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Das rechtlich gebundene Ermessen des Auftraggebers nach § 60 Abs. 3 S. 1 VgV und die Darlegungs- und Beweispflichten des Bieters bei ungewöhnlich niedrigen Preisen

OLG Schleswig, Beschluss vom 19.07.2023 – 54 Verg 3/23

  1. Kann der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Preisprüfung die geringe Höhe eines angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen.
  2. Die Verwendung des Verbs „dürfen“ ist nicht so zu verstehen, dass es im Belieben des Auftraggebers steht, den Auftrag trotz weiterbestehender Ungereimtheiten doch an den betreffenden Bieter zu vergeben. Die Ablehnung des Zuschlags ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann.
  3. Auf die Aufforderung des Auftraggebers hin hat der Bieter Gelegenheit, den Nachweis der „Seriosität“ seines Angebots zu erbringen. Der Bieter muss konkrete Gründe darlegen, die den Anschein widerlegen, dass sein Angebot nicht seriös ist. Dazu muss er seine Kalkulation und deren Grundlagen erläutern.
  4. Die Erläuterungen des Bieters müssen umfassend, in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie gegebenenfalls durch geeignete Nachweise objektiv überprüfbar sein. Formelhafte, inhaltsleere bzw. abstrakte Erklärungen ohne Bezug zu den einzelnen Positionen, wie etwa allgemeine Hinweise auf innerbetriebliche Strukturen oder wirtschaftliche Parameter, reichen nicht aus, um die Seriosität des Angebots nachzuweisen.
  5. Ohne Ausübung eines Ermessens hat der Auftraggeber ein Angebot abzulehnen, wenn er festgestellt hat, dass der Preis oder die Kosten des Angebots ungewöhnlich niedrig sind.
  6. Was war passiert und wo liegt das Problem?

Mit europaweiter Bekanntmachung hatte der Auftraggeber (AG) im offenen Verfahren den Auftrag zur Schüler*innenbeförderung ausgeschrieben. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftliche Angebot erteilt werden, wobei die Wertung der Angebote zu 50% aus Streckeneffizienz sowie zu 50% aus verschiedenen Preisfaktoren besteht.

Die unterlegene Bieterin rügte die bevorstehende Zuschlagserteilung an den Bestbieter und stellte nach Zurückweisung einen Nachprüfungsantrag bei der VK Schleswig-Holstein. Diesen begründete sie unter anderem damit, dass das Preisangebot des Bestbieters ungewöhnlich niedrig und nicht auskömmlich sei. Die Bestimmungen der Angebotsprüfung nach § 60 VgV seien zudem nicht beachtet worden. Die VK gab dem Nachprüfungsantrag statt, untersagte die Zuschlagserteilung und wies den AG an, das Verfahren in den Stand vor der Prüfung nach § 60 VgV zu versetzen.

Daraufhin teilte der AG der unterlegenden Bieterin mit, dass er die ihm auferlegte Prüfung nach § 60 VgV durchgeführt und die Absicht habe, dem Bestbieter den Zuschlag zu erteilen. Die unterlegende Bieterin rügte dies und stellte nach Zurückweisung erneut einen Nachprüfungsantrag bei der VK Schleswig-Holstein mit der Begründung, dass keine sachgerechte Preisprüfung durchgeführt wurde und der Preis der Beigeladenen zu niedrig sei.

Die VK verwirft den Antrag als offensichtlich unzulässig. Es fehle an der nach § 160 Abs. 2 GWB erforderlichen Antragsbefugnis. Insbesondere sei nicht substantiiert dargelegt, dass die vom AG vorgenommene Angebots- und Auskömmlichkeitsprüfung nicht bzw. nicht ausreichend vorgenommen wurde.  Zudem sei der Antrag auch unbegründet. Zwar bestätigt die VK ein ungewöhnlich niedriges Angebot, jedoch habe der AG laut Schreiben an die unterlegene Bieterin die angeordnete Prüfung nach § 60 VgV durchgeführt. Es bestehe nach § 60 Abs. 3 S. 1 VgV ein Ermessen des Auftraggebers, welche Rechtsfolgen an nicht aufklärbare Angebote zu stellen sind, soweit kein Gesetzesverstoß vorliegt. Ein Ausschluss stelle dabei nur die letzte Möglichkeit dar.

I. Was sagt das OLG Schleswig dazu?

Mit Erfolg! Die Beschlüsse der VK Schleswig-Holstein wurden aufgehoben. Die VK wird verpflichtet, das Nachprüfungsverfahren auf den Nachprüfungsantrag auf Grundlage des Beschlusses erneut durchzuführen.

Kann der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Preisprüfung die geringe Höhe des Preis- oder Kostenangebots nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen. Das Verb „dürfen“ meine nicht, dass der AG insoweit Ermessen hat, dass er den Auftrag trotz vorhandener Ungereimtheiten an den Bieter vergeben kann. Vielmehr sei es grundsätzlich geboten, den Zuschlag abzulehnen, wenn der AG verbleibende Ungewissheiten nach der Prüfung nicht zufriedenstellend aufklären kann. Dem AG werde im Rahmen von § 60 Abs. 3 S. 2 VgV damit ein rechtlich gebundenes Ermessen eingeräumt.

Eine substantiierte Darlegung in Bezug auf die fehlende Seriosität des Preisangebots durch die unterlegene Bieterin sei darüber hinaus nicht möglich gewesen. Mit der Aufforderung des AG habe der Bieter die Gelegenheit, den Nachweis der Seriosität seines Angebots zu erbringen, womit die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast auf ihn übergehe, da nur er über innerbetriebliche und geschäftliche Verhältnisse Auskunft erteilen könne. Der Bieter müsse durch Vorlage konkreter Gründe die Annahme, dass sein Angebot unseriös sei, widerlegen können. Die Erläuterung der Kalkulation und deren Grundlagen müsse dabei umfassend, in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie durch Nachweise objektiv überprüfbar sein. Die Ausführungen gelten dabei ungeachtet der einem Bieter zukommenden Möglichkeit zu einem Preis zu bieten, der ihm lediglich einen Deckungsbeitrag zu seinen Fixkosten verspricht (Unterkostenangebot).

II. Hinweise für die Praxis

Mit diesem Beschluss folgt das OLG Schleswig der Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschl. v. 31.1.2017 – X ZB 10/16 (KG)) sowie Art. 69 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe.

Liegt ein ungewöhnlich niedriges Angebot vor, so muss der Auftraggeber eine ordnungsgemäße Preisprüfung vornehmen und die Plausibilität des Angebots prüfen. Dabei obliegt es dem Bieter, Nachweise in Form von Erläuterungen der Kalkulation und deren Grundlagen schlüssig und nachvollziehbar erbringen. Lässt sich die geringe Höhe nicht zweifelsfrei aufklären, vor allem weil der Bieter im Rahmen seiner Darlegungs- und Beweispflicht keine konkreten Gründe benennen kann, so ist der Auftraggeber insoweit gebunden nach § 60 Abs. 3 S. 2 VgV das Angebot vom Verfahren auszuschließen. Ausgenommen hiervon sind die sogenannten Unterkostenangebote (vgl. auch OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.4.2014 – Verg 41/13, IBRRS 2014, 1347).

Von wesentlicher Bedeutung ist hierbei vor allem, dass der öffentliche Auftraggeber den Prüfvorgang und das Ergebnis seiner Prüfung ordnungsgemäß dokumentiert (Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, VgV § 60 Rn. 19, beck-online). Er hat insbesondere seine Erwägungen darzustellen, warum er im Einzelfall dazu gekommen ist, von der intendierten Ermessensentscheidung abzuweichen (Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, VgV § 60 Rn. 19, beck-online). So vermeidet der Auftraggeber den oben genannten Fall, dass wiederholt Nachprüfungsanträge gestellt und damit das Vergabeverfahren in die Länge gezogen wird.

Der Autor des Gastbeitrags ist Rechtsanwalt Bastian Haverland.

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