- Anzeige -
- Anzeige -
StartRechtDie Einladungspflicht Öffentlicher Arbeitgeber für schwerbehinderte bewerbende Personen – Eine Einladung zur...

Die Einladungspflicht Öffentlicher Arbeitgeber für schwerbehinderte bewerbende Personen – Eine Einladung zur Verantwortung und Vielfalt – Das Urteil des BAG vom 23. November 2023  (8 AZR 164/22)

Die besonderen Rechte und Pflichten für Arbeitgeber im Zusammenhang mit schwerbehinderten Menschen finden sich insbesondere in den Regelungen zu §§ 151 ff. SGB IX. So besteht unter anderem die Pflicht der Öffentlichen Arbeitgeber zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Von zentraler Bedeutung ist ferner die Einladungspflicht Öffentlicher Arbeitgeber: Diese sind nach § 165 S. 3 SGB IX verpflichtet, schwerbehinderte bewerbende Personen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Eine solche Einladung ist nur dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung der bewerbenden Person offensichtlich fehlt, die bewerbende Person also offensichtlich ungeeignet ist.

Praxishinweis: Die Verpflichtung zur Einladung besteht unter anderem auch dann, wenn…

  • eine andere bewerbende Person deutlich besser geeignet ist;
  • die bewerbende Person mitgeteilt hat, dass eine Einladung nur in dem Fall erwünscht ist, in dem er/sie sich in der engeren Auswahl befindet;
  • die persönliche Eignung der bewerbenden Person fraglich erscheint (anders ausnahmsweise, wenn die persönliche Ungeeignetheit der bewerbenden Person aus einer vorherigen Bewerbung oder einem vorherigen Arbeitsverhältnis bekannt ist).

In einer neuen Entscheidung konkretisiert und verschärft das BAG (Urteil vom 23. November 2023 – 8 AZR 164/22)nunmehr noch einmal die Anforderungen, die an diese Einladungspflicht Öffentlicher Arbeitgeber gestellt werden und führt aus, dass die Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch auch das Erfordernis beinhalte, einen Ersatztermin anzubieten, wenn die bewerbende schwerbehinderte Person ihre Verhinderung an einem vorgeschlagenen Termin zum Vorstellungsgespräch unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitteilt und dem Arbeitgeber die Durchführung eines Ersatztermins zumutbar ist.

Das Urteil des BAG – ein Meilenstein für die Stärkung der Rechte schwerbehinderter Menschen?

Die schwerbehinderte klagende Partei wurde zweigeschlechtlich geboren und bezeichnet sich selbst als Hermaphrodit. Sie bewarb sich auf eine Stellenausschreibung der beklagten Stadt, in der für ihre Ausländerbehörde „Fallmanager*innen im Aufenthaltsrecht“ gesucht wurden. In ihrer Bewerbung gab die klagende Partei ihre Schwerbehinderung an.

Die Beklagte lud die klagende Partei hieraufhin für Montag, den 18. November 2019, zu einem Vorstellungsgespräch ein. Die klagende Partei meldete sich per E-Mail zurück und gab an, dass sie an diesem Tag schon einen anderen Termin in Brandenburg habe und aus diesem Grund um einen Ersatztermin bitte.

Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass kein Ersatztermin eingeräumt werden könne, weil das Stellenbesetzungsverfahren nicht weiter verzögert werden sollte. Zudem könne die Auswahlkommission nicht nochmals zeitnah zusammenkommen.

Im Januar 2020 erhob die klagende Partei daraufhin vor dem Arbeitsgericht Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Schwerbehinderung in Höhe von mindestens EUR 5.000,00. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab und auch das Landesarbeitsgericht wies die hierauf gerichtete Berufung zurück.

Die Entscheidung des BAG

In seinem Urteil folgte das BAG nunmehr den Entscheidungen der beiden Vorinstanzen und wies die Revision als unbegründet zurück, da kein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG vorliege.

Der Senat stellt fest, dass die klagende Partei zwar wegen Zurückweisung ihrer Bewerbung unmittelbar benachteiligt wurde, sie habe aber nicht hinreichend dargelegt, dass diese Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist.

Grundsätzlich trägt die Person, die einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß 15 Abs. 2 AGG geltend macht, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen. Insoweit gilt jedoch gemäß § 22 AGG eine Erleichterung der Darlegungslast, da lediglich Indizien vorgetragen werden müssen, nach denen eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zu vermuten ist. Gelingt der klagenden Partei ein entsprechender Vortrag von Indizien, trägt die andere Partei (i.d.R. der Arbeitgeber) die volle Beweislast für das Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot.

Diskriminierung aufgrund der (Schwer-)Behinderung?

Der Senat befasste sich insbesondere mit der Frage, ob die klagende Partei eine Benachteiligung wegen ihrer Schwerbehinderung durch die unterbliebene Durchführung des Vorstellungsgesprächs erfuhr.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG begründet der Verstoß des Öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 S. 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung einer schwerbehinderten bewerbenden Person regelmäßig die Vermutung, dass eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vorliegt. Erforderlich ist insoweit jedoch, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt war oder er diese hätte kennen müssen. Die beklagte Stadt hatte insoweit vorliegend aufgrund der Angabe in der Bewerbung Kenntnis von der Schwerbehinderung der klagenden Partei.

Der Öffentliche Arbeitgeber erfüllt diese Pflicht zur Einladung einer schwerbehinderten Person jedoch nach den Ausführungen des Senats nicht, wenn der Arbeitgeber einen Vorstellungstermin anbietet, der schwerbehinderte Mensch seine Verhinderung vor der Durchführung des Termins unter Angabe eines hinreichend wichtigen Grundes mitteilt und der Arbeitgeber dennoch keinen Ersatztermin anbietet. Es muss dem Arbeitgeber bei Vornahme einer Gesamtschau jedoch auch zumutbar sein, einen Ersatztermin in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht anzubieten.

Zur Begründung dieser weiten Auslegung von § 165 S. 3 SGB IX führt der Senat insbesondere aus, dass eine formale Beschränkung der Einladungspflicht auf das Anbieten eines einzigen Termins dem Sinn und Zweck der Norm nicht gerecht werden würde. Durch die Einladungspflicht solle die Chance eines schwerbehinderten Menschen verbessert werden. Das Anbieten eines einzigen Termins würde diesem Ziel nicht gerecht werden.

Ob jedoch tatsächlich ein Ersatztermin angeboten werden muss, kann nur nach den Umständen im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden. Maßgeblich ist insbesondere das Gewicht des Verhinderungsgrundes und die Organisation des Auswahlverfahrens. Nach den Ausführungen des Senats wird regelmäßig bei kurzfristigen Erkrankungen ein Verschieben des Vorstellungsgesprächs bei organisatorischer Machbarkeit zumutbar sein.

Das Diskriminierungsmerkmal „Geschlecht“

Zudem befasste sich das BAG mit der Verwendung des Gendersterns bei der Stellenausschreibung. Hierin sah die klagende Partei eine Diskriminierung von Personen, die sich selbst weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht angehörig fühlen.

Aus der Verwendung eines Gendersterns könne nach Auffassung des Senats jedoch gerade nicht geschlossen werden, dass nicht eingestellte zweigeschlechtliche Menschen im Auswahlverfahren wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurden. Der Genderstern stehe hingegen sogar stellvertretend für alle Geschlechter. Die Stellenausschreibung der Beklagten sei unter Berücksichtigung dessen nur so zu verstehen, dass sie sich an Menschen jedweden Geschlechts richten soll.

Kein Meilenstein, aber ein bedeutender Schritt

Insgesamt zeigt sich, dass die Rechte von schwerbehinderten Menschen zunehmend gestärkt werden und gesetzliche Regelungen zum Schutz schwerbehinderte Menschen weit auszulegen sind.

Öffentliche Arbeitgeber sollten im Auswahlverfahren stets die Besonderheiten betreffend schwerbehinderten Bewerber*innen im Blick behalten und nach der Entscheidung des BAG nunmehr auch berücksichtigen, dass es erforderlich sein kann, einen Ersatztermin anzubieten, sofern die schwerbehinderte Person bei dem ursprünglichen Vorstellungsgespräch verhindert ist.

Eine generelle Aussage, wann dieser Verpflichtung nachzukommen ist, kann jedoch nicht getroffen werden. Es hängt entscheidend von den Gesamtumständen im jeweiligen Einzelfall ab, ob das Interesse der sich bewerbenden Person an einem neuen Termin das Interesse des Öffentlichen Arbeitgebers an einer effizienten Durchführung des Bewerbungsverfahrens überwiegt. Arbeitgeber sind somit gut beraten, wenn sie stets genau prüfen und intern dokumentieren, ob ein Ersatztermin für ein Vorstellungsgespräch möglich ist oder nicht.

Die Autorin des Gastbeitrags ist Julia Füllmann von der Küttner Rechtsanwälte Partnergesellschaft.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein