Zwei Jahre nach einem wegweisenden Urteil des Bundessozialgerichts stehen die öffentlichen Musikschulen vor gravierenden Umstrukturierungen: Sie müssen selbstständige Lehrkräfte ins Angestelltenverhältnis überführen.
Am 31. Oktober ist die Brandenburger Musikschule Bad Saarow Geschichte und schließt ihre Türen. Im Anschluss sollen einige Lehrkräfte die Schüler privat weiter unterrichten. Grund für das Aus der pädagogischen Einrichtung ist ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2022. Mit der auch als „Herrenberg-Urteil“ bekannten, höchstrichterlichen Entscheidung wird konkretisiert, unter welchen Umständen Lehrkräfte an Musikschulen selbstständig arbeiten und wann es sich bei ihrer Beschäftigung um eine Scheinselbstständigkeit handelt. Das Ergebnis: Lehrende, die in die Strukturen der Musikschulen eingebunden sind und dort Weisungen zu befolgen haben, müssen festangestellt werden.
Das hat Folgen: Je nach Höhe der kommunalen Förderung müssen öffentliche Musikschulen ihr Angebot einschränken oder aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln Lehrkräfte entlassen. Zwei Jahre nach der Entscheidung sind immer mehr Musikschulen mit der Umsetzung des Karlsruher Urteils befasst.
Gestrichene Unterrichtstunden und höhere Gebühren
Der Verband Deutscher Musikschulen (VDM), in dem rund 900 kommunal geführte musikpädagogische Einrichtungen vertreten sind, begrüßt im Großen und Ganzen die Entscheidung des BSG. „Mit Blick auf den Nachwuchsmangel ist das Urteil positiv zu bewerten“, erklärt Bundesgeschäftsführer Matthias Pannes. So sollten aus Sicht des VDM Lehrtätigkeiten an Musikschulen grundsätzlich nur auf Basis von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen erfolgen. Ausnahmen seien kurzzeitige Vertretungen oder geringfügige Tätigkeiten von Lehrkräften, die an anderer Stelle einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen.
Dabei prognostiziert der Bundesverband: Der Prozess des Umwandelns von Honorarverträgen in Festanstellungen dürfte bei den öffentlichen Musikschulen bis Ende 2026 andauern. Pannes: „Wir setzen uns dafür ein, dass dieser Prozess schrittweise ausgestaltet und durch die Deutsche Rentenversicherung monitoring-gestützt verläuft.“ So fordere man beispielsweise, dass es in der Übergangsphase nicht zu Rückforderungen seitens der Deutschen Rentenversicherung kommt. Denn für den Fall, dass die Deutsche Rentenversicherung die Beschäftigungsverhältnisse überprüft, drohen beim Abschluss von Honorarverträgen Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen. Laut Strafgesetzbuch sind sogar Strafzahlungen möglich, wenn Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmern vorenthalten werden.
Angebot in Zeiten klammer Kassen sichern
Dabei weist VDM-Bundesgeschäftsführer Pannes darauf hin: Musikschulen seien freiwillige Leistungen der Kommunen und nicht alle Kommunen würden über ausreichende finanzielle Mittel verfügen. „Aus diesem Grund hat es eine stärkere Verlagerung hin zu Honorarkräften gegeben, um das Angebot der Musikschulen in Zeiten klammer Kassen zu sichern“, erläutert er. Weil die Haushaltskassen allerdings nicht voller geworden seien, sei der geordnete Übergangsprozess zu Festanstellungen „ohne eine Zerstörung der Strukturen durch Rückforderungen“ umso wichtiger.
In dem Rechtsstreit, der dem Herrenberg-Urteil vorausging, war es um das Arbeitsverhältnis einer Musikschullehrerin gegangen, die auf Honorarbasis die gleichen Arbeiten erledigt hatte wie ihre angestellten Kollegen. Sie war ebenso fest wie diese in die Arbeitsabläufe der Musikschule eingebunden und konnte nicht so frei agieren, wie es im Rahmen einer „freien“ Tätigkeit üblich gewesen wäre. Die Richter stuften sie daher als scheinselbstständig ein und entschieden, dass sie sozialversicherungspflichtig hätte beschäftigt werden müssen.
Bei dem Urteil handelte es sich zwar um eine Einzelfallentscheidung, doch nach Auffassung von Juristinnen und Juristen hat diese Entscheidung über den Einzelfall hinaus Auswirkung auf fast alle öffentlichen Musikschulen, die freie Lehrkräfte in ihre Abläufe eingebunden haben.





 
                                    
