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StartSicherheitBevölkerungsschutz nicht so zukunftsorientiert wie er sollte

Bevölkerungsschutz nicht so zukunftsorientiert wie er sollte

Der Katastrophenschutz steht und fällt mit dem Ehrenamt.  Wichtig ist deshalb eine geregelte Freistellung von ehrenamtlichen Kräften. Deshalb brauche es eine tatsächliche Helfergleichstellung. Das fordert Landeskatastrophenschutzbeauftragter Jürgen Wiesbeck im Interview. Die Fragen stellte Bennet Biskup-Klawon.

Behörden Spiegel: Wie ist es um das Ehrenamt in Ihrem Landesverband bestellt?

Jürgen Wiesbeck: Wir leben in Baden-Württemberg – dem Ehrenamtsland Nummer eins. Dennoch beobachten wir zunehmend, dass es schwieriger wird, Menschen dauerhaft für ein Ehrenamt zu gewinnen und langfristig zu binden. Die Fluktuation im Ehrenamt hat im Vergleich zu früher deutlich zugenommen. Ursachen liegen unter anderem in der gestiegenen Belastung, in bürokratischen Hürden und in den wachsenden Erwartungen, die heute an ehrenamtliches Engagement gestellt werden.

Behörden Spiegel: Sie haben sich gemeinsam mit 150 anderen Bevölkerungsschutzkräften auf den Weg nach Stuttgart gemacht und eine Helfergleichstellung für die Kräfte der Hilfsorganisationen gefordert. Was fehlt noch zu einer echten Helfergleichstellung?

Wiesbeck: Zur tatsächlichen Helferfreistellung fehlen vor allem noch einige Aspekte. Bisher gibt es nur eine Gleichstellung im Katastrophenfall oder eine bedingte Gleichstellung kurz unterhalb der Katastrophenschwelle. Das bedeutet: Eine Freistellung vom Arbeitgeber erfolgt, wenn überhaupt, bislang nur in diesen Ausnahmefällen. Jedoch bei der Vorbereitung, wie Übungen oder Lehrgängen, gibt es keine verbindlichen Reglungen, wie beispielsweise in Form von Sonderurlaub, wie ihn Feuerwehrangehörige oder THW-Helfer erhalten.

Weiter geht es mit dem Anspruch auf Verdienstausfall auch für niedrigschwellige Einsätze, denn nicht jeder Einsatz ist gleich eine Katastrophe. Momentan handelt es sich hierbei meist um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Freistellung genauso verbindlich geregelt wird wie bei der Feuerwehr.

Behörden Spiegel: Welche Signale haben Sie aus der Politik erhalten? Das Thema der Helfergleichstellung wird schon seit einiger Zeit diskutiert.

Wiesbeck: Über diese Fragen sprechen wir nun seit mindestens 20 Jahren – ohne dass sich bislang wirklich Grundlegendes verändert hätte. Angesichts der Tatsache, dass Krisen und Großschadenslagen immer näher rücken, ist jetzt ein Zeitpunkt, die Politik erneut auf die bestehenden Defizite aufmerksam zu machen.

Die Signale, die wir derzeit erhalten, sind grundsätzlich positiv: Es heißt, man wolle handeln. Gleichzeitig werden wir gebeten, konkrete Formulierungsvorschläge einzubringen – was wir selbstverständlich tun. Insbesondere im Hinblick auf Änderungen im Landeskatastrophenschutzgesetz haben wir entsprechende Vorschläge ausgearbeitet. Ob die angekündigten Verbesserungen tatsächlich umgesetzt werden, werden allerdings die kommenden Wochen zeigen.

Behörden Spiegel: Bei Ihrer Fahrt nach Stuttgart haben Sie das Grundlagenpapier zum Bevölkerungsschutz der Zukunft mit zehn Forderungen für einen zukunftsfähigen Bevölkerungsschutz übergeben. Sind die Bevölkerungsschutzstrukturen derzeit nicht zukunftsfähig aufgestellt?

Wiesbeck: Der Bevölkerungsschutz ist aktuell noch nicht so zukunftsorientiert aufgestellt, wie es angesichts der absehbaren Entwicklungen erforderlich wäre. Das zeigt sich bereits beim Fahrzeugbestand und bei den Strukturen der Einsatzeinheiten. In Baden-Württemberg gibt es derzeit 121 sogenannte Einsatzeinheiten für Sanitäts- und Betreuungsdienste, von denen das Deutsche Rote Kreuz in beiden Landesverbänden rund 95 Prozent der aktiven Kräfte stellt. Wir haben bereits Vorschläge erarbeitet, wie sich diese Strukturen modularer gestalten lassen, um künftig flexibler auf unterschiedliche Schadenslagen reagieren zu können. Gleichzeitig müssen auch materielle Ressourcen überprüft und modernisiert werden. An vielen Stellen ist der Fuhrpark deutlich überaltert, und die Ausstattung zur Selbstversorgung ist nicht überall ausreichend vorhanden.

Ein besonders prägnantes Beispiel liefert die Flutkatastrophe im Ahrtal. Das DRK aus Baden-Württemberg war dort mit über 1.000 Einsatzkräften über ein halbes Jahr hinweg beteiligt. Dabei hat sich gezeigt, dass viele unserer Fahrzeuge – insbesondere im Sanitäts- und Betreuungsdienst – nicht geländegängig sind. Zahlreiche Einsatzorte konnten zu Beginn gar nicht erreicht werden, weil die im Katastrophenschutz zur Verfügung gestellten Fahrzeuge für solche Bedingungen nicht geeignet waren.

Behörden Spiegel: Welche dieser Forderungen sind Ihnen am wichtigsten?

Wiesbeck: Da gibt es drei Forderungen. Erstens: Helfergleichstellung. Wenn wir den Helferinnen und Helfern nicht langfristig Sicherheit gegenüber ihren Arbeitgebern bieten – also die Garantie, im Einsatzfall freigestellt zu werden – riskieren wir, dass sich immer weniger Menschen ehrenamtlich engagieren. Das würde das gesamte System des Katastrophenschutzes schwächen. Wir sind auf diese Ehrenamtlichen angewiesen, nicht nur beim Roten Kreuz, sondern im Katastrophenschutz insgesamt. Ohne ausreichend motivierte Helfer steht das System vor großen Problemen.

Zweitens: Vollfinanzierung des Katastrophenschutzes. Dabei geht es nicht darum, dass das Rote Kreuz keine eigenen Ressourcen einbringt. Wenn jedoch beispielsweise in Baden-Württemberg 121 Einsatzeinheiten aufgebaut werden sollen, muss das Land bereit sein, die dafür notwendigen finanziellen Mittel vollständig bereitzustellen. Eine „Mischkalkulation“, bei der den Hilfsorganisationen zusätzliche finanzielle Lasten auferlegt werden, führt nicht automatisch zu einer hundertprozentigen Einsatzfähigkeit.

Drittens: Anerkennung und partnerschaftliche Zusammenarbeit. Häufig werden wir in den Landkreisen, die den Katastrophenschutz mitverantworten, nicht als gleichwertiger Partner anerkannt, sondern von der Verwaltung bevormundet. Wir setzen uns dafür ein, dass Expertise und Verantwortung dort liegen, wo sie fachlich am besten aufgehoben sind – sei es im Sanitäts- oder Betreuungsdienst. Das bedeutet nicht, dass andere Organisationen, wie die Feuerwehr, nicht geschätzt werden. Es geht vielmehr um Kooperation und gegenseitige Anerkennung der fachlichen Kompetenzen, damit Einsätze effektiv und sachgerecht geführt werden.

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