Nachdem ein 17-jähriger Geflüchteter aus Syrien in der Stuttgarter Innenstadt eine fünfköpfige Familie angegriffen und dabei mehrere Menschen verletzt hat, rückt das Thema Messergewalt wieder ins Zentrum der Debatte. In etwas mehr als zweieinhalb Jahren hatte Kali H. bereits 33 Straftaten angesammelt – ohne dass die Justiz einschritt und die kriminelle Karriere des jungen Mannes stoppte. Seine Aufenthaltsgenehmigung war derweil bereits seit neun Monaten abgelaufen. Nach Syrien schiebt Deutschland jedoch nicht ab.
Eine auffällige Parallele zu dem Afghanen, der nach seiner Attacke auf den Anti-Islam-Aktivisten Michael Stürzenberger Ende Mai in Mannheim den Polizisten Rouven Laur tötete: Erneut ein Täter ohne Aufenthaltsgenehmigung, der dennoch in Deutschland geduldet wurde. In diesem Fall sogar ein zuvor polizeibekannter mehrfacher Straftäter.
Kommt endlich die Waffenrechtsnovelle?
Der Bundesrat hatte Mitte Juni in einer Entschließung bedauert, dass sich die vom BMI angekündigte Novelle des Waffenrechts nach über einem Jahr noch immer bei der Bundesregierung zur Abstimmung befindet. Kritisiert wird, dass das 2002 neu gestaltete Waffenrecht durch zahlreiche Ergänzungen und Modifikationen nicht mehr dem ursprünglich verständlichen und übersichtlichen Charakter entspräche. Vielmehr habe man es mit einer „komplexen Rechtsmaterie“ zu tun, die selbst von Fachleuten nur schwer zu überblicken sei. Die Länderkammer bittet um eine zeitnahe Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens, um die Anfang 2023 von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) angekündigte Verschärfung des Waffenrechts und „durch eine Neufassung der waffenrechtlichen Vorschriften eine Vereinfachung und Harmonisierung“ zu realisieren.
Mit dem neuen Gesetz soll die persönliche Eignung und Zuverlässigkeit von Waffenbesitzern besser überprüft werden können. Aufgrund der immer weiter steigenden Kriminalität mit Messern und anderen Waffen solle der Umgang mit diesen in der Öffentlichkeit weiter beschränkt werden. Explizit führen die Verfasser ein generelles Umgangsverbot für Springmesser, die Ausweitung des Führungsverbots auf Messer mit feststehender Klinge schon ab sechs Zentimeter Klingenlänge sowie ein allgemeines Führungsverbot von Waffen im ÖPNV und im Bereich von Bahnhöfen und Haltepunkten. Zudem wird in dem Beschluss ein generelles Umgangsverbot für Kampfmesser und Dolche gefordert. Am Wochenende reagierte die Innenministerin nun auf den gestiegenen öffentlichen Druck und kündigte entsprechende Verschärfungen an.
Änderung des StGB ratsam?
Diese Regelungen müssten nun in den bereits seit Anfang des Jahres in der Ressortabstimmung befindlichen neuen Entwurf des Waffenrechts, der aber bisher an der FDP scheitert, aufgenommen werden. Neben Kritik von Jägern und Sportschützen weist die FDP auch darauf hin, dass diese Regelungen sich in der Praxis durch die Polizei gar nicht kontrollieren ließen. Dem stimmen auch viele polizeiliche Experten zu. Statt genereller Verbote wird in manchen Ländern ein temporäres Mitführverbot für einzelne Personen, definierte Orte und Zeiträume durchgesetzt. Dies ließe sich dann auch realistisch kontrollieren.
Unberücksichtigt bleibt bei der Messerdiskussion allerdings, dass es notwendig erscheint, qualifizierte Delikte der Körperverletzung durch eine Erhöhung der Strafandrohung zu Verbrechensstraftaten zu deklarieren. Derzeit stellt das Strafgesetzbuch (StGB) Sachwertdelikte immer noch über die körperliche Unversehrtheit – ein guter Zeitpunkt diese alte Diskussion neu zu beleben. Auch muss darüber nachgedacht werden, ob eine „das Leben gefährdende Handlung“ nur deshalb als „Gefährliche Körperverletzung“ und nicht als Tötungsdelikt beziehungsweise -versuch bewertet wird, weil die Verletzung mit einem Messer herbeigeführt wurde.
Weiteren Anstieg verhindern
Fest steht: Die Angriffe mit Messern nehmen stetig zu. Wurden 2022 noch 8.160 Fälle gezählt, waren es im Jahr 2023 bereits 8.951. Dies entspricht einem ein Anstieg um 5,6 Prozent. Im laufenden Jahr deutet sich eine weitere Steigerung an: Im Bereich von Bahnhöfen verzeichnete die Bundespolizei 430 solcher Fälle. Im gesamten vergangenen Jahr waren es 777. In der Hauptstadt kam es am Wochenende zu drei Messerattacken in nur 24 Stunden. Die Innenministerin setzt darauf, dass mit der Einrichtung von mehr Waffen- und Messerverbotszonen durch die Kommunen der Trend gestoppt werden kann. Zudem solle auch der Transport von Haushaltsmessern nur in geschlossenen Behältnissen erlaubt sein.
Ob das reicht, ist fraglich. Hinter vorgehaltener Hand klagen viele Experten über eine Kultur des Waffentragens besonders unter jungen migrantischen Männern („das Messer als verlängerter Arm“). Was auf den ersten Blick nach einem klassischen konservativen Sündenbock klingt, birgt aber auch eine statistische Wahrheit: Mit 51,6 Prozent stellen „Nichtdeutsche“ das Gros der ermittelten Täter bei Messerattacken. Dabei machen sie nur 15,2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Wie viele der 48,4 Prozent der Täter, die einen deutschen Pass besitzen, einen Migrationshintergrund haben, ist nicht bekannt. Dies wird nämlich nicht in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst. Die nichtdeutschen Täter kommen vornehmlich aus Afghanistan, Algerien, Marokko, Polen, Syrien und der Türkei.
Kritik von Opposition und FDP
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CDU) spricht bei den geplanten Waffen- und Messerverbotszonen von „Symbolpolitik“. Da es bereits jetzt an bestimmten Orten – wie Schulen, bei Versammlungen oder in Zügen der Deutschen Bahn – solche Verbote gebe, sei zu bezweifeln, dass weitere Messerverbote das Problem der Messerkriminalität lösen könnten.
Dies sieht auch der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle, der die Vorschläge der Innenministerin für wenig überzeugend hält. Er fordert stattdessen mehr Kontrollen und eine konsequente Sanktionierung von Verstößen gegen das geltende Waffenrecht. Der Entwurf zur Verschärfung des Waffenrechts liegt bereits seit Anfang 2023 vor, wird aber von der FDP blockiert. Im März dieses Jahres zeigte sich Faeser zu Kompromissen bereit, um die Umsetzung der Novelle voranzubringen. Der Entwurf enthielt jedoch keine Neuregelungen zu Messern. Am Rande ihres Besuchs des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln am Montag rief Faeser die Kommunen dazu auf, mehr Waffen- und Messerverbotszonen einzurichten.
Gewerkschaften alarmiert
Derweil fordert die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Berlin angesichts der erschütternden Zahlen in der Hauptstadt eine Bundesratsinitiative Berlins zur Novellierung der Straftatbestände der Körperverletzungsdelikte. Diese sollten, wenn sie mit einem Messer oder Ähnlichem begangen werden und zu lebensgefährlichen Verletzungen führen, mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren sanktioniert werden. Die DPolG Berlin befürchtet „ein Kollabieren der Kritischen Infrastruktur“ und einen „Kontrollverlust bei der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“. Nach einem weiteren signifikanten Anstieg entfiele ein Drittel aller in Deutschland registrierten Messerangriffe in Berlin. Die Charité Berlin bestätige, dass nicht nur die Zahl, sondern auch die Schwere der Verletzungen, ansteige. Die Hemmschwelle auf einen Menschen einzustechen sinke.
Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), forderte schnelles Handeln. Um gefährliche und verbotene Messer so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen, forderte er eine Waffenamnestie für Messer: „Damit diese Maßnahme effektiv ist, muss die Bundesregierung für Abgebende ernsthafte Anreize schaffen. Konkret könnte das bedeuten: ein Jahr Netflix für die Abgabe eines verbotenen Butterfly-Messers.“ Es bedürfe langfristiger struktureller Anpassungen zur verbindlichen Regulierung von Messern in der Öffentlichkeit. Auch sie fordert eine Verschärfung und Vereinfachung des Waffenrechts.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) plädierte für ein generelles Trageverbot für Messer im öffentlichen Raum. Zudem solle die Prävention bei Kindern und Jugendlichen gestärkt werden. Die Hemmschwelle Messe einzusetzen, sinke zunehmend, wodurch die Gefahr für und Polizeibeamte immer höher werde. Der BDK betonte weiterhin, die derzeitigen Regelungen des Waffengesetzes zu Messern seien zu unübersichtlich.