Auf der Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) stand besonders die Digitalisierung des Gesundheitswesens im Fokus. KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner plädierte für Digitalisierungsanreize statt Sanktionen. Bei der elektronischen Patientenakte (ePA) beobachtet sie derweil Stagnation.
„Digital und ambulant vor stationär“, so Steiners grundsätzliche Forderung, die aus ihrer transkribierten Rede auf der KBV-Website hervorgeht. Dazu sei „das Voranbringen einer sinnvollen Digitalisierung für echte Versorgungslösungen“ entscheidend. Steiner, die zusammen mit dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Andreas Gassen und dessen Stellvertreter Dr. Stephan Hofmeister den Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bildet, hob bereits erarbeitete Konzepte wie den „medizinisch sinnvollen Einsatz von Videosprechstunden“ hervor. Das in der Rede mehrfach gefallene Wort „sinnvoll“ bedeutet für Steiner in diesem Fall etwa, „die Vergabe von Terminen anhand von medizinischem Bedarf an Stelle von Leistungswünschen zu priorisieren“. Sie nannte zudem die Begriffe „Digitalisierung und Entbürokratisierung“ in einem Atemzug. Damit Digitalisierung funktioniere, brauche es einen „längst überfälligen Bürokratieabbau“. Daher fordert die KBV die neue Bundesregierung konkret dazu auf, innerhalb der erste 100 Tage der Legislatur ein „Bürokratieentlastungsgesetz für die vertragsärztliche und -psychotherapeutische Versorgung“ auf den Weg zu bringen.
Praxen als digitale Versorgungszentren
Steiner betonte, dass Praxen „der mit Abstand am stärksten digitalisierte und digital vernetzte Bereich“ im Gesundheitswesen seien – und zwar aus Eigenengagement und mit Eigenmitteln. Viele andere Akteure seien hingegen noch gar nicht an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen. Als nächsten Schritt forderte Steiner eine weitere digitale Ausbaustufe für Praxen, die dadurch langfristig zum „Nukleus“ einer digital vernetzten Versorgung werden sollen. Gegen Sanktionen im Falle von fehlender IT-Anbindung, wie Kürzungen von Honoraren oder IT-Pauschalen, spricht sich die KBV entschieden aus. Stattdessen sollten für die Digitalisierung der ambulanten Versorgung „gezielte Reize“ geschaffen werden, so Steiner. Sie ging nicht zuletzt auf die ePA (elektronische Patientenakte) ein, deren Einsatz derzeit in Modellregionen getestet wird. Laut Steiner stagniert die ePA in dieser Testphase, denn auch nach mehreren Wochen ließe sich „keine valide Aussage“ darüber treffen, ob und wie gut die ePA im Praxisalltag funktioniert.
Zwangsdigitalisierung aus dem Cannabiskeller?
Immerhin: Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) habe die Bedeutung von Praxisverwaltungssystemen (PVS) für eine erfolgreiche Digitalisierung „endlich verstanden“, so Steiner. Heise online zufolge verwies Dr. Bernhard Rochell, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen, auf die bestehenden KBV-Umfragen zur Güte der PVS und bezeichnete diese als hilfreich. Auch Rochell plädierte für positive Digitalisierungsanreize statt für „Zwangsdigitalisierung aus den abgeschlossenen Cannabiskellern“ des BMG. Während der inhaltliche Bezug von Cannabis zum Thema nebulös bleibt und womöglich als Spitze gegen Gesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach und die Cannabis-Legalisierung zu verstehen ist, drückt das Wort „Zwangsdigitalisierung“ drastisch aus, was sich als Meinung durch die KBV-Vertreterversammlung gezogen zu haben scheint: dass das BMG an der Realität der Arztpraxen teilweise vorbeidigitalisiert. Steiner hofft jedenfalls auf eine Stärkung der Selbstverwaltung der Praxen – egal, „welche Parteifarbe das Bundesgesundheitsministerium (…) trägt“.