Immer mehr Kommunen müssen ohne Bürgermeister auskommen. Das bringt vielerorts das Gemeindeleben zum Erliegen, ruft aber auch kreative Lösungen auf den Plan. Drei Beispiele für den Umgang mit fehlender Führungsstruktur.
Der Neujahrsempfang hat nicht stattgefunden. Die Rede zum Volkstrauertag ist ausgefallen. Seniorennachmittage und Stammtische wurden abgeschafft. „Das Dorfleben ist zum Erliegen gekommen“, sagt Hans Feld. Der Büroleiter der Verbandsgemeinde Nordpfälzer Land ist seit Oktober vergangenen Jahres von der Kommunalaufsicht damit beauftragt, die Amtsgeschäfte in dem 200-Seelen-Dorf Würzweiler in Rheinland-Pfalz kommissarisch zu leiten. In Teilen übernimmt er damit das, was normalerweise Aufgabe des Bürgermeisters wäre.
Bürokratische Auflagen schrecken Kandidaten ab
Bei den Kommunalwahlen 2024 ging die Gemeinde mit einer leeren Kandidatenliste ins Rennen: Niemand ließ sich damals für das Amt des Bürgermeisters aufstellen. „Es wollte keiner mehr die Verantwortung tragen“, sagt Hans Feld. Diverse Auflagen müssten beachtet werden, ob beim Brandschutz oder der Schutzausrüstung für Gemeindemitarbeiter, die Bürokratie ufere aus – das sei anstrengend und es fresse Zeit. „Wer dieses Amt macht, muss Spaß daran haben“, unterstreicht er. Doch durch die herrschende Regulierungsdichte sei genau das in der Praxis schwer.
15 Jahre lang war Felds Vorgänger Uwe Pfeiffer Bürgermeister in Würzweiler. „Ich habe das Amt immer gut ausgefüllt, aber irgendwann war ich einfach müde“, berichtet er. Als er schließlich aus dem aktiven Berufsleben in den Ruhestand wechselt, habe er einen neuen Lebensabschnitt beginnen wollen und legte sein Bürgermeisteramt nieder. Doch woran scheiterte die Kandidatenaufstellung? „Es braucht Menschen, die vorangehen. Das will heute niemand mehr“, glaubt Pfeiffer.
90 Ortsgemeinden blieben nach den Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr zunächst ohne Bürgermeister, 523 Kommunen konnten zuvor keinen Kandidaten auf dem Wahlzettel präsentieren.
Die Verwaltungslast auf mehrere Schultern verteilen
Eine kreative Lösung für den Kandidatenmangel praktiziert die knapp 3.000 Einwohner zählende Gemeinde Rengsdorf in Rheinland-Pfalz: Sie wird seit etwas mehr als einem Jahr von einem Dreiergespann regiert. Formal wurde diese Personalstruktur zwar Anfang des Jahres von der Kommunalaufsicht aufgelöst, so dass der frühere Beigeordnete Marc Dillenberger seitdem als Bürgermeister den Hut aufhat, doch in der Praxis sind die Aufgaben immer noch auf sechs Schultern verteilt. Dillenberger kümmert sich als Bürgermeister um das Tagesgeschäft, den Gemeindehaushalt, den kommunale Bauhof mit drei Mitarbeitenden, die Postagentur mit sechs Angestellten. Der Beigeordnete Thomas Schreck vereint in seinem Aufgabenbereich alle Belange rund ums Bauen: Hochbau, Tiefbau, Flächennutzungs- oder Bebauungspläne. Der Dritte im Bunde, Dennis Müller, kümmert sich um die Themen Vereine und Kultur. „Dadurch, dass wir die Lasten verteilen, fallen weniger Themen hinten runter. Mehr Dinge bekommen Aufmerksamkeit“, sagt der Bürgermeister. Mit seinen zwei Beigeordneten befinde er sich in einem steten Austausch. „Es vergeht kein Tag in der Woche, an dem wir nicht mindestens einmal miteinander telefonieren.“
Insgesamt kommen die drei Regierenden mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit auf eine wöchentliche Stundenzahl, die der einer Vollzeitstelle entspricht. Die Aufwandsentschädigung für einen in Rheinland-Pfalz tätigen Bürgermeister liegt bei 1.988 Euro brutto – kein Gehalt, für das sich eine Freistellung vom Arbeitgeber lohnt. In Bayern oder Baden-Württemberg hingegen haben Kommunen mit 3.000 Einwohnern bereits Anspruch auf einen hauptamtlichen Bürgermeister. Ist die fehlende finanzielle Honorierung also ein Grund für den Kandidatenmangel einzelner Bundesländer?
Uwe Pfeiffer sieht in einer angemessenen Bezahlung zumindest einen Hebel, um das Kandidatenproblem in den Griff zu bekommen. „Wenn wir es rechtlich hinbekommen, die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen und eine höhere Aufwandsentschädigung zu bezahlen, dann könnte das ein Zukunftsmodell für unsere Gemeinden sein“, sagt er. Das glaubt auch Marc Dillenberger. „Drei Leute sehen mehr als einer allein“, sagt er. Dass das Modell Potenzial habe, zeige auch das Interesse von Bürgermeistern benachbarter Gemeinden. Der eine oder die andere spiele bereits mit dem Gedanken, ein ähnliches Modell in der eigenen Kommune zu etablieren. „Wenn drei Leute an der Spitze stehen, gibt es auch einen anderen Drive in die Verwaltung“, berichtet er. Ein Dreiergespann an der Spitze der Kommune – für Dillenberger ist das ein Modell mit Zukunft.
Ein weiteres Bundesland, das sich schwer damit tut, Bürgermeisterkandidaten aufzustellen, ist Thüringen. Auch hier traten bei den Kommunalwahlen 2024 etliche Gemeinden ohne Kandidaten an. Zu ihnen zählte auch die Stadt Hirschberg an der Saale.
Als erste Beigeordnete übernahm damals Patricia Duch die kommissarische Leitung der 2.200-Einwohner-Stadt. Im Februar 2025 stellt sie sich schließlich offiziell zur Wahl stellte und kommt mit mehr als 70 Prozent der Stimmen ins Amt. Doch warum hat es so lang gedauert, bis Hirschberg einen Bürgermeister gefunden hat? Das habe mit zwei Faktoren zu tun, sagt Patricia Duch: Zeit und Geld. Sie selbst hat einen 30-Stunden-Job, arbeitet pro Woche zusätzlich zehn Stunden in der Stadtverwaltung plus Abendtermine und Einsatz am Wochenende. Für die 31-jährige Mutter zweier Kinder ein ordentliches Pensum. Dabei sei die Aufwandsentschädigung für das Ehrenamt für viele nicht Anreiz genug.
Gemeindefusion als letzter Ausweg
„Ob eine Gemeinde von einem ehrenamtlichen oder hauptamtlichen Bürgermeister regiert wird, sollte nicht von der Einwohnerzahl abhängen“, sagt Patricia Duch. Stattdessen müsse der Verwaltungsaufwand als Gradmesser herangezogen werden. In Hirschberg ist dieser aufgrund verschiedener Faktoren besonders hoch. Da sind zum Beispiel die Finanznöte der Kleinstadt, die aktuell nur noch in der Lage ist, ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen. Investitionen kann sie nicht mehr tätigen.
Dass Patricia Duchs Tage in der gerade frisch bezogenen Amtsstube auch schon wieder gezählt sind, hat in der desaströsen Finanzlage ihre Ursache. Denn Ende 2026 soll Hirschberg mit der Nachbargemeinde fusionieren, was zur Folge hat, dass der nächste Bürgermeister hauptamtlich die Verwaltungsgeschäfte führen wird. „Ich mir ganz sicher, dass sich dann plötzlich mehr als genug Kandidaten bereit erklären“, prognostiziert Duch.





