Die am 6. Juni 2023 in Kraft getretene EU-Entgelttransparenzrichtlinie (EU) 2023/970 hat zum Ziel, das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle abzubauen und die Umsetzung des Grundsatzes „gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ zu stärken. Dazu führt sie verbindliche Transparenz- und Durchsetzungsmaßnahmen ein. Noch wurde die Richtlinie nicht in deutsches Recht umgesetzt; dafür hat der Bund bis zum 7. Juni 2026 Zeit. Am 7. November 2025 wurden die Vorschläge der von Bundesministerin Prien eingesetzten Kommission zur Umsetzung der Richtlinie an diese übergeben. Es ist davon auszugehen, dass das Gesetzgebungsverfahren nun zügig eingeleitet wird.
Die Umsetzung der Richtlinie wird das bisher geltende Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) in einigen Punkten ablösen und ergänzen. Dieses galt bislang erst ab Beginn des Arbeitsverhältnisses und der darin geregelte Auskunftsanspruch nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten. Die Richtlinie erweitert die Transparenzpflichten zum einen auf die Phase vor der Einstellung und zum anderen auf alle Arbeitgeber, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich sowie unabhängig von der Betriebsgröße – also auch auf Bund, Länder, Kommunen und sonstige öffentliche Einrichtungen. Das stellt die Personalverwaltung vor neue rechtliche und organisatorische Herausforderungen.
Zentrale Pflichten für Arbeitgeber
Die Richtlinie sieht weitreichende Pflichten vor, die Arbeitgeber im Bewerbungsverfahren und später im laufenden Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen haben.
Bereits im Bewerbungsverfahren müssen Arbeitgeber Stellenbewerbenden zukünftig proaktiv über das auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruhende zu erwartende Einstiegsentgelt oder dessen Spanne informieren. Ein Verweis auf die einschlägige Entgeltgruppe in den anwendbaren Tarifbestimmungen dürfte regelmäßig ausreichen, wenn diese, wie z. B. der TVöD oder TV-L, ohne größeren Aufwand öffentlich einsehbar sind.
Während der Beschäftigung haben Arbeitgeber zudem nach Art. 6 der Richtlinie ihre Beschäftigten unaufgefordert und leicht zugänglich über alle Kriterien zur Festlegung des Entgelts, die Entgelthöhen und die Entgeltentwicklung zu informieren. Diese Pflicht besteht unabhängig von der Zahl der Beschäftigten – lediglich Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmenden können von den Informationspflichten hinsichtlich der Entgeltentwicklung vom nationalen Gesetzgeber ausgenommen werden. Öffentliche Arbeitgeber mit Tarifbindung erfüllen diese Pflichten in der Regel bereits durch die tarifvertragliche Entgeltordnung. Die Eingruppierung folgt dem Grundsatz der Tarifautomatik. Die im TVÖD und TV-L genannten Tätigkeitsmerkmale sind geschlechtsneutral formuliert. Zudem gelten die Stufenlaufzeiten geschlechterübergreifend und folgen objektiven Kriterien.
Darüber hinaus bestehen individuelle Auskunftsrechte der Beschäftigten. Arbeitgeber müssen nach Art. 7 EntgTranspRL ihren Beschäftigten auf Antrag schriftlich und innerhalb von zwei Monaten Auskunft erteilen über deren individuelle Entgelthöhe sowie über die durchschnittlichen Entgelte von Kolleginnen und Kollegen, differenziert nach Geschlecht, die gleiche oder gleichwertige Arbeit leisten. Im Gegensatz zum jetzigen Entgelttransparenzgesetz gilt das Auskunftsrecht fortan unabhängig von der Größe des Betriebs.
Arbeitnehmende sind zudem jährlich über ihr Auskunftsrecht und dessen Wahrnehmung zu informieren.
Des Weiteren müssen Arbeitgeber mit mindestens 100 Beschäftigten künftig regelmäßig einen Bericht zum geschlechtsspezifischen Entgeltgefälle erstellen. Die Berichterstattungspflicht gilt zunächst alle drei Jahre, bei 250 und mehr Beschäftigten ab 2027 sogar jährlich.
- Ab 250 Beschäftigten: Jährlicher Bericht ab dem 7. Juni 2027
- 150 bis 249 Beschäftigte: Alle drei Jahre ein entsprechender Bericht ab dem 7. Juni 2027
- 100 bis 149 Beschäftige: Alle drei Jahre ein entsprechender Bericht ab dem 7. Juni 2031
- Für Unternehmen mit unter 100 Beschäftigten bleibt es den Mitgliedsstaaten selbst überlassen, ob eine Pflicht bestehen soll.
Arbeitgeber trifft ferner eine Mitwirkungspflicht bei Nachfragen von Arbeitnehmervertretungen, Arbeitsaufsichtsbehörden oder Gleichstellungsstellen bei Unklarheiten. Wird ein nicht gerechtfertigtes Gefälle von mindestens 5 Prozent festgestellt, müssen Arbeitgeber gemeinsam mit Arbeitnehmervertretungen eine Entgeltbewertung durchführen und Maßnahmen zur Beseitigung der Ungleichheiten festlegen. Diese gemeinsame Entgeltbewertung ist in Deutschland völlig neu und wird von besonderer Praxisrelevanz sein. Die genaue Umsetzung ins nationale Recht bleibt noch abzuwarten.
Kriterien gleichwertiger Arbeit
Ziel der Regelungen ist stets die Feststellung und Beseitigung ungleicher Entlohnung von gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Die Beurteilung der Gleichwertigkeit von Tätigkeiten ist nach der Richtlinie nach vier objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien vorzunehmen.
Die Kriterien sind:
- Kompetenz
- Arbeitsbelastung
- Verantwortung
- Arbeitsbedingungen
- ggfs. etwaige weitere Faktoren.
Diese dürfen von den Arbeitgebern je nach Wichtigkeit für die jeweilige Tätigkeit unterschiedlich gewichtet werden. Darüber hinaus dürfen auch weitere, für die konkrete Position relevante Kriterien herangezogen werden, sofern sie objektiv und geschlechtsunabhängig sind.
Rechtsfolgen bei Verstößen
Die Richtlinie enthält neben der Festlegung der Pflichten auch Regelungen zu Rechtsfolgen bei Verstößen gegen diese. Art. 16 sieht Schadensersatzansprüche für finanzielle Schäden sowie Entschädigungsansprüche für immateriellen Schaden vor. Bereits jetzt enthält das deutsche Recht mit Paragraf 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eine Regelung, die Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche bei einer Benachteiligung wegen des Geschlechts anerkennt. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass eine vergleichbare Regelung eingeführt oder Paragraf 15 AGG entsprechend erweitert und angepasst wird.
Zur Feststellung von Verstößen sieht die Richtlinie ferner eine Beweislastumkehr vor, sodass bei Erhebung des Verdachts ungleicher Entlohnung der Arbeitgeber beweisen muss, dass keine Diskriminierung vorliegt. Die Mitgliedsstaaten erlassen nach den Vorgaben der Richtlinie zudem Vorschriften über „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ der Arbeitgeber, wenn eine Verletzung der Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts festgestellt wird.
Besonderheiten im öffentlichen Dienst
Die Richtlinie unterscheidet nicht zwischen privatem und öffentlichem Sektor – auch öffentliche Arbeitgeber müssen die neuen Regelungen nach deren Umsetzung in nationales Recht vollständig erfüllen.
Art. 2 Abs. 1 EntgTranspRL:
„Diese Richtlinie gilt für Arbeitgeber in öffentlichen und privaten Sektoren.“
Schon nach dem geltenden Entgelttransparenzgesetz sind gemäß Paragraf 16 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes den privatrechtlich Beschäftigten weitgehend gleichgestellt. Gerade für im öffentlichen Dienst Beschäftigte ergeben sich durch die Entgelttransparenzrichtline in der Praxis aber Besonderheiten. Denn die Besoldungs- und Versorgungsordnungen der Beamten sind häufig starr und gesetzlich festgelegt. Auch im tarifgebundenen öffentlichen Dienst (TVöD oder TV-L) greifen bundeseinheitliche Entgelttabellen und Tarifstufen, die nach klassischem Arbeitsbewertungsprinzip gegliedert sind.
Nach der bisherigen Rechtslage unterliegen tarifliche Regelungen gemäß Paragraf 4 Abs. 5 EntgTranspG einer Angemessenheitsvermutung. Dies folgt aus der vorherrschenden Meinung, dass tarifautonom geschaffene Regelungen einen angemessenen Interessenausgleich schaffen. Eine solche Angemessenheitsvermutung sieht die Entgelttransparenzrichtlinie nicht vor. Ob sie aber dennoch zumindest in Form einer widerlegbaren Indizwirkung aufrechterhalten werden kann und wird oder ob in Zukunft die Rechtfertigung ungleicher Entlohnung anhand der genannten Kriterien aktiv dargelegt werden muss, bleibt noch abzuwarten. Nach dem Bericht der Kommission sollen Tarifverträge weiterhin eine Angemessenheitsvermutung genießen. Danach sollen tarifgebundene Arbeitgeber bei derselben tariflichen Entgeltgruppe auch von gleicher oder gleichwertiger Arbeit ausgehen können.
Jedenfalls verlangt die Richtlinie jedoch, dass von nun an auch Tarifverträge und Besoldungsordnungen auf objektive und offengelegte Kriterien gestützt werden. Der alleinige Verweis auf tarifvertragliche Eingruppierungen wird für die Bewertung der Gleichwertigkeit voraussichtlich nicht mehr ausreichen können. Das kann im öffentlichen Dienst auf besondere Herausforderungen stoßen, da die Kriterien der Eingruppierung häufig weder transparent offengelegt noch mit Personalvertretungen abgestimmt sind. Oft existieren keine Betriebs- oder Dienstvereinbarungen über die maßgeblichen Entgeltkriterien, und branchenübergreifende Tarifverträge können es erschweren, einheitlich in einem Betrieb zu bewerten.
Zudem können öffentliche Arbeitgeber nicht immer kurzfristig Entgelte anpassen. Besoldungsordnungen, haushaltsrechtliche Vorgaben und tarifvertragliche Zuständigkeiten schränken ihre Handlungsspielräume ein. Das bedeutet in der Praxis, dass die Behebung festgestellter Ungleichheiten oft politisch statt rein operativ erfolgen muss. Dies sollte bei der Planung von Maßnahmen und Zeitplänen berücksichtigt werden.
Praxishinweise
(Öffentliche) Arbeitgeber stehen mit der Entgelttransparenzrichtlinie vor der Aufgabe, sowohl formale Vorgaben umzusetzen als auch ihre internen Strukturen organisatorisch weiterzuentwickeln. Auch wenn die nationale Umsetzung noch aussteht, sollten bereits jetzt proaktive Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehören insbesondere die Erfassung und Auswertung der Entgeltdaten, die Überprüfung des Bewertungssystems auf Diskriminierungsfreiheit und die organisatorische Vorbereitung auf Auskunftsersuchen. Wer damit jetzt beginnt, schafft die Voraussetzungen, um später zügig und rechtssicher zu handeln.
Die Autorin dieses Gastbeitrages ist Julia Füllmann von der Küttner Rechtsanwälte Partnergesellschaft.





