Im Rahmen der Angebotsprüfung kommt es häufig vor, dass Bieter auffällig niedrige Angebote im Vergleich zu ihren Konkurrenten einreichen. Der Umgang mit solchen Angeboten und die Pflicht zur Aufklärung sind in § 60 VgV (§ 44 UVgO) geregelt. Zu beachten ist dabei, dass Konkurrenten einen Anspruch auf Durchführung der Preisprüfung haben und diesen im Wege eines Nachprüfungsverfahrens durchsetzen können (vgl. BGH, Beschl. v. 31.1.2017 – X ZB 10/16).
Die im Gesetz verwendeten Begriffe des „ungewöhnlich niedrigen“ Preises bzw. Kosten werden in der Rechtsprechung so beurteilt, dass für deren Vorliegen oft auf bestimmte prozentuale Abstände zwischen den Angeboten oder anderen Bezugspunkten abgestellt wird (sog. „Aufgreifschwelle“). Eine Aufgreifschwelle von 20 % wurde wiederholt in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. Beck VergabeR/Lausen, 3. Aufl. 2019, VgV § 60 Rn. 10 m.w.N.).
Gemäß § 60 Abs. 1 VgV ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet die Aufklärung „vom Bieter“ zu verlangen. Das Gericht stellt jedoch im vorliegenden Urteil fest, dass dies nicht in jedem Fall erforderlich ist.
Sachverhalt (Kurzzusammenfassung)
Der Antragsgegner (Ag.) schrieb IT-Dienstleistungen für den Betrieb und das Hosting des NRW Messengers mit Videokonferenztool europaweit aus. Die Zuschlagskriterien waren 40 % Preis und 60 % Qualität. Der Anbieter mit dem günstigsten Preis erhielt 40 Punkte, während ein Anbieter mit einem 1,5-fach höheren Preis 0 Punkte erhielt. Die Punkte für dazwischen liegende Preise wurden linear interpoliert.
Nach dem Teilnahmewettbewerb gab die Antragstellerin (Ast.) ein Angebot ab. Mit Schreiben gemäß § 134 GWB teilte der Ag. der Ast. mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag der Beigeladenen (Beigel.) zu erteilen. Die Ast. rügte dieses Ergebnis in mehreren Punkten. Der Ag. wies die Rügen daraufhin zurück und teilte mit, dass der Angebotspreis der Ast. der höchste gewesen sei und den Angebotspreis des günstigsten Unternehmens um mehr als das Doppelte übersteige. Der Preis wurde daher mit 0 Punkten bewertet.
Die Ast. argumentierte daraufhin, dass das Angebot der Beigel. wegen des ungewöhnlich niedrigen Preises auf seine Auskömmlichkeit zu überprüfen war; es hätte sodann gemäß § 60 VgV vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden müssen. Dass das Angebot der Beigel. mehr als 50 % unterhalb des bereits sehr wettbewerblich kalkulierten Angebots der Ast. liege, sei allein damit zu erklären, dass es sich um ein „die Kosten des Bieters nicht im Entferntesten deckendes Angebot“ handle. Diese und weitere Rügen machte die Ast. zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens. Nach Akteneinsicht monierte die Ast. neben der Unauskömmlichkeit auch die unterlassene bzw. nicht hinreichende Preisprüfung des Angebots.
Die Vergabekammer Rheinland (30.3.2022 – VK 32/21 L, BeckRS 2022, 56838) wies den Nachprüfungsantrag der Ast. teilweise als unzulässig und teilweise als unbegründet zurück. Hiergegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Ast.
Entscheidung des OLG Düsseldorf
Ohne Erfolg! Das OLG Düsseldorf entschied, dass der Nachprüfungsantrag teilweise unzulässig war und soweit zulässig unbegründet. Insbesondere war das das Angebot der Beigel. nicht nach § 60 Abs. 1 VgV als unauskömmlich auszuschließen. Die Preisprüfung war ordnungsgemäß.
Das OLG Düsseldorf stellte zunächst fest, dass das Angebot der Beigeladenen ungewöhnlich niedrig erscheint und gemäß § 60 Abs. 1 VgV Anlass zur Aufklärung gegeben hat. Gemäß dieser Vorschrift muss der öffentliche Auftraggeber vom Bieter eine Aufklärung verlangen, wenn der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zur zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen. Diese Pflicht zur Preisprüfung kann sich aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten, aus Erfahrungswerten, insbesondere aus Erkenntnissen aus vorangegangenen vergleichbaren Ausschreibungen oder aus einem Vergleich mit der eigenen Auftragswertschätzung des Auftraggebers ergeben. Im vorliegenden Fall überstiegt das Angebot der Ast. das der Beig. um mehr als das Doppelte.
Weiter stellte das OLG Düsseldorf fest, dass der öffentliche Auftraggeber gemäß § 60 Abs. 2 VgV dem Bieter grundsätzlich die Möglichkeit geben muss, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zu entkräften. Dies erfolgt durch eine eindeutig formulierte Anforderung, die Erläuterungen zu den angebotenen Preisen verlangt.
Jedoch besteht die Pflicht zur Aufklärung nicht um ihrer selbst willen. Eine Aufklärung nach § 60 Abs. 1 VgV hat nicht lediglich aus formalen Gründen zu erfolgen. Wenn der öffentliche Auftraggeber aufgrund anderweitiger gesicherter Erkenntnisse zu der Feststellung gelangt, dass das Angebot eines Bieters nicht ungewöhnlich oder unangemessen niedrig ist, darf er auf eine Aufklärung verzichten. Das OLG begründete dies mit den begrenzten verwaltungsmäßigen und finanziellen Ressourcen sowie des Beschleunigungsgebots im Vergabeverfahren (so auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.12.2017 – VII-Verg 8/17).
Im vorliegenden Fall war eine gesonderte Aufklärung durch die Beig. nicht notwendig, da die fachtechnische Bewertung die Auskömmlichkeit des Angebotspreises der Beigeladene bestätigte.
Einordnung, Fazit und Empfehlung
Die Begründung des OLG Düsseldorf ist plausibel und nachvollziehbar. Allerdings ist die Entscheidung angesichts des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes, der von einer Aufklärung „beim Bieter“ spricht (§ 60 Abs. 1 VgV), nicht selbstverständlich. Daher ist der Praxis zu empfehlen, nur in äußersten Ausnahmefällen auf eine Preisaufklärung beim Bieter zu verzichten. Im Zweifel sollte stets eine Anhörung und Befragung des Bieters durchgeführt werden. Im Rahmen der Preisprüfung beim Bieter hat der öffentlichen Auftraggeber die Einzelposten der ungewöhnlich niedrigen Angebote zu überprüfen, indem er dem Bieter zur Vorlage der erforderlichen Belege für die „Seriosität“ des Angebots auffordert (EuGH (4. Kammer), Urt. v. 29. 3. 2012 − C-599/10 =NZBau 2012, 376 Rn. 28.).
Aufklärung direkt beim Bieter sollte dabei insbesondere dann zwingend sein, wenn der Bieter – anders als im vorliegenden Fall – aufgrund seines Preises ausgeschlossen werden soll.
Beachtenswert ist, dass das „Aufweichung“ des Wortlauts des § 60 VgV nichts ungewöhnliches darstellt. Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass die Verwendung des Verbs „dürfen“ in § 60 Abs. 3 VgV nicht so zu verstehen ist, dass es im Belieben des Auftraggebers steht, den Auftrag trotz weiterbestehender Ungereimtheiten an den betreffenden Bieter zu vergeben. Die Ablehnung des Zuschlags ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann (sog. gebundenes Ermessen) (BGH 31. 1. 2017 – X ZB 10/16, ZfBR 2017, 492 (495).
Autor dieses Gastbeitrages ist Peter Schwientek Rechtsanwalt bei Leinemann & Partner Rechtsanwälte mbB




