allem der spürbare Versuch, den Wettbewerb zu stärken, sagt Eßig. Das zeige sich an mehreren Stellen des Gesetzes, etwa in der Vereinfachung von Unterlagen oder der Öffnung für zusätzliche Bieter. „Hintergrund ist ein reales Problem: Die Zahl der Bieter auf europäische Vergaben hat sich in den letzten zehn Jahren halbiert – von etwa sechs auf gut drei pro Verfahren. Intern liegen uns ebenfalls Daten vor, die eine unbefriedigende Wettbewerbssituation bestätigen“, erklärt Eßig. „Dass diese Maßnahmen nicht kostenlos sind, ist offensichtlich. Wenn wir auf europäische Hersteller setzen, Innovationsförderung betreiben und die Qualität der Systeme erhöhen wollen, wird das zwangsläufig teurer“, so Eßig weiter.. Dies habe mit der sogenannten „Defense Inflation“ zu tun. Verkürzt gesagt: Dadurch, dass die neue Generation von Wehrprodukten immer wesentlich leistungsfähiger sei als ihre Vorgänger, schlage sich das immer auch im Preis nieder (sog. „Intergenerational Cost Escalation“, d. Red.).
Generell sei der Entwurf mehr als eine Fortschreibung des Vorgängergesetzes. „Es ist ein strategisches Instrument, das – bei aller Komplexität – zeigt, dass man aus den ersten Erfahrungen gelernt hat.“





