Fehler sind keine Schwäche, sie bieten Entwicklungspotenzial. Das zu verstehen, scheint leicht, es zu leben und Fehler offen zuzugeben, fällt häufig deutlich schwerer. Doch es gibt hilfreiche Ansätze, um eine gute Fehlerkultur zu etablieren – sogar in der hierarchieliebenden öffentlichen Verwaltung.
„Eine positive Fehlerkultur fördert offene Kommunikation und Lernorientierung, indem sie Fehler als Chancen zur Verbesserung betrachtet“, betont Alexander Schweitzer, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz. Der richtige Umgang mit Fehlern unterstütze Mitarbeitende durch Verständnis, implementiere proaktive Maßnahmen zur Fehlervermeidung und ermutige zu Innovation. All das erzeuge ein positives Arbeitsumfeld.
In Rheinland-Pfalz wird positive Fehlerkultur in der öffentlichen Verwaltung daher aktiv und mit verschiedenen Instrumenten gefördert. Das beginnt schon beim Onboarding neuer Mitarbeitender. In einem Patenmodell werden Wissen und Erfahrung transparent geteilt. Das sorge dafür, dass Fragen gezielt adressiert und Fehlerquellen vermieden werden könnten, heißt es aus der Staatskanzlei Rheinland- Pfalz. Zudem bieten strukturierte Kooperations- und Fortbildungsgespräche Raum für offenen und vertrauensvollen Austausch auf Augenhöhe sowie für Gespräche über Verbesserungen und die dazu erforderlichen Werkzeuge.
Auch die internen Führungsgrundsätze sollen helfen: Führungskräfte agieren durch ihren offenen Umgang mit eigenen Fehlern als Vorbilder für ihre Kolleginnen und Kollegen. Regelmäßige Teamreflexionen und Feedback-Runden fördern die Kommunikation untereinander. „Wir setzen auf ein gutes System des Miteinanders“, so Schweitzer. Die genannten Maßnahmen seien dafür grundlegend.
Win-Win-Situation
Eine gute Fehlerkultur in der öffentlichen Verwaltung erkennt man laut Prof. Dr. Michael Leyer an drei Faktoren. Zum einen müssen die Erfahrungen von Bürgerinnen und Bürgern mit Verwaltungsleistungen aktiv und systematisch erfasst und für die Verbesserung der Prozesse genutzt werden – schließlich bestimmen diese, was ein Fehler ist. Zum anderen braucht es eine Arbeitsatmosphäre, in der alles konstruktiv kritisiert und hinterfragt werden darf. Der dritte Faktor lautet schlicht: Fehler müssen erlaubt sein.
„Durch eine gute Fehlerkultur kann eine entspanntere Arbeitsumgebung geschaffen werden“, so der Professor für Digitalisierung und Prozessmanagement an der Philipps-Universität Marburg. Dann sind Mitarbeitende zufriedener und in der Folge auch die Bürger, weil ihre Anliegen besser und schnellerbearbeitet werden. Wo Fehlerkultur gelebt wird, wird die Grundlage für weitreichendere Veränderungen z. B. in Richtung Digitalisierung gelegt.
Fehlerkultur hat jedoch auch ihre Grenzen – insbesondere dadurch, dass Fehlerkultur nur ein Thema in Organisationen ist, das mit anderen Themen interagiert und z. B. von etablierten Denkweisen beeinflusst wird, so Leyer. Darüber hinaus ist sie meist auf inkrementelle Verbesserungen in Prozessen bezogen und hindert damit den Blick auf größere Veränderungen, die meist mit Technologien zu ganz anderen Prozessen führen.
Die Tatsache, dass Verwaltungsprozesse an den Bedürfnissen von Bürgerinnen und Bürgern vorbeigehen, wird ebenfalls nicht berücksichtigt. „In jedem Fall sollte es eine übergeordnete Strategie geben, in deren Rahmen Fehler adressiert werden“, fordert er.
Kleine Schritte
Leyers Tipp für Beschäftigte, die eine gute Fehlerkultur in ihrer Behörde etablieren wollen: einen langen Atem haben. Das System der öffentlichen Verwaltung basiert auf einer langen Tradition der Bürokratie, die sich eher an Hierarchie und der korrekten Abarbeitung von Vorgängen nach Vorgaben orientiert. „Das Umdenken dauert, kann aber durch einige Maßnahmen gefördert werden.“ Es braucht zunächst Personen, die das Thema mittragen. Diese müssen vorab mit den nötigen Konzepten und Methoden dafür ausgestattet werden. Leyer rät dazu, mit kleinen Maßnahmen zu beginnen, die bei den Prozessverantwortlichen liegen. Die positiven Effekte können dann anderen Mitarbeitenden transparent gemacht werden, bei diesen auf Interesse stoßen und anschließend größere Themen angegangen werden.