Immer wieder hört man von Berichten über die sich ausbreitende Vogelgrippe in Amerika – zunächst bei Kühen, inzwischen auch bei ein paar wenigen Menschen. Durch unsere globalisierte Welt haben auch Krankheitserreger eine gute Chance, sich weithin zu verbreiten, was man nicht zuletzt an der Corona-Pandemie gesehen hat. Ca. ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Pandemielage erklärt Prof. Dr. Dagmar Starke, fachliche Koordination und Leiterin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen (AÖGW), was Deutschland aus der Pandemie gelernt hat und wie das Öffentliche Gesundheitswesen für künftige Lagen aufgestellt ist. Die Fragen stellte Scarlett Lüsser.
Behörden Spiegel: Die Pandemie ist nun seit etwas über einem Jahr für beendet erklärt worden. Ist Corona noch ein Thema im Öffentlichen Gesundheitswesen?
Prof. Dr. Dagmar Starke: Das Thema ist nicht so dominant wie zu Zeiten der Pandemie, gleichwohl erfolgt ein Monitoring der Fallzahlen durch das Robert Koch-Institut (RKI), basierend auf einer genomischen Surveil-
lance und dem Abwassermonitoring. Derzeit bewegen sich die Fallzahlen insgesamt auf niedrigem Niveau, es ist jedoch von einer Dunkelziffer auszugehen, da weniger Menschen sich bei einer Atemwegserkrankung selbst testen.
Abgesehen vom Infektionsgeschehen selbst spielen andere Aspekte der Pandemie in den Institutionen des Öffentlichen Gesundheitswesens eine Rolle, etwa die hohe Arbeitslast während der Pandemie und damit einhergehend Mehrarbeitsstunden, aber auch die psychosoziale Belastung der Kolleginnen und Kollegen und Effekte, die wir als Syndemie bezeichnen. Dieser Begriff meint, dass insbesondere strukturell und sozioökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen neben einer höheren COVID-19-Morbidität und Mortalität auch in anderen gesundheitlichen Bereichen stärker belastet waren und sind.
Behörden Spiegel: Aus dieser damals neuen Situation sind viele Maßnahmen entstanden. Wie bewerten Sie diese rückblickend? Welche würden Sie erneut zum Einsatz bringen? Was ist aus der Pandemie übrig geblieben?
Prof. Starke: Wir müssen die unterschiedlichen Wellen und Virusvarianten bei einer Bewertung in den Blick nehmen. Zu Beginn der Pandemie war wenig über SARS-CoV-2 bekannt und dementsprechend hat die Politik das Ziel verfolgt, die Pandemie einzudämmen. In der Folge sind eine Reihe von Kontaktbeschränkungen beschlossen worden. Während der ersten Welle und dem relativ niedrigen Erkenntnisstand sind diese Entscheidungen nachvollziehbar gewesen. Anders verhält es sich im weiteren Verlauf der Pandemie. Hier müssen rückblickend sicher die Schulschließungen infrage gestellt werden, weil es zu diesem Zeitpunkt durchaus erste Einschätzungen gab, dass Kinder eher seltener sogenannte Pandemietreiber waren. Auch die Schließung von Sportplätzen oder die Einschränkungen, sich im Freien aufzuhalten müssen vor dem Hintergrund, dass das Infektionsrisiko in engen Räumen bei schlechter Luftqualität erhöht war, kritisch betrachtet werden. Erneut waren strukturell und sozioökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen stärker betroffen, alleine schon aufgrund ihrer Wohnsituation.
Kritisch zu hinterfragen waren auch die Entscheidungen, in Alten- und Pflegeheimen Besuchsverbote auszusprechen. Hier sind kritische Abwägungsprozesse vor solchen Entscheidungen notwendig. Das bedeutet auch abzuwägen, ob der Schutz von Hochrisikogruppen absolut über deren Lebensqualität zu stellen ist oder ob hier nicht in höherem Maße eine partizipative Entscheidungsfindung erfolgen kann.
Welche Maßnahmen im Falle einer erneuten Pandemie zum Einsatz kommen könnten, hängt von der Virusart ab. Entscheidend ist, dass Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger von einem multidisziplinären Fachgremium beraten werden, dem auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Public Health, Medizinsoziologie, Sozial- und Gesundheitswissenschaften etc. angehören. Es ist notwendig, dass deliberative Entscheidungsprozesse evidenzinformiert erfolgen, unter Abwägung unterschiedlicher Interessen. Im Sinne der gesundheitlichen Chancengleichheit und -gerechtigkeit sind strukturell und sozioökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen unbedingt in den Blick zu nehmen – und das geht über die unter medizinischen Gesichtspunkten verletzlichen Menschen hinaus. Arbeits- und Wohnverhältnisse haben sich als bedeutsame Faktoren herausgestellt.
Behörden Spiegel: Bei der Pandemie handelte es sich um eine globale Katastrophe. Ist es sinnvoll, den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärker in das Katastrophenmanagement einzubeziehen, um solchen Pandemiesituationen schneller Herr zu werden?
Prof. Starke: Unbedingt, sofern die Kollegen im ÖGD entsprechend qualifiziert sind und vor allen Dingen über genügend personelle Ressourcen verfügen. Zu Beginn der Pandemie ist deutlich geworden, dass durch den über Jahrzehnte erfolgten Personalabbau im ÖGD im Falle einer Pandemie des erlebten Ausmaßes dessen Personal nicht in der Lage war, ohne Unterstützung aus anderen Verwaltungsbereichen die Situation zu bewältigen. Der Pakt für den ÖGD, bei dem der Bund erstmalig Mittel in Höhe von vier Mrd. Euro bereitgestellt hat, war ein wichtiger Beitrag dazu, dass der ÖGD insgesamt – unter Inkaufnahme hoher Belastungen – die Pandemie relativ gut hat bewältigen können. Der erfolgte Personalaufwuchs von 5.000 Stellen bundesweit im ÖGD muss mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen, z. B. Klimawandel-assoziierte Gesundheitsgefahren, aufrechterhalten werden. Wenn das nicht klappt, wird der ÖGD in einer erneuten pandemischen Lage wieder auf Unterstützung angewiesen sein.
Behörden Spiegel: Hat Deutschland seine Lektion gelernt und ist der Öffentliche Gesundheitsdienst für eine erneute Pandemie besser aufgestellt und vorbereitet?
Prof. Starke: Temporär ja, siehe die Ausführungen zum Pakt für den ÖGD oben. Aber der Personalaufwuchs muss nachhaltig gestaltet werden. Was die Vorbereitung angeht, so sind unterschiedliche Punkte auch Gegenstand verschiedener Forschungsprojekte. Ein Aspekt ist die Berücksichtigung strukturell und sozioökonomisch benachteiligter Bevölkerungsgruppen bei der Pandemieplanung. Es ist sinnvoll, jetzt aktuelle Pandemiepläne zu erarbeiten und die Learnings aus der Pandemie dabei zu berücksichtigen. Es gab Kommunen, die hier als Good Practice-Beispiele genannt werden können, z. B. Köln und Bremen. Die dort realisierten Maßnahmen sollten als Beispiel herangezogen werden, wenn Kommunen jetzt ihre Pandemiepläne aktualisieren.
Behörden Spiegel: Als konkretes Beispiel: In den USA gibt es vermehrt auftretende Fälle der Vogelgrippe. Wie gut wäre Deutschland gewappnet, sollte dies größere Ausmaße annehmen?
Prof. Starke: Wichtig sind einerseits die Surveillance und andererseits die Entwicklung von Impfstoffen. Es gibt Impfstoffe; inwieweit sie bei Mutationen wirken, ist unklar. Zudem forschen verschiedene Unternehmen an neuen Impfstoffen. Bis diese verfügbar sind, muss eine medikamentöse Versorgung sichergestellt sein. Was die Surveillance angeht, so wäre es sinnvoll, auch in Deutschland zu prüfen, ob Kühe beispielweise bereits betroffen sind. Gleichzeitig ist eine entsprechende Sensibilisierung notwendig, wenn bei respiratorischen Erkrankungen die Tests auf die „üblichen Verdächtigen“ negativ ausfallen.
Für den ÖGD gilt das bereits Gesagte: Stand heute wäre die personelle Lage etwas entspannter als zu Beginn der Pandemie, aber nach Auslaufen des Paktes und ohne eine nachhaltige Sicherung der Stellen könnte eine neue pandemische Situation den ÖGD nicht unvorbereitet, aber eventuell in einer personell schwierigen Lage treffen.