Digitale Identitäten bieten ein Höchstmaß an Sicherheit und Souveränität und werden in Deutschland dennoch kaum genutzt. Wenn sich das ändern soll, müssen mehr Unternehmen Kundenauthentifizierungen per eID anbieten. Das wiederum erfordert mehr Dienstleister, die den Unternehmen einen eID-Service anbieten. Dafür sollte der Staat einen Anreiz setzen und künftig eine Open-Source-Lösung zur Verfügung stellen.
Bis 2030 sollen 80 Prozent der EU-Bürgerinnen und Bürger eine elektronische Identifikationslösung nutzen. Da müssen wir Deutschen noch einen Zahn zulegen, denn laut eGovernment-Monitor 2025 haben erst 25 Prozent unserer Landsleute die eID-Funktion ihres Personalausweises schon einmal verwendet. Gegenüber dem Vorjahr ist dies nur ein Plus von 3 Prozent. Dabei gibt es den Personalausweis mit Online-Ausweisfunktion (eID) bei uns schon seit 2010. Heißt: in 15 Jahren hat sich in Deutschland bei den digitalen Identitäten nicht sehr viel getan.
Dafür gibt es drei Gründe:
- Bei der Einführung des Personalausweises mit eID hat es der Gesetzgeber damals versäumt, Unternehmen wie beispielsweise Banken zu verpflichten, diese hochsichere Identitätslösung auch einzusetzen.
- Das Verfahren war lange kompliziert: Bürgerinnen und Bürger mussten in den ersten Jahren die eID-Funktion erst explizit freischalten lassen, ehe sie die Online-Ausweisfunktion nutzen konnten.
- Es gibt fast keinen Wettbewerb für eID-Services. Unternehmen, die ihren Kunden Authentifizierung über die eID anbieten wollen, sind auf zu wenige Dienstleister angewiesen.
Souveräner Technologie-Stack aus dem Ministerium
An den ersten beiden Ursachen lässt sich nichts mehr ändern. Anders sieht es beim dritten Grund aus – und hier sollte sich das neue Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung jetzt in der Pflicht sehen: Das Ministerium sollte es als seine hoheitliche Aufgabe verstehen, der deutschen Wirtschaft eine Open-Source-Lösung zur Verfügung zu stellen. Damit kann sie eID-Dienstleistern und Unternehmen eine Infrastruktur bieten, auf deren Grundlage diese einen elektronischen Personalausweis auslesen und eigene eID-Services anbieten können. Denn bei den elektronischen Identitäten handelt es sich keineswegs um ein digitalpolitisches Nischenthema. Sie sind der Schlüssel zu digitalen Services von Behörden und Wirtschaft. Der Weg zum modernen und digitalen Staat verzögert sich auch deshalb, weil die Deutschen kaum Einsatzfelder für die eID finden. Dies liegt wiederum daran, dass Unternehmen aufgrund der Komplexität, die mit der eID-Anbindung verbunden ist, auf deren Integration verzichten.
Dabei ist eine eindeutige elektronische Identifizierung für die öffentliche Verwaltung genauso wichtig wie für die Wirtschaft. Man denke nur an den Bankensektor, der seine Kunden selbstverständlich kennen muss, um Geldwäsche effektiv einzudämmen. Auch die europäische Vorgabe, in den EU-Mitgliedsstaaten bis Ende 2026 eine elektronische Brieftasche (EUDI-Wallet) zur Verfügung zu stellen, in der die Bevölkerung wichtige Dokumente wie Fahrzeug- und Führerschein oder Zeugnisse hinterlegen kann, erhöht die Notwendigkeit, beim Thema eID voranzukommen. Denn die Online-Ausweisfunktion ist die Basis der EUDI-Wallet.
Hohe Hürden für eigene eID-Services
Man muss sich das einmal vergegenwärtigen: Wir besitzen mit der eID ein hochsicheres Identitätsmerkmal, das jedem Bürger, jeder Kundin, jedem Mitarbeiter, jeder natürlichen Person im digitalen Raum ein sehr hohes Maß an Souveränität und Schutz gewährleistet – und nutzen es in der Privatwirtschaft kaum. Der Bau eines eID-Services erfordert heute tiefe technische Expertise, sodass es derzeit nur drei unabhängige eID-Server-Technologieanbieter gibt. Es fehlt an Wettbewerb.
Anders als in der analogen Welt verursacht es für Unternehmen heute Aufwand und Kosten, wenn sie überprüfen möchten, ob ihre Geschäftspartner oder Kunden auch in der digitalen Welt die sind, die sie vorgeben zu sein. Das ist einer der Gründe, warum zum Beispiel kleinere Unternehmen darauf verzichten, das eID-Verfahren einzusetzen. Die Folge: Es gibt in Deutschland keine Anreize, innovative eID-Lösungen zu schaffen – und deshalb auch zu wenige attraktive Anwendungsfälle. Das hemmt die Entwicklung vielfältiger und nutzerfreundlicher eID-Services.
Open Source beflügelt Innovationsgeist
Unzweifelhaft gäbe es weit mehr Wettbewerb unter den Unternehmen und damit eine Vielzahl niedrigschwelliger eID-Services, wenn alle Marktteilnehmer auf eine Open-Source-Lösung zugreifen könnten, die vom Staat – genauer gesagt vom Digitalministerium – zur Verfügung gestellt würde. Dieser Wettbewerb ist notwendig, damit sich das eID-Verfahren hierzulande mit mehr Tempo etabliert. Anwendungsfälle sind in allen Branchen denkbar – damit die eID wirklich ein Erfolg wird, muss sie im digitalen Alltag so häufig genutzt werden wie die EC-Karte in der realen Welt. Ein Blick nach Österreich zeigt, wie es gehen kann: Hier verwenden junge Menschen ihre eID regelmäßig als digitalen Altersnachweis, wenn sie sich Tickets für einen Club besorgen. Die Online-Ausweisfunktion wird so ganz selbstverständlich in den Alltag integriert – und kommt dann natürlich auch zum Einsatz, wenn es darum geht, ein neues Bankkonto zu eröffnen, einen Kredit zu beantragen, eine Prepaid-SIM-Karte freizuschalten oder einen Anwohnerparkausweis zu beantragen.
eID lichtet den Passwortdschungel
Die Zeit drängt. Dass wir in der digitalen Welt hochsichere und souveräne Identitäten brauchen, steht außer Frage. Die eID schafft Vertrauen, weil sich dank ihr Menschen eindeutig identifizieren lassen – und das ganz ohne Passwörter. Sie wird damit zum zentralen Vertrauensanker – im Gegensatz zu gängigen Social-Login-Verfahren, bei denen sich Nutzerinnen und Nutzer über Drittanbieter anmelden und dabei persönliche Daten preisgeben. Denn bei der eID wird unsere persönliche Identität keineswegs zu einem kommerziellen Gut, wie es bei den Lösungen sozialer Netzwerke oder großer Plattformen der Fall ist. Deren Geschäftsmodell beruht nämlich darauf, dass sie die Daten der Nutzer und Nutzerinnen geschäftlich verwerten dürfen.
Elektronische Identitäten stärken unsere Souveränität
Die eID bietet uns die Möglichkeit, unsere Identität im digitalen Raum sicher und souverän nachzuweisen sowie die Hoheit über unsere Daten zu behalten. Diese Selbstbestimmung ist nicht nur für viele Menschen persönlich ein zentraler Wert, sondern spielt auch in Wirtschaft und Behörden eine große Rolle. Der neue Index Digitale Souveränität von adesso zeigt, dass 92 Prozent der kürzlich befragten Führungskräfte aus Unternehmen und Verwaltungen die digitale Unabhängigkeit ihrer Organisation als sehr wichtig einstufen. Wer es mit der digitalen Souveränität ernst meint, sollte sich nicht auf die Identitätslösungen aus Übersee verlassen – sondern der eID die Chance geben, unseren digitalen Alltag zu prägen.

Der Autor des Gastbeitrags ist Jens Spitczok von Brisinski, Leiter Business Area Public Services bei adesso SE.