Sie arbeiten auf Hochtouren, meistern eine Ausnahmesituation nach der anderen und doch ernten Ausländerbehörden dafür vor allem eines: Kritik. Die größte Einwanderungsbehörde Deutschlands ist das Landesamt für Einwanderung (LEA) in Berlin. Ihr Direktor Engelhard Mazanke spricht im Interview über veraltete Verfahren, Einsparungspotenziale und einen ganzheitlichen Denkansatz im Umgang mit Ausländerangelegenheiten.
Behörden Spiegel: Nach Anschlägen wie in Magdeburg wurde in der Vergangenheit immer wieder der Vorwurf laut, die Ausländerbehörden kämen nicht hinterher. Stimmt das?

Engelhard Mazanke: Die Bundesrepublik Deutschland hat fast 600 Ausländerbehörden mit ganz unterschiedlichen Strukturen und Größen. Seit dem Jahre 2015 sind sie in einer Art Dauerbelastung – manche sagen Krisenmodus. Das führt zu einer hohen Belastung der Mitarbeitenden, aber auch dazu, dass wir unseren eigenen Ansprüchen gegenüber den Kunden und vielleicht auch den vorgesetzten Stellen nicht mehr in der Form gerecht werden, wie wir uns das selbst wünschen. Die Ausländerbehörden sind z. B. durch die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, aber auch durch die alltägliche Erfüllung der anderen gesetzlichen Aufgaben, die sich permanent ändern und komplexer werden, stark gefordert. Wartezeiten sind zu lang. Insofern stimmt das: Wir kommen nicht wirklich hinterher.
Behörden Spiegel: Warum gelingen Integration aber auch Abschiebungen oft nicht?
Mazanke: In unseren gesetzlichen Vorgaben sind zu viele unterschiedliche Zuständigkeiten vorgesehen und es gibt an vielen Stellen Doppelprüfungen. Ein Beispiel ist das Visumsverfahren. Die Auslandsvertretungen und die Inlands-Ausländerbehörde prüfen beim Familiennachzug beide dasselbe, müssen beide zustimmen und zu einem positiven Ergebnis kommen. Tut eine das nicht, gibt es kein Visum. Das können wir uns nicht mehr leisten: eine Doppelprüfung von zwei Sachbearbeitern in zwei Behörden auf der Basis derselben Unterlagen.
Hinzu kommt, dass Menschen, die für mindestens drei Jahre einwandern, weil sie z. B. einen deutschen Ehepartner gefunden haben, häufig nur ein Visum für drei Monate bekommen. Dann geht genau dasselbe Verfahren wieder von vorne los. Viel einfacher wäre es, wie in anderen Ländern, gleich ein Visum für ein Jahr auszustellen.
Ähnlich ist das auch im Rückführungsverfahren. Vom Anstoß des Abschiebeprozesses bis zur Organisation eines Fluges sind an einem Regel-Rückführungsverfahren bis zu sechs oder sieben Stellen – Ausländerbehörden, Polizei und ggf. Justiz und Staatsanwaltschaft – beteiligt. Wenn eines dieser sieben Rädchen nicht richtig in das andere Rädchen greift, weil es z. B. nicht genug Flugbegleiter Luft bei der Bundespolizei gibt, dann funktioniert das ganze Verfahren nicht. Kurzum: Wir haben zu viele Behörden, wir haben Behörden, die Vorgänge doppelt prüfen und dann haben wir im Gesetz viele Vorschriften, die aus meiner Sicht veraltet, zu komplex oder überflüssig sind.
Behörden Spiegel: Wie können veraltete Prozesse effizienter gestaltet werden?
Mazanke: Die Ausländerbehörden haben ganz viele Ideen, um Verfahren zur Fachkräfteeinwanderung zu verschlanken. Auf die Einbindung der Bundesagentur in Entscheidungsprozesse bei Fachkräften kann z. B. in vielen Fällen verzichtet werden, da die Einwanderungsbehörden Überprüfungen, wie sie die Bundesagentur durchführt, häufig selbst schneller und effizienter durchführen könnten. Eine weitere Möglichkeit ist die Anpassung der Geltungsdauer von Aufenthaltstiteln, wenn eine Person sich straffrei verhält und einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat oder eine Ehe mit einem Deutschen lebt.
Wenn es dem Gesetzgeber – der neuen Bundesregierung – gelingt, an dieser Stelle wirklich Effizienzgewinne zu erzielen, könnten die Arbeitsbelastung in den Einwanderungsbehörden um bis zu 20 Prozent gesenkt werden. Mit vollständiger Digitalisierung und echter Entbürokratisierung ließen sich aus unserer Sicht sogar bis zu 50 Prozent der Arbeitsaufwände in Einwanderungsbehörden bei der Fachkräfteeinwanderung einsparen. Dann werden Kapazitäten frei, um sich mit Themen wie Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine oder Syrien und Rückführung von Straftätern auseinanderzusetzen. Das Ersparnis-Potenzial liegt auf der Straße, man muss es nur aufheben.
Behörden Spiegel: Was macht das LEA anders als die Einwanderungsbehörden in anderen Ländern?
Mazanke: Das zeigt sich schon an unserem Namen. Wir sind das Landesamt für Einwanderung – nur Einwanderung, nicht Einwanderung und Ausländerangelegenheiten oder ähnliches. Der Begriff Einwanderung wird bei uns breit gefasst, wir verfolgen hier einen ganzheitlichen Ansatz. Das heißt, bei uns prüfen die Sachbearbeiter aus dem Bereich Einbürgerungen auch das Aufenthaltsrecht und umgekehrt prüfen auch die Sachbearbeiter aus dem Bereich Aufenthaltsrecht zum Teil die Einbürgerung mit. Entsprechend ganzheitlich versuchen wir auch zu beraten. Der Gesetzgeber differenziert in Kästchen: Es gibt das Asylverfahren, es gibt das Fachkräfteverfahren, es gibt das Einbürgerungsverfahren, es gibt das Visaverfahren. Wir unterscheiden nicht mehr so. Für uns ist das ein Einwanderungsprozess mit einem Verfahren in einer ausgesprochen diversen Gesetzgebung.
Aktuell sind wir die einzigen, die so mit diesem ganzheitlichen Ansatz arbeiten. Alle anderen machen ihre Kästchen. Frankfurt, München und andere haben ähnliche Ideen wie wir, aber sie werden immer wieder durch Problematiken wie unterschiedliche IT-Fachverfahren, Personalkürzungen o. Ä. ausgebremst.
Behörden Spiegel: Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem ganzheitlichen Ansatz gemacht?
Mazanke: Stellen wir uns vor, eine Person hat eine Aufenthaltserlaubnis, sie ist Ausländerin und mit einem Deutschen verheiratet. Nach drei Jahren Aufenthalt kann die Person eine Niederlassungserlaubnis bekommen. Sie macht digital den Quick-Check für eine solche Niederlassungserlaubnis und muss angeben, ob sie noch mit ihrem Mann zusammenlebt, wie hoch ihr Einkommen ist, ob sie Deutsch spricht etc. Der Quick-Check ergibt, dass die Voraussetzungen erfüllt sind und eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden könnte.
Hier kommt der ganzheitliche Ansatz ins Spiel: Viel sinnvoller ist es für sie in diesem Fall, einen Einbürgerungsantrag zu stellen. Nach § 9 Staatsangehörigkeitsgesetz kann eine Person, die mit einem Deutschen verheiratet ist, nach drei Jahren den deutschen Pass bekommenund braucht zuvor keine Niederlassungserlaubnis mehr. Die Behörde muss weniger prüfen und die Betroffene zahlt zwar etwa hundert Euro mehr, ist dann aber Deutsche, kann ihren alten Pass behalten und muss nie wieder in eine Ausländerbehörde. Wir bemerken aber immer wieder, dass diese Option den Leuten gar nicht bekannt ist. Hier beraten wir dann in das Einbürgerungsverfahren, obwohl die Kundin diesen Antrag noch gar nicht gestellt hat.
An solchen Stellen zeigen sich Brüche im System und damit das Problem beim Kästchen-Denken. Erst als wir für Einbürgerung zuständig geworden sind, ist uns diese Situation bewusst geworden. Die Möglichkeit hat uns vorher schlicht nicht interessiert, der Vorgang lag nicht in unserem Zuständigkeitsbereich.
Der Kunde sieht den Prozess aber natürlich ganzheitlich. Hochqualifizierte Fachkräfte, die nach Deutschland einwandern möchten, erkundigen sich schon im Visumsverfahren nach Möglichkeiten, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen oder ihre Familien nachzuholen. Visastellen müssen in der Lage sein, darüber informieren zu können. Schließlich entscheiden diese Fachkräfte bewusst, in welches Land sie ziehen möchten. Die Information, dass sie einen deutschen Pass schon nach drei oder vier Jahren bekommen können, die Greencard in den USA aber erst nach fünf Jahren, kann für sie ein Kriterium sein, sich für Deutschland zu entscheiden. Darum ist ganzheitliches Denken der Prozesse wichtig.
Behörden Spiegel: Viele Beschäftigte im LEA haben einen Migrationshintergrund. Ist das ein Vorteil im Arbeitsalltag und im Umgang mit den Kunden?
Mazanke: Diversität ist ein Vorteil – nicht nur in Einwanderungsbehörden, sondern überall dort, wo Teams zusammenarbeiten. Je diverser ein Team bei Alter, Geschlecht, Einstellungen etc. ist, desto resilienter und effizienter ist es. Wir als Einwanderungsbehörde des Landes Berlin bilden auch auf der Beschäftigtenseite die Stadtgesellschaft Berlin ab. Insgesamt liegt der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund bei 34 Prozent. Von den Mitarbeitenden unter 29 Jahren haben 69 Prozent einen Migrationshintergrund, das sind elf Prozent über dem Durchschnitt der Berliner Stadtbevölkerung. Ein junger Sachbearbeiter mit Migrationshintergrund kann sich oft noch gut daran erinnern, wie es sich anfühlt, als dolmetschendes Kind mit den Eltern in einer Behörde zu sein – vor einem angstbehafteten Termin.

Das birgt viele Chancen. Die Beschäftigten bringen häufig interkulturelle Kompetenzen mit in die Behörde, genau wie Sprachkenntnisse, die sonst mit Dolmetscherleistungen teuer eingekauft werden müssen Außerdem verfügen sie über ein hohes Maß an Flexibilität, um sich auch auf neue rechtliche Dinge einzustellen. Wenn man uns also Ausländerbehörde nennen möchte, dann lege ich Wert darauf, zu sagen: Wir sind Ausländerbehörde auf beiden Seiten des Tresens.




