Der steuerliche Wettbewerb zwischen Gemeinden steht mit den Plänen des Koalitionsvertrags
2025 erneut im Fokus. Geplante Hebesatzgrenzen und strengere Regeln bei Unternehmenssitzverlagerungen sollen missbräuchliche Gestaltungen eindämmen, treffen aber auch Kommunen, die legal um Ansiedlungen werben.
Der steuerliche Wettbewerb zwischen Kommunen ist seit jeher ein sensibles Thema – nicht nur aus fiskalischer Sicht, sondern auch mit Blick auf Fairness und Gestaltungsgrenzen. Mit den aktuellen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag 2025 steht erneut die Frage im Raum, wie weit Gemeinden in ihrer Steuerpolitik gehen dürfen, ohne die Systematik des kommunalen Finanzwesens zu unterlaufen. Vorgesehen sind unter anderem eine Anhebung des Mindesthebesatzes auf 280 Prozent sowie verschärfte Anforderungen bei Unternehmenssitzverlagerungen. Diese Pläne zielen auf einen steuerlichen Bereich ab, der in der Praxis durchaus differenziert zu betrachten ist: Während einzelne Fälle mutmaßlich missbräuchlicher Gestaltung große mediale Aufmerksamkeit erhalten, operiert die überwiegende Zahl der Kommunen und Unternehmen im rechtlichen Rahmen – aber unter zunehmend unsicheren politischen Vorzeichen.
Steuerpolitik zwischen Legitimation und Regulierung
Die Gewerbesteuer ist eine der wenigen originären Einnahmequellen der Kommunen. Über die Festlegung des Hebesatzes steuern Städte und Gemeinden ihre finanz- und wirtschaftspolitische Ausrichtung –verfassungsrechtlich gedeckt und vielerorts existenziell notwendig. Besonders strukturschwache Regionen nutzen niedrige Hebesätze, um Arbeitsplätze zu schaffen oder der Abwanderung entgegenzuwirken. Unternehmen wiederum verlegen ihre Standorte dorthin – teils dauerhaft, teils temporär. Diese Praxis ist rechtlich zulässig, birgt aber komplexe Risiken.
Insbesondere bei Dienstleistungsund Holdinggesellschaften ist der tatsächliche Ort der Geschäftsleitung nicht immer eindeutig zu bestimmen. Formale Sitzverlagerungen ohne inhaltliche Substanz können zu Konflikten führen, etwa wenn der wirtschaftliche Schwerpunkt der Tätigkeit nicht mitverlagert wurde. Das Spannungsfeld zwischen rechtlich zulässiger Standortpolitik und steuerlicher Gestaltung ist daher komplex – eine differenzierte Betrachtung ist erforderlich.
Zunehmende Konflikte zwischen Kommunen
Hochhebesatzgemeinden, meist Großstädte mit hoher Infrastrukturbelastung, verlieren teils erhebliche Steuern, wenn Betriebe ihren Sitz in eine Niedrighebesatzgemeinde verlegen. Besonders problematisch dabei: Die betroffenen Kommunen erfahren häufig zu spät oder gar nicht von solchen Verlagerungen. Ohne rechtzeitige
Information können sie ihre Ansprüche im Zerlegungsverfahren nicht geltend machen.
Hier spielt die Jahresfrist nach Paragraf 189 AO eine zentrale Rolle: Ist sie verstrichen, kann ein Zerlegungsbescheid nicht mehr korrigiert werden – selbst dann nicht, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Sitz des Unternehmens fehlerhaft beurteilt wurde oder eine Scheinbetriebsstätte vorlag. Das kann zu empfindlichen Einnahmeverlusten führen. Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind zwar grundsätzlich möglich, aber mit hohen formalen Hürden, erheblichem Verwaltungsaufwand und Rechtsunsicherheit verbunden. Für Kämmerer bedeutet das: ein umfassender Überblick und eine notfalls schnelle rechtliche Reaktion sind entscheidend.
Haushaltskriterien für Niedrighebesatzkommunen
Auch für Kommunen mit niedrigen Hebesätzen entstehen Risiken. Wird ein Betrieb nachträglich einer anderen Gemeinde zugeordnet, müssen Gewerbesteuereinnahmen möglicherweise zurückgezahlt werden. Diese Mittel sind oft schon verplant oder sogar ausgegeben – strukturelle Haushaltsprobleme sind die Folge. Hinzu kommen mögliche Rechtsstreitigkeiten mit konkurrierenden Gemeinden oder dem Finanzamt, deren Ausgang ungewiss ist.
Die Praxis zeigt zudem, dass auch die Gemeinden selbst verstärkt in den Fokus von Steuerfahndung und Strafsachenstellen rücken. Dabei geht es nicht nur um unternehmensbezogene Vorgänge, sondern auch um die Rolle der Kommune selbst: Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um Scheinverlagerungen zu erkennen? Gab es interne Prüfungen zur tatsächlichen Geschäftsleitung vor Ort? Wurde auf Auffälligkeiten – etwa eine Häufung von Firmensitzanmeldungen an derselben Adresse – seitens der Verwaltung angemessen reagiert?
Diese Anforderungen bringen insbesondere kleinere Kommunen an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Erwartung, aktiv an der Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen mitzuwirken, markiert einen Paradigmenwechsel in der Verwaltungspraxis.
Einordnung statt Pauschalkritik
Die politische Diskussion um Gewerbesteueroasen ist legitim, darf aber nicht in eine undifferenzierte Kritik an Gemeinden münden, die im Rahmen des geltenden Rechts ihren Standort fördern wollen. Der Einsatz niedriger Hebesätze ist legal – und für viele Kommunen ein notwendiges Mittel, um ihre wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. Gleichzeitig zeigt sich, dass eine reine Anhebung des Mindesthebesatzes kaum ausreicht, um die komplexen Zielkonflikte zwischen Steuerautonomie, Gestaltungsspielräumen und Steuergerechtigkeit aufzulösen. Vielmehr braucht es verlässliche rechtliche Klarstellungen, transparente Verwaltungsabläufe und eine verbesserte interkommunale Zusammenarbeit.
Zwischen Steuerautonomie und Regulierungsdruck
Der Koalitionsvertrag greift ein Thema auf, das viele Kommunen seit Jahren beschäftigt. Die Balance zwischen fairer Besteuerung und legitimer Standortpolitik ist dabei schwierig und lässt sich kaum allein durch Hebesatzgrenzen herstellen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die angekündigten Maßnahmen der Politik geeignet sind, den steuerlichen Wettbewerb und die verschiedenen Interessen der Beteiligten in Ausgleich zu bringen, ohne dabei das verfassungsmäßig geschützte Gut der kommunalen Selbstverwaltung zu untergraben.
Autor dieses Beitrages ist Dr. Franz Bielefeld. Er ist Rechtsanwalt für Steuer- und Wirtschaftsrecht, Partner bei Baker Tilly sowie Lehrbeauftragter für Steuerstrafrecht und Steuerfahndungsrecht an der Universität Münster.