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StartStaat & RathausGefangen zwischen Zufriedenheit und Überforderung

Gefangen zwischen Zufriedenheit und Überforderung

Die Motivation von Schulleiterinnen und Schulleitern ist wieder auf Vor-Corona-Niveau angestiegen, weiterempfehlen würde die Hälfte von ihnen ihren Beruf trotzdem nicht. Der Verband für Bildung und Erziehung (VBE) sieht die Politik in der Pflicht, die Situation an deutschen Schulen zu verbessern und den Lehr- bzw. Schulleitungsberuf attraktiver zu machen. Der geplante Digitalpakt 2.0 könnte dazu beitragen – wenn er denn in Kraft tritt.

39 Prozent der Schulleiter gehen laut einer forsa-Umfrage „sehr gerne“ zur Arbeit, weitere 45 Prozent „eher gerne“. Das entspricht etwa dem Vor-Corona-Niveau. Die Gründe dafür, dass viele von ihnen trotzdem niemandem raten würden, diesen Beruf zu ergreifen, liegen insbesondere an der steigenden Arbeitsbelastung, Bürokratie und Verwaltungsaufwand.

„Wir sehen keinen Fortschritt bei den Zukunftsthemen“, bemängelt Tomi Neckov, Stellvertretender Vorsitzender des VBE. Die von der Politik provozierte Stagnation sei in Wahrheit ein Rückschritt. Zehn Prozent der Befragten haben in der Schulleitungsumfrage angegeben, nicht einen einzigen Klassensatz an digitalen Endgeräten zur Verfügung zu haben. Zudem fehlten Fachpersonal bzw. allgemein Lehrkräfte sowie Räumlichkeiten. Die Hälfte der Befragten beklagt fehlende finanzielle Mittel und hohe Bürokratie mit unklaren Regelungen. Dieser Zustand ist umso besorgniserregender, wenn man bedenkt, dass schon 2026 alle Kinder, die eingeschult werden, Anspruch auf einen Ganzbetreuung haben. Auch über einheitliche Standards dazu herrscht vielerorts an den Schulen noch Unklarheit. „Am Ende verwundert es nicht, wenn ein Drittel der Schulleitungen angibt, nicht bereit zu sein für die Einführung des Rechtsanspruchs“, folgert Neckov.

Ein Lichtblick: „Wir sehen erste Tendenzen einer Entspannung beim Lehrkräftemangel.“ Behoben sei dieser zwar noch längst nicht, aber die Schulleitungen könnten mehr Stellen besetzen. Während 2022 36 Prozent der Schulleitungen angaben, keine offenen Stellen zu haben, sind es mittlerweile 47 Prozent. Wirklich zufrieden ist der VBE-Vize mit dieser Entwicklung nicht. Er warnt eindringlich vor Scheinlösungen, deren langfristige Auswirkungen auf die pädagogische Qualität des Unterrichts unklar sind.

Mehr Schein als Sein

Dass so viele Stellen besetzt werden konnten, lässt sich darauf zurückführen, dass immer mehr Quereinsteiger beschäftigt werden. Die Hälfte der Schulleitungen gab zudem an, Studierende im Lehramtsstudium als Lehrkräfte zu beschäftigen. Diese reproduzierten jedoch nur, was sie in ihrer Schulzeit erlebt hätten, erläutert Neckov. Es fehle ihnen an genügend theoretischem Unterbau und ausreichend pädagogischem Gespür. Der Stellvertretende VBE-Bundesvorsitzende fordert daher, mehr Menschen für ein Lehramtsstudium zu gewinnen und so langfristig hohe pädagogische Qualität sicherzustellen – und Entlastung für Schulleitungen, um Leitungspositionen wieder attraktiver zu gestalten.

Mehr Anrechnungsstunden für die Erfüllung besonderer Aufgaben, die Erhöhung der Leitungszeit, bessere personelle Ausstattung mit pädagogischen Fachkräften im Rahmen multiprofessioneller Teams – das sind Maßnahmen, die sich die Schulleitungen selbst zu ihrer Entlastung wünschen. Auch Budgeterhöhungen könnten helfen, genauso wie die Einrichtung einer erweiterten Schulleitung, eine gesicherte Stellvertreter-Regelung sowie eine Schulassistenz.

Neckov ruft die Politik dazu auf, endlich die Expertise der Schulleitungen und Lehrkräfte in Entscheidungen einzubeziehen. Es sei das eine, grundlegende Standards zu erfüllen und zum Beispiel den Personalrat in rechtliche Entscheidungsprozesse einzubeziehen, etwas ganz anderes sei es jedoch, Lehrkräfteverbände und damit die pädagogische Expertise aus der Praxis von Anfang an in Prozesse einzubeziehen. „Wir wollen keine fertigen, wenngleich halbgaren Konzepte abnicken. Wir wollen Partizipation: unsere Ideen einbringen, gemeinsam in eine Vision einbinden und dabei stets die Realität an den Schulen im Blick behalten.“

Der Weg ins Morgen

Einen großen Erfolg im Bildungssektor sieht Neckov im Digitalpakt Schule. 4,9 der fünf Milliarden Euro des Basisdigitalpakts seien abgerufen worden. Die Pandemie habe den entscheidenden Ausstattungsschub mit digitalen Endgeräten gebracht. Doch auch nach dem Auslaufen des Digitalpakts und dem Ausbleiben einer Anschlussfinanzierung sieht der Stellvertretende Bundesvorsitzende des VBE weiterhin großen Handlungsbedarf.

„Wer die Schülerinnen und Schüler fit machen möchte für die Welt von morgen, muss ihnen heute ein modernes Lernen ermöglichen.“ Dazu brauche es die entsprechende digitale Ausstattung, qualitativ hochwertige Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Beschäftigten und die Möglichkeit, etwas auszuprobieren. „Wir haben so viel Angst davor, dass etwas nicht funktioniert, wenn wir es anders machen, dass wir in den alten Bahnen bleiben. Diese führen aber ins Gestern, nicht ins Morgen!“

Der Digitalpakt 2.0 kann für Abhilfe sorgen. Bund und Länder haben sich nach langen Diskussionen auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, mit der sie die Weichen für eine weitgehende, umfassende Digitalisierung der Schulen stellen wollen. Die Vereinbarung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Bildungsministerkonferenz sieht eine Gesamtlaufzeit des Digitalpakts 2.0 von sechs Jahren vor. In dieser Zeit ist eine Investition von insgesamt fünf Milliarden Euro geplant, die gleichmäßig zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wird. Ziel des neuen Digitalpakts ist es, die digitale Infrastruktur an Schulen zu verbessern, die Lehrkräfte fortzubilden und die Entwicklung innovativer Lehr- und Lernmethoden zu fördern.

Digitale Zitterpartie

„Schule muss unsere Kinder auf eine Welt vorbereiten, die digital geprägt ist. Sie müssen lernen, die digitalen Technologien souverän nutzen zu können“, betont Cem Özdemir, Bundesminister für Bildung und Forschung. „Die gemeinsame Erklärung von Bund und Ländern zeigt, dass wir zum Wohle des Landes viel erreichen können, wenn die Sache im Vordergrund steht – und nicht das parteipolitische Interesse.“ Das Problem: Rechtlich verpflichtend ist die Vereinbarung zum neuen Digitalpakt nicht. Eine neue Bundesregierung wäre nicht daran gebunden. Im Zweifelsfall kann das bedeuten, dass die Verhandlungen nach der Wahl im Februar von Neuem begonnen werden müssen. So oder so, Neckov fordert: „Der Digitalpakt 2.0 muss kommen. Und zwar nicht als Absichtserklärung und nicht nur in der Hälfte des ursprünglich angedachten Volumens, sondern langfristig, nachhaltig und bestens ausgestattet.“

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