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StartVerteidigungWie steht es um die russischen Streitkräfte?

Wie steht es um die russischen Streitkräfte?

Die russischen Streitkräfte konnten nicht die Durchschlagskraft entfalten, welche die westliche Welt und die russische Führung erwarteten. Eine umfassende Analyse der russischen Militärmacht lässt sich aus diesem Umstand allerdings nicht ableiten.

Im Rahmen der Veranstaltung “Krieg in Europa: Debakel oder zweite Luft? Die Lage des russischen Militärs ein Jahr nach dem Überfall auf die Ukraine“ der Friedrich Naumann und Thomas Dehler Stiftung klärt Dr. Margarete Klein über den Zustand des russischen Militärs auf. Klein macht deutlich, dass sich Russland und die Ukraine zurzeit in einem Abnutzungskrieg befänden. Man versuche auf russischer Seite die ukrainischen Verteidiger im Donbass auszubluten. Dennoch sei Russlands Führung nicht von ihrem Maximalziel abgerückt. Klein mahnt: “Große militärische Ankündigungen der russischen Führung stehen bevor“. Ob die russische Taktik der Abnutzung in der Ukraine erfolgreich ist, dass könne nicht abschließend beurteilt werden. Zwar kenne man die Verluste der Ukraine nicht, es sei aber davon auszugehen, dass diese sich auf einem hohen Niveau befänden.

Trotz dieser Vermutung beurteilt Klein die Moral der ukrainischen Truppen weiterhin als gut. Auch taktisch bewege sich die Ukraine weiterhin auf einem hohen Niveau. Auffällig sei insbesondere die unterschiedlichen Militärkulturen in den beiden Kriegsparteien. In der Ukraine genössen die Offiziere mittlerweile ein hohes Maß an Binnen-Autonomität. Die russischen Streitkräfte hingegen seien immer noch stark von der Militärkultur der Sowjetunion geprägt. “Stärkere hierarchische Strukturen konnten sich bei den russischen Streitkräften bewahren“, erläutert Klein.

Keine Entscheidung in Sicht

Diese Beobachtung soll allerdings nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten. Der wirkliche Zustand der russischen Streitkräfte lasse sich kaum hinreichend analysieren. “Einschätzungen beruhen überwiegend auf anekdotischer Evidenz“, macht Klein deutlich. Es gälte sich deshalb zu fragen, ob die Geschichten und Anekdoten, die als Basis der Analysen dienen, einen realistischen Eindruck über den Zustand des russischen Militärs vermitteln. Eine verzerrte Perspektive würde insbesondere dadurch begünstigt, dass die westliche Welt die Militärmacht Russlands zunächst überschätzte. Als die russischen Streitkräfte jedoch nicht die prognostizierten Erfolge einfuhren, schlug dieser Mechanismus um. Der Westen neige nun zur Unterschätzung des russischen Militärs. Neben dieser Beobachtung leistet Klein eine Einordnung, wieso die russischen Truppen weniger effizient waren, als man zunächst erwartete.

Zwar haben in Russlands Streitkräften Modernisierungsmaßnahmen stattgefunden, diese seien aber nicht so tiefgreifend wie erwartet. Durch Übungen und Paraden hätte die russische Führung dieses Bild noch weiter befeuert. Strukturell hätte das russische Militär zunehmend auf Zeitsoldaten gesetzt, die in Ausbildung und Ausrüstung nicht das Niveau regulärer Soldaten erreichten. Im Schatten dieser Beobachtung dürfe allerdings nicht in Vergessenheit geraten, dass Russland weiterhin die Möglichkeit offenstehe, zusätzliche Truppen zu mobilisieren. Auch die russische Rüstungsindustrie produziere weiterhin effizient Rüstungsgüter. Die Ukraine hingegen hätte ihre personellen Ressourcen bereits ausgeschöpft. Bei Material und Munition sei man auf Lieferungen aus dem Westen angewiesen. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass die russischen Militärs aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben. Sie werden ihre Taktik folgerichtig an die neuen Bedingungen anpassen. Klein verbittet sich daher, die Fähigkeiten des russischen Militärs zu unterschätzen oder den Konflikt gar für entschieden zu erklären.

Über Europa hinaus

Interessant sei des Weiteren, welche Rolle informelle Truppen im russischen Militär, dem Krieg in der Ukraine im Speziellen und darüber hinaus spielten. Formal seien derartige Kräfte in Russland verboten. Dennoch bestünde enge Kooperation zwischen den Söldnerunternehmen und der russischen Führung. Den informellen Truppen käme dabei die Rolle zu, die, aus innenpolitischen Gründen, nicht von regulären russischen Soldaten gespielt werden könne. Sie sollen Menschenmassen an die Front bringen. Ein gefallener Söldner verursache kaum Unbehagen in der russischen Öffentlichkeit. Tote Soldaten hingegen seien der Bevölkerung schwer zu vermitteln. In einem Abnutzungskrieg, wie er derzeit in der Ukraine herrscht, seien informelle Truppen, deren Tod kaum innenpolitische Kosten verursache, daher sehr nützlich.

Die Funktion der Gruppe Wagner beschränke sich allerdings nicht auf den Konflikt in der Ukraine. Auch international spielte sie eine bedeutende Rolle. Um sich diese Tatsache bewusst zu machen, müsse zunächst mit einer Fehlannahme aufgeräumt werden. “Russland ist international nicht isoliert, es besteht lediglich eine starke Konfrontation mit dem Westen“, stellt Klein klar. Viele Staaten des globalen Südens versuchten neutral zu bleiben und sich die Möglichkeit lukrativer Geschäfte mit Russland offen zu halten. Russland nutze diese Ambivalenz aus. Es versuche den Westen, insbesondere die USA, als neo-koloniale Macht zu inszenieren. Im Rahmen dieser Narrative versuche sich Russland in diesen Ländern zu positionieren. Präsenz russischer Söldner, welche als militärische oder propagandistische Dienstleister aufträten, seien Teil dieser Strategie. Ganz bewusst orientiere sich die Gruppe Wagner deshalb dort, wo sich der Westen zurückziehe.

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