Die nordrhein-westfälische Finanzverwaltung hat mit über zehn Prozent eine vergleichsweise hohe Quote von Beschäftigten mit Behinderung. Hier wird Inklusion gelebt und gefördert – das zahlt sich aus.
Wenn Menschen aus Nordrhein-Westfalen in der Telefonzentrale ihres Finanzamtes anrufen, haben sie fast immer einen blinden oder sehbehinderten Menschen am Apparat. Merken werden sie davon allerdings nichts – was natürlich in erster Linie an der hohen Kompetenz unserer Kolleginnen und Kollegen liegt, aber auch an der passenden individuellen Technikausstattung. Das ist ein Baustein unserer Inklusionsstrategie und ein Beispiel, wie wir in der Finanzverwaltung des Landes die Einbeziehung von behinderten Menschen umfassend leben. Rund 3.300 schwerbehinderte Beschäftigte arbeiten für die Finanzverwaltung in Nordrhein-Westfalen – die Quote von mehr als zehn Prozent liegt weit über dem Schnitt der gesamten Landesverwaltung. Einige Kollegen sind Quereinsteiger, einige haben wir selbst zu Steuerexperten ausgebildet. Wir unterstützen individuell entsprechend der jeweiligen Behinderung und haben passende Strukturen sowie Prozesse etabliert.
Erweiterte Kompetenzen
Um bei dem Beispiel der Telefonzentrale zu bleiben: Allein in diesem Bereich beläuft sich die Zahl der blinden und sehbehinderten Mitarbeitenden auf 140. Hier arbeiten hochmotivierte und gut ausgebildete Fachkräfte, für deren Einsatz wir sehr dankbar sind. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt aufgelegt, mit dem wir ihnen den Weg zum beruflichen Aufstieg vom einfachen zum mittleren Dienst eröffnen: Wir haben die Schulungsmaßnahmen und auch unsere eigene Fortbildungsakademie so auf einen barrierefreien Stand gebracht, dass die Mitarbeitenden der Telefonhotline für die inhaltliche Beratung im neuen landesweiten Bürgerservice fit gemacht werden können. Das heißt: Sie verbinden die Anruferinnen und Anrufer nicht nur, sondern helfen jetzt auch direkt inhaltlich bei Verständnisfragen zum Steuerbescheid und ähnlichen Anliegen. So ermöglichen wir den Mitarbeitenden neue Herausforderungen, eine persönliche Weiterentwicklung und erschließen für unsere Verwaltung wichtige Personalressourcen.
Gut ausgestattet
Ganz wichtig ist in diesem Bereich der Faktor Technik. Dafür haben wir unser A-Team – die Truppe für „Assistive Technik“. Einige unserer sehbehinderten Kollegen können an einem speziellen Bildschirm mit starker Vergrößerung lesen. Andere brauchen ein Gerät mit Sprachausgabe und Braillezeile – ein Display für die Übersetzung in Blindenschrift – zur Sichtung von Dokumenten. Der Support für unsere schwerbehinderten Kollegen erfolgt immer individuell und zielgerichtet, damit alle Beschäftigten ihre Arbeit so gut und gern wie möglich erledigen können. Darüber hinaus gibt es auch für Beschäftigte mit psychischen oder neurodiversen Beeinträchtigungen eine bedarfs- und bedürfnisorientierte Begleitung durch Fachpersonen aus dem Bereich Personal. Aber natürlich brauchen wir nicht nur den Blick auf den einzelnen Menschen, sondern auch einen ganzheitlichen, wenn wir die Inklusion in unserer Verwaltung strukturiert nach vorne bringen wollen. Deshalb ist zu Beginn des Jahres unser Kompetenzzentrum für Barrierefreiheit in der IT (KOMBIT) an den Start gegangen, welches das Bewusstsein für diesen Aspekt in allen Prozessen verankert.
Wegbereiter Verwaltung
Das KOMBIT sorgt dafür, dass der Abbau von Barrieren immer von Anfang an mitgedacht wird – ob es um Ausschreibungen geht, um die Erstellung von Dokumenten oder die Entwicklung neuer Software. Denn Barrierefreiheit von Hard- und Softwareprodukten eines Arbeitgebers ist ein Kernbereich der Inklusion. KOMBIT erreicht mit seinen Angeboten jeden Bereich des Verwaltungshandelns: von der Aus- und Fortbildung bis hin zu Personalversammlungen und extern wirkenden Veranstaltungen. Ich hoffe, dass eines inzwischen klar geworden ist: Wir wollen Menschen mit all ihren Talenten, aber auch mit körperlichen Einschränkungen als Beschäftigte. Wir sehen hier ein großes Potenzial für unser Recruiting und werben gezielt um schwerbehinderte Menschen als Arbeitskräfte – zum Beispiel auf der Fachmesse für Rehabilitation, Integration und Pflege „Rehacare“ in Düsseldorf. Natürlich hat die öffentliche Verwaltung, wie auch andere moderne Arbeitgeber, den gesellschaftlichen Auftrag, Wege zur Teilhabe zu öffnen – aber wir sehen Inklusion zugleich als echte Chance für unsere Zukunft. Denken und Lenken Deshalb ist die Inklusion auch ein Baustein unseres aktuellen Modernisierungsprogramms „Finanzverwaltung für Nordrhein-Westfalen“. In diesem Rahmen haben wir jetzt die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Inklusions-Chancen (KIC) beschlossen und gemeinsam mit unserer Personal- sowie Hauptschwerbehindertenvertretung auf den Weg gebracht. Das Ziel: Bei neuen Arbeitsprozessen oder Projekten sollen die Perspektiven für Inklusion sofort ausgelotet werden. Kann es sinnvoll und klug sein, hier Menschen mit besonderen Fähigkeiten einzusetzen – und wie? Diese Frage soll standardisiert und automatisch im Raum stehen – nicht zufällig einmal aufploppen. Letztlich geht es immer darum, wie wir denken. Im Jahr 2019 hat das Ministerium der Finanzen in Nordrhein-Westfalen seine erste Rahmeninklusionsvereinbarung geschlossen. Und jetzt spüren wir mehr und mehr, dass die Ideen und Überzeugungen, die dort aufgeschrieben sind, tatsächlich in unser Verwaltungshandeln eingesickert sind und segensreich wirken. Deshalb werden wir Inklusionsvereinbarungen für alle Finanzämter im Land auflegen. Viele Bausteine zusammen bilden ein solides Fundament. Und ein solches Fundament soll das Bewusstsein in unserer Finanzverwaltung sein, dass Inklusion keine Notwendigkeit, kein Erfordernis ist – sondern eine Gelegenheit. Ein zusätzlicher Weg, um uns in herausfordernden Zeiten personell stark aufzustellen und vor allem tolle Menschen zu finden, die mit ihren individuellen Besonderheiten unsere Familie Finanzverwaltung bereichern.
Der Autor des Gastbeitrags ist Dr. Dirk Günnewig, Staatssekretär im Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen.





