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Nachhaltig digitalisieren per Gesetz

(BS) Die grüne Bundestagsfraktion möchte Digitalisierung und Nachhaltigkeit stärker miteinander verquicken. Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) liefert die Projekte dazu. Aus der Fraktion kommt die Idee eines Digitalen Nachhaltigkeitsgesetzes. Doch einigen der Vorhaben bringt die Wirtschaft Widerstand entgegen, andere könnten politisch schwierig umzusetzen sein.

„Wäre das Internet ein Staat, es wäre auf Platz sechs der größten CO2-Emittenten weltweit“, eröffnete Habeck seine Rede auf der Konferenz „nachhaltig by design“. Dieser Fakt erklärt, warum die Grünen-Bundestagsfraktion der nachhaltigen Digitalisierung gleich einen ganzen Kongress widmet. Die Umweltpartei findet sich in dem Dilemma, dass die Digitalisierung einerseits enorme Einsparpotenziale bietet, andererseits aber verbraucht sie Ressourcen, seltene Rohstoffe und jede Menge Strom.

Der Bundeswirtschaftsminister machte klar, wohin es seiner Ansicht nach gehen sollte: „Gar nicht weniger, sondern klüger nutzen“, gab Habeck als Devise aus. „Es ist offensichtlich, dass wir mit der Digitalisierung eine enorme Chance haben, Treibhausemissionen einzusparen.“ So ließen sich Prozesse durch Datenanalyse verschlanken, mit Künstlicher Intelligenz (KI) könne zielgerechter gedüngt, frühzeitiger Waldbrandherde erkannt werden.

Verpulverte Energie

Noch ist die Realität eine andere. KI-Training und -Anwendung fressen Energie. Rechenzentren laufen auf 20 Prozent Auslastung. Dabei erzeugen sie zudem Abwärme, die jedoch oft nicht weitergenutzt wird.  „Diese Energie wird verpulvert“, kritisiert der Wirtschafts- und Klimaminister. Doch die Lösung wird seit Oktober 2022 hinter den Kulissen diskutiert.

„Die Bundesregierung führt derzeit intensive Gespräche und Abstimmungsprozesse, um einen kabinettsreifen Entwurf eines Energieeffizienzgesetzes vorzulegen“, beantwortete der Beamtete Staatssekretär Dr. Patrick Graichen aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) eine Anfrage im Bundestag.

Das Gesetz ist unter anderem deswegen so umstritten, weil es laut einem Papier des BMWK und des Bauministeriums (BMWSB) Rechenzentrumbetreibern vorschreiben könnte, dass sie mindestens 30 Prozent ihrer Abwärme für Fernwärmenutzung abführen sollen. Die Branche hatte dagegen lautstark protestiert. Die gewünschte Abwärmenutzung sei illusorisch und entspräche nicht den Branchenstandards.

Habeck gab an, dass sein Ministerium an der Feinjustierung arbeite. „Wenn wir da zu viel einschränken, dann kommt ein Rechenzentrum vielleicht nicht hierher“, erklärte der Minister. „Das lehrt die praktische Erfahrung.“ Der Wirtschaftsstandort Deutschland solle ja auch nicht geschwächt werden.

Nachhaltige Chipproduktion in Europa

Im Gegenteil: Sowohl sein Ministerium als auch die Europäische Union wollen die europäische Digitalwirtschaft stärken und die Produktion von Chips auf den Kontinent holen. Das sei eine Frage der Sicherheit und technologischen Souveränität. Bislang würden 99 Prozent der Chips in China hergestellt. Diese Hardware ist für die gesamte Digitalisierung unverzichtbar. Bei Firmen, die sich in Europa ansiedeln, will Habeck auf nachhaltige Produktion achten. Aber der Minister sieht auch Probleme: „Produktionssouveränität ist eine Chimäre, wenn 99 Prozent der Rohstoffe aus China kommen.“ Also müssten neue Rohstoffquellen erschlossen werden. Vor Kurzem wurde gemeldet, dass in Schweden große Vorkommen seltener Erden gefunden worden seien, die für die Chipproduktion benötigt würden. „Rohstoffabbau ist keine politische Schönheit“, kommentierte der grüne Minister. Vielleicht aber wird er der Kernwählerschaft demnächst neue Rohstofffördermaßnahmen schmackhaft machen müssen.

Doch Habeck will nicht nur die Neuproduktion ankurbeln. In Zukunft erhoffe er sich eine Welt, in der Elektroschrott vollständig recyclet wird. Aus den Rohstoffen in den Elektrogeräten ließen sich effizient und nachhaltig neue Produkte bauen.

Smart Meter Rollout

An andern Stellen scheint die typisch deutsche Digitalaversion die nachhaltige Digitalisierung behindert zu haben. Habeck erwähnt den Smart Meter Rollout. Das „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende“ soll digitale Stromzähler, sogenannte Smart Meter, in die Haushalte bringen. Wegen Datenschutzsorgen hätten die meisten Menschen sich für die analogen Drehzähler entschieden. „Zehn Jahre lang haben wir sichere Geräte gebaut, aber nicht eingebaut“, fasst Habeck zusammen. Das wolle er ändern. So sollten Stadtwerke dazu verpflichtet werden flexible Stromtarife anzubieten. Diese Tarife setzen allerdings Smart Meter voraus. Habeck hofft also wirtschaftliche Anreize für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, sich digitale Stromzähler einzubauen.

Grünenfraktion will Leitgesetz

Es mangelt also nicht an einzelnen Initiativen, Gesetzen und Projekten. Doch den Grünen fehlt eine übergeordnete Struktur, die die Nachhaltigkeit der Digitalisierung erzwingt. „Wir sind der Meinung es braucht politische Maßnahmen“, erklärte die Vorsitzende des Digitalausschusses Tabea Rößner (MdB Bündnis 90/Die Grünen). Zwar gebe es schon ein Klimaschutzgesetz. In diesem fände sich aber noch kein eigenes Gesetz für eine nachhaltige Digitalisierung.

Der Jura-Professor an der Freien Universität Berlin, Dr. Christian Calliess, sah zwei Wege solches Gesetz zu verabschieden. Leichter sei es, wenn der Gesetzgeber das Klimaschutzgesetz um das Thema nachhaltige Digitalisierung ergänze. Aber ein eigenes Leitgesetz für die Nachhaltigkeit der Digitalisierung sei gründlicher. Er sprach sich für klare Nachhaltigkeitsziele und ein im Gesetz verankertes Monitoring aus.

Ein solches Monitoring führt die Leiterin des Geschäftsfelds Energiepolitik, Dr. Heike Brugger, am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI den Projektionsbericht durch. Sie berichtete, dass die Datenlage für bestimmte Bereiche noch sehr schlecht sei.  Als Beispiel nannte sie den Gebäudesektor. Daraus ergebe sich die Schwierigkeit konkrete Zielvorgaben für die einzelnen Sektoren der Digitalisierung zu machen. Es fehle schlicht an einer Datengrundlage dafür.

„Warum müssen wir Digitalisierung und Nachhaltigkeit überhaupt miteinander verquicken?“, stellte Dr. Anne Mollen die Gretchenfrage. Beide Themen seien schon für sich genommen schwierig, argumentierte die Senior Policy & Advocacy Managerin von AlgorithmWatch. Vielleicht solle man sich doch darauf konzentrieren, vernünftig zu digitalisieren, statt sich die Sache durch Nachhaltigkeitsvorgaben noch schwerer zu machen.

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