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StartVerteidigungUnterstützen immer – verteidigen (n)immer

Unterstützen immer – verteidigen (n)immer

Eine ereignisreiche Woche der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in einem weiten Sinne ist zu Ende gegangen. Die Tage vor dem Gipfeltreffen der NATO und der Gipfel selbst waren von vielfältigen Tönen und Vorschlägen und Erwartungen an die Ergebnisse des Treffens geprägt.

Der Ukraine, einem Land im Kampf ums eigene Überleben und zugleich um die Freiheit in Europa, geben Mitglieder der Allianz zwei Aufgaben:

  • Gewinne erst einmal den Krieg gegen die Russen dann
  • schaue mal, dass du unsere Bedingungen erfüllst, um überhaupt eingeladen zu werden.

Andere Mitglieder sahen in dieser Lage nur mit einer schnellen Aktion, die Ukraine einzuladen, einen Weg, um gegenüber Russland (endlich) in die Initiative zu kommen und so die „intra war deterrence“ zu verbessern. Da schon vor Beginn des Gipfels US-Präsident Joe Biden bei CNN erklärte, dass die Ukraine „noch nicht reif sei“ für eine Einladung zur Mitgliedschaft, konnte man wissen, dass sich die erste Gruppe in den Erörterungen durchsetzen würde. Und die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas hat nach dem Gipfel festgestellt, dass die Formulierungen im Kommunique das gemeinsam Mögliche war. Es ist eine Binsenwahrheit, dass im Bündnis für eine Einladung Einstimmigkeit erforderlich ist. Das macht die Diskrepanz zwischen dieser Bestimmung und dem Satz „Die Zukunft der Ukraine ist in der NATO“ so offensichtlich und erinnert an Bukarest 2008.

Die Befürworter der Verschiebung erkennen eine Einladung nicht als Stärkung der Abschreckung Russlands, sondern haben Angst vor einer Eskalation, gegen die sie kein Mittel sehen. Und sie haben den Satz im Kommunique ergänzt um die Erfüllung von Bedingungen. Der Hinweis, dass ein Beitritt erst nach dem Ende des Krieges möglich ist, wird Putin natürlich veranlassen, den Krieg, der für ihn nicht erfolgreich ist, möglichst lange fortzusetzen. Es ist also durchaus berechtigt zu vertreten, dass eine frühe Einladung der Ukraine den Krieg sogar verkürzen kann. Dann lohnt sich für Putin eine Fortsetzung der „Spezialoperation“ nicht mehr, um einen NATO-Beitritt zu verhindern.

Diejenigen, die das Aufschieben der Einladung vertreten und eine Mitgliedschaft erst nach einem Ende des Krieges sehen, müssten dann diejenigen sein, die mit massiv erhöhter Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte auf allen Gebieten Erfolge des Zurückdrängens der russischen Kräfte hinter die Grenzen der Ukraine von 1991 voranbringen. Um dies zu unterstreichen, haben am Rande dieses Gipfels die G7 Staaten eine „Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der Ukraine“ gebilligt. Neben der Tatsache, dass wichtige Länder aus drei Kontinenten eine längerfristige Verpflichtung für die Sicherheit der Ukraine übernehmen wollen, sind drei Elemente der Erklärung wichtig:

  • Es geht „nur“ um Unterstützung.
  • Diese Unterstützung ist in drei zeitlich strukurierte Abschnitte gegliedert.
  • Es bleibt bei der Unterstützung der Befähigung zur Selbstverteidigung und der Erhöhung einer künftigen ukrainischen Abschreckungsfähigkeit.

Der Text enthält keinerlei Hinweise, die im Angriffsfall eine gemeinsame kollektive Selbstverteidigung mit Kräften der G7 Staaten erkennen lassen. Die Unterstützung ist allerdings sowohl für den jetzigen Krieg, danach für den Aufbau einer eigenen ukrainischen konventionellen Abschreckungsfähigkeit als auch für eine verstärkte Unterstützung im Falle eines erneuten russischen Angriffs. Es ist wohl diese Verpflichtung für eine langfristige Unterstützung, die Selenskyj veranlasste, diese Erklärung sehr positiv zu bewerten.

Eine Reihe von Aussagen im Schluss-Kommunique des Gipfels erläutern praktische militärische und militärpolitische Maßnahmen, mit denen die Ukraine näher an die NATO herangeführt wird. Eine Analyse zeigt, dass die Ukraine so faktisch erreicht, den Anforderungen des Artikel 3 des Washingtoner Vertrags nahe zu kommen. Und die Einrichtung des NATO-Ukraine Rates, der zunächst eher als eine „Krücke“ erscheint, kann auch den Ansprüchen und Möglichkeiten des Artikel 4 des Vertrages genügen, wenn – wie am Rande des Gipfels bestätigt – die Ukraine diesen Rat anrufen kann, wenn nach ihrer „Auffassung … die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder Sicherheit… bedroht ist“.

Diese schrittweise Nutzung bzw. Erfüllung von Anforderungen des Vertrages macht klar, dass die fehlende Einigkeit unter den 31/32 Mitgliedern daher rührt, dass die Ukraine im Fall eines erneuten Angriffs nicht nur unterstützt, sondern auch verteidigt wird. Dass dies eine Frage des politischen Willens ist, wird auch daran deutlich, dass ja die bereits jetzt von allen Partnern völkerrechtlich mögliche individuelle und kollektive Selbstverteidigung gemeinsam mit der Ukraine gem. Art 51 VN Charta Partner ausgeschlossen wird.

Bei diesem Sachverhalt bleibt es nach dem Gipfeltreffen auf (un)absehbare Zeit dabei, dass die Ukraine unterstützt, aber eben nicht verteidigt wird.

Damit bleibt aber völlig offen, wie die NATO-Mitgliedstaaten, die G7-Staaten und die EU-Staaten ihr „unerschütterliches Bekenntnis zum strategischen Ziel einer freien, unabhängigen, demokratischen und souveränen Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen, die fähig ist, sich selbst zu verteidigen und künftige Aggressionen abzuschrecken“ gegen das aggressive, imperial agierende Russland Putins erreichen, ja durchsetzen wollen. Der politische Zweck und die eingesetzten Mittel klaffen weiterhin deutlich auseinander.

Und wenn sie den brutalen Krieg Russlands „als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit, … und als unvereinbar mit unseren Sicherheitsinteressen“ betrachten, dann muss das eigene Handeln zur aktiven Verteidigung schreiten, ehe der letzte Ukrainer getötet oder unterjocht sein wird.

Generalleutnant a.D. Dr. Klaus Olshausen

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