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StartVerteidigungNicht ins Bockshorn jagen lassen

Nicht ins Bockshorn jagen lassen

Am 25. März hielt Wladimir Putin die Zeit für gekommen, wieder einmal etwas Neues zu seiner Politik mit nuklearen Waffen zu verkünden. Diesmal erläuterte er seine Absicht „taktische Nuklearwaffen“ unspezifischer Art und Reichweite im kommenden Sommer nach Belarus zu verlegen. Diese Ankündigung ist nicht wirklich überraschend. Sie ändert auch nichts Grundlegendes an den strategischen Gegebenheiten zwischen Russland und der Ukraine. Es gibt wirklich mehr als genug nukleare Waffenträger, mit denen Russland die Ukraine – und weite Teile Europas jederzeit erreichen kann. Was ist also der mögliche Zweck hinter dieser Ankündigung Putins?

Wahrscheinlich ist es ein weiteres Element doppelter psychologischer Kriegführung. Zum einen richtet es sich an die eigene Bevölkerung. Putin zeigt seinen Russen, dass er noch eine weitere Maßnahme hat, um seinen Wirkungskreis auszudehnen. Zum anderen – und wahrscheinlich viel wichtiger – zielt diese Ankündigung auf westliche Bevölkerungen, um deren schon vorhandene Sorge vor einer nuklearen Eskalation des Krieges zu verstärken. Damit sollen die Regierungen im Westen mit Rücksicht auf die Stimmungen in ihren eigenen Ländern gehemmt werden, die Ukraine in diesen wichtigen, entscheidenden Monaten wirksamer und schneller zu unterstützen.

Außerdem rechnet Putin nicht nur mit der Angst im Westen, nicht zuletzt in Deutschland, sondern auch mit schwindender Aufmerksamkeit für diesen imperialistischen Krieg, der noch nicht das eigene Gebiet unmittelbar betrifft. Er mag annehmen, dass viele andere Themen in westlichen Gesellschaften wieder Vorrang gewinnen (ev. Kirche: 100 Mrd. gegen die Armut; Fam Min: 12 Mrd. für Kindergrundsicherung, Klimaschutz in großem Umfang).

Diese Einschätzungen sind leider nicht unberechtigt. Denn die sich länglich hinziehende und immer von einzelnen Waffensystemen und kleinen Zahlen bestimmte militärische Unterstützung der Ukraine war nie bestimmt davon, der Ukraine eine rasche militärische Befreiung ihrer Gebiete zu ermöglichen. Vielmehr handelte man in der Vorstellung, dass Putin jedes neue gelieferte Waffensystem zum Anlass nehmen könnte, den Krieg räumlich oder in der Kategorie der Waffen bis hin zu MVW zu steigern. Diese Handlungsweise gründete mehr auf einer Selbstabschreckung vor jeder zu starken Involvierung in den Krieg als auf einer nüchternen Analyse von Putins Interessen und Möglichkeiten. So kann schon die Frage gestellt werden, welche Chancen die Herbstoffensiven der Ukraine gehabt hätten, wenn sie über die Anzahl westlicher Kampfpanzer, Schützenpanzer und weiteres Material verfügt hätten, das nun viele Monate später und immer noch zu sehr zeitlich gestreckt in die Ukraine geliefert wird.

Gerade diejenigen, die den inzwischen eingetretenen „Abnutzungskrieg“ und die hohen Verluste auf beiden Seiten beklagen, müssen sich die Frage stellen oder ertragen, ob denn die Balance zwischen militärischer Unterstützung und Sorge vor Putins Eskalation im vergangenen Jahr sich zu sehr auf die Seite der Sorge senkte als für einen schnelleren Erfolg der Ukraine bei der Befreiung ihres Territoriums. Jetzt muss doch spätestens klar geworden sein, dass alle weiteren Einschränkungen der Unterstützung der Ukraine mit dem Hinweis auf „real-fiktionale“ nukleare Eskalationsgefahr es Putin deutlich leichter machen, seine Stellungen zu halten oder gar wieder auszudehnen. Die westlichen Staaten müssen sich von ihrer Selbstabschreckung lösen und ihren Bevölkerungen deutlich erklären, dass es darauf ankommt mit geeigneten Mitteln gegen Putin eine wirksame „intra-war deterrence“ aufzubauen. Karaganow, ein Wissenschaftler der völlig von Putins „Westfeldzug“ überzeugt ist, hat erneut die Demilitarisierung und Denazifizierung der Ukraine als wichtiges russisches Ziel festgehalten, als Voraussetzung für „die vaterländische Abwehr des versteckten Krieges des Westens mittels der Ukraine“. Wenn dies nach einem Jahr die Basis russischen Handelns bleibt, dann sind alle westlichen Auffassungen wohlfeil, man könne Putin zu einem Waffenstillstand mit folgendem Rückzug aller Truppen hinter die russische Grenze veranlassen. Deshalb geht es darum, die nächsten militärischen Maßnahmen der Selbstverteidigung der Ukraine mit der Befreiung eigenen Territorium so stark zu unterstützen, dass Russland die militärische Operation in der Ukraine nicht mehr erfolgreich fortsetzen kann. Wichtiges Element dafür sind alle Aufklärungs- und Wirksysteme, mit denen die operativen und logistischen Verbindungen Russlands von und in die Krim unterbunden und die Einsatzfähigkeit der Schwarzmeerflotte durch weitreichende Waffen stark reduziert wird. Nur wenn dies orchestriert wird mit geplanten operativen Gegenangriffen der Ukraine in bestimmten Frontabschnitten, erhöht sich die Aussicht auf Fortschritte bei der Befreiung der Ukraine.

Mit der Entscheidung der EU Staats- und Regierungschefs, der Ukraine den Status des Beitrittskandidaten zuzuerkennen, ist eine zwingende Verpflichtung zur Verteidigung der Ukraine verbunden, damit sie diesen Status überhaupt irgendwann zu einem echten Beitritt führen kann.

Wer glaubt, dass man mit dem Imperialisten im Angriffsmodus eine tragfähige Lösung finden kann, bevor er gestoppt ist, mag es – zum Nachteil der Ukraine – versuchen. Aber meine Auffassung ist, dass das mehr als schwierig wird und eher früher als später zu neuen Aggressionen führen wird – gerade auch mit der Deckung durch den Diktator Xi Jinping

Eines muss klar sein, wenn der russische Imperialismus nicht in der Ukraine gestoppt wird, dann muss er später unter noch ungünstigeren Bedingungen für unsere eigene Bevölkerung und Infrastruktur bekämpft und unter großen Opfern gestoppt werden. Denn so Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel: „Russland versucht, Herrschaft über ganz Europa zu etablieren.“

Der Autor des Gastbeitrags ist Generalleutnant a.D. Dr. Klaus Olshausen.

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