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StartVerteidigungDie Zeit ist der Treiber

Die Zeit ist der Treiber

Mit einem Erlass zur Beschleunigung der Beschaffung stellt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Weichen für die praktische Umsetzung der Zeitenwende. Was das im Detail bedeutet und wie sich die Prozesse in den nächsten sechs Monaten gestalten werden, erklärt der Vizeadmiral der Deutschen Marine und Abteilungsleiter Ausrüstung im Bundesministerium der Verteidigung Carsten Stawitzki.

„Die Zeit ist der Treiber“, so fasst Stawitzki die Kernforderung des Erlasses auf dem Defense-Procurement-Day 2023 zusammen. Dies stelle eine Abkehr von der bisher verbreiteten Suche nach der Goldrandlösung dar. Stattdessen erfolge die Beschaffung nun unter dem Primat, die dringenden Bedarfe in kurzer Zeit mit marktverfügbaren Lösungen zu decken. Das bundeswehr-interne Regelwerk steht, wenn es über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgeht, hinten an. Derartige Regelungen sind folgerichtig für die nächsten sechs Monate außer Kraft gesetzt.

Das Wesen von Beschaffungsprozessen ist aus dem Alltag bekannt

Um die Herausforderungen von Beschaffungsprozessen und das sogenannte Costumer-Product-Management zu verdeutlichen, bedient sich Stawitzki eines Beispiels. Denn das Costumer-Product-Management sei auch Zivilisten aus ihrem Alltag vertraut oder zumindest verständlich. Wer sich auf die Suche nach einer neuen Wohnung begebe, der würde sich zunächst eine Vorstellung davon verschaffen, welche Ansprüche und Bedarfe das neue Zuhause erfüllen müsse. Die Lage, der Schnitt, aber auch die Anzahl der Zimmer und die Größe vielen bei einem derartigen Vorhaben ins Gewicht. Das ist die sogenannte Bedarfsvorgabe. Im Anschluss gelte es sich der Herausforderung zu stellen, den Markt zu erkunden. Dabei entdecke man häufig, dass eine Wohnung die gewünschte Lage vorweise, während eine andere über die gewünschte Größe und Zimmerauswahl verfüge. Nach dem etablierten Modus der Goldrand-Lösung müsste man die Suche an dieser Stelle abbrechen und eine eigene Lösung entwickeln, welche über alle gewünschten Eigenschaften verfüge. Der neue, die Dringlichkeit betonende Ansatz schließt ein derartiges Vorgehen allerdings aus. Kompromisse seien daher angezeigt. Weil nicht alle Wünsche durch eine marktverfügbare Lösung abgedeckt werden könnten, müsse man von produktneutralen Zielvorstellungen abkommen.   

Mit begrenzten Ressourcen

Bereits dieses kurze Beispiel vermittle einen Eindruck von den Schwierigkeiten und Herausforderungen, welche das Beschaffungswesen mit sich brächte. Darüber hinaus sei das Amt mit personellen und gesellschaftlichen Problemen konfrontiert. Die Stellenbesetzung läge bei etwa 80 Prozent. Man arbeite also mit defizitären Kapazitäten. Darüber hinaus kämpfe man gegen gesellschaftlichen Fehlannahme an. Seit den 1990er-Jahren gebe man sich der falschen Vorstellung hin, man verfüge über alle Zeit der Welt. „Für eine gewisse Zeit lang konnten wir uns dem Luxus hingeben, andere Werte über die Zeit zu stellen“, erklärt Stawitzki. Dies sei angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage allerdings überholt.  

Aus dem Rahmen in die Umsetzung kommen

Der neue, durch den Erlass des Verteidigungsministers ausgerufene Ansatz wird unter anderem im Leader-Follow-Konzept gelebt. Bei dieser Organisationsform übernimmt ein Staat die Führungsrolle in einem Beschaffungsprojekt. Denn die nationalen Beschaffungsprozesse seien schneller als internationale Bemühungen, erläutert Stawitzki. Als Follower schließen sich andere Staaten diesem Prozess an. Sie erkennen die Bedarfskonzeption des Zweitstaates und schließen sich folgerichtig auch beim Erwerb des Produktes an. Dieser Modus verlangt immer Kompromissbereitschaft, beschleunigt verfahren allerdings ungemein. Bei der Beschaffung von Überschnee-Fahrzeugen hat Deutschland bereits ein derartiges Verfahren angewandt. Schweden übernahm als Leader die Bedarfsvorgabe und die Beschaffungsmaßnahme und Deutschland gliederte sich als Follower diesem Prozess an.

Beispiel Leo

Beim Leopard-Panzer 2A8 hingegen schließe man sich keinem Beschaffungsvorhaben an. Hier beschaffe Deutschland auf nationaler Ebene. Dabei orientiere man sich am „Rolls-Royce-Prinzip“. Aus allen verfügbaren Varianten des Leopard A7 konfiguriere man sich ein Modell, dass die eigenen Bedarfe erfüllt.  Gleichzeitig versuche man den Vertrag für multinationale Partner zu öffnen. Perspektivisch besteht also auch in diesem Verfahren die Möglichkeit, das Leader-Follower-Prinzip anzuwenden. Dies sei aus Stawitzkis Sicht der richtige Weg, Beschaffungsprozesse europaweit zu skalieren. Von der Idee einer EU-eigenen Beschaffungskapazität nimmt er hingegen Abstand. Die Kompetenzen in diesem Bereich seien begrenzt und darüber hinaus bereits ausreichend in nationalen Organisationen gebündelt. Die zusätzlichen EU-Bemühungen würden daher zu Kannibalisierung führen. „Wir müssen ehrlich sein, es ist nicht komplementär:“ Man nehme sich gegenseitig die Leute weg. Zur Zusammenführung multinationaler Programme sei hingegen die außerhalb des strengen EU-Korsetts verordnete OCCAR bestens geeignet.   

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