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StartVerteidigungRusslands Eroberungskrieg – verhandeln worüber?

Russlands Eroberungskrieg – verhandeln worüber?

In den letzten Tagen vor dem Jahreswechsel gibt es Informationskampagnen in breitem Ausmaß. Russland und die Ukraine organisieren, was man „strategische Kommunikation“ nennen mag. Aber auch in einzelnen Staaten der Allianz gibt es informationelle Strömungen, die auf den Zusammenhalt und die politischen Entscheidungen einwirken können.

Deutsche Medien berichten über Umfrageergebnisse, wonach 55 Prozent der Bevölkerung sich für Verhandlungen mit Russland aussprechen. Damit wird suggeriert, dass diese Stimmung doch von der Bundesregierung zu berücksichtigen sei, zudem weniger als die Hälfte weitere Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützen. Bevor solche Stimmungslagen zu einer Grundlage politischer Entscheidungen herangezogen werden, kommt es darauf an, sich der vereinbarten politischen Zwecke, der militärischen Lage und Zielsetzungen und der dafür erforderlichen Mittel zu vergewissern.

Die Ukraine und die westlichen Staaten (noch geschlossen) bleiben dabei, dass das Selbstverteidigungsrecht des Artikel 51 der VN Charta den politischen Zweck trägt, die territoriale Integrität und Souveränität in den Grenzen von 1991 wiederherzustellen. Das Ziel ist deshalb, das russische Militär und das Besatzungsregime aus den ukrainischen Gebieten zurückzudrängen/werfen. Militärische Operationen im Osten und Süden der Ukraine, Luftverteidigung und (endlich) offensive Luftschläge (counter air) sowie drastische Sanktionen gegen Russland sollen dafür als Mittel eingesetzt werden. Das verlangt stärkere und anhaltend umfassende Unterstützung der Ukraine: politisch, militärisch, finanziell, ökonomisch und dringlich humanitär.

Russland und Putin auf der anderen Seite lassen trotz der aktuellen militärischen Lage ständig weiter verlauten, dass der politische Zweck ihres Angriffskrieges die Überwindung des ukrainischen Staates und Unterjochung seiner Bevölkerung bleibt und dies nur die erste Niederlage gegen den verhassten „liberalen Westen“ darstellt. Dazu sollen die fünf illegal annektierten fünf Oblaste vollständig erobert und der „Raketenhagel“ so lange und so intensiv fortgesetzt werden, um den „Willen des Feindes“ zu bezwingen. Dazu braucht Russland einen Neuansatz der Land-, Luft- und Seestreitkräfte im Osten und Süden, ja ggf. einer neuen Nordfront sowie die Verfügbarkeit von Basen/Schiffen zum Einsatz einer nicht versiegenden Zahl von Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen.

Wenn es das Ziel ist, den Gegner wehrlos zu machen, so muss das von beiden Seiten gedacht werden. Denn „solange ich den Gegner nicht niedergeworfen habe, muss ich fürchten, dass er mich niederwirft. So gibt er mir das Gesetz, wie ich es ihm gebe“. Hier liegt das „zweite Äußerste“.

Will Russland die Ukraine niederwerfen und die Ukraine Russland aus dem Land zurückwerfen und den „Raketenhagel“ stoppen, so müssen beide ihre Anstrengungen an der Widerstandskraft des anderen abmessen. Diese besteht, so Clausewitz, „aus einem Produkt, dessen Faktoren sich nicht trennen lassen, nämlich: die Größe der vorhandenen Mittel und die Stärke der Willenskraft“. Das Letze lässt sich nicht messen, aber an der Stärke des Motivs abschätzen. Aus der geschätzten Wahrscheinlichkeit werden beide jeweils ihre Anstrengungen so groß machen, dass sie überwiegen, mindestens aber so groß wie möglich. Daraus folgt „ein drittes Äußerstes“.

Da weder Russland von seinen völkerrechtswidrigen Zwecken Abstand nimmt, ja, Lawrow sie am 27. Dezember noch einmal mit starken Worten bestätigt hat, und die Ukraine ihre legitimen politischen Zwecke mit Unterstützung des Westens nicht aufgeben kann, ohne ihre Existenz zu gefährden, bleibt für einen politisch gegründeten Weg aus dem Krieg wenig Raum. Allerdings kann es nachrangige, durchaus zweckmäßige Verhandlungen über bedeutende Gegenstände geben. Die Abmachungen für den Getreidetransport und den Gefangenenaustausch sind Beispiele mit erfolgreichen Ergebnissen.

Alle darüber hinaus gehenden politisch-diplomatischen Bemühungen können nur darauf zielen, die Staaten der Weltgemeinschaft zu veranlassen, den politischen Druck auf Russland zu erhöhen, seine illegitimen Besetzungen ukrainischen Territoriums aufzugeben und sich auf seine international anerkannten Grenzen zurückzuziehen.

Wenn nun ein Völkerrechtler schon argumentiert, dass ein militärisches Befreien der Krim durch die Ukraine einen Bruch des Völkerrechts darstellen würde, zeigt sich, wie weit das Denken in Deutschland schon geht, dem Aggressor „Gewinne zuzugestehen“.

Um dem Grundsatz der regelbasierten Ordnung, die Russland als VN-Mitglied und in mehreren Verträgen bestätigt hat, wieder Geltung zu verschaffen, ist auch Vorsicht geboten bei der Forderung nach einem Waffenstillstand. Vielfach wird gesagt, das „Töten muss „aufhören“ und deshalb ist ein Schweigen der Waffen das Wichtigste. Ein solches Verhandeln trägt wieder die Belohnung des Aggressors in sich. Wenn das vermieden werden soll, gilt es, jeden Waffenstillstand mit einigen Bedingungen zu verknüpfen: Erstens darf der Aggressor keine weiteren Truppen in die besetzten Gebiete verlegen, zweitens müssen klare Etappen des Rückzugs der russischen Kräfte hinter die russische Grenze festgelegt werden und drittens müssen staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen wieder für die ukrainische Bevölkerung in den besetzen Gebieten tätig werden. Und alle Punkte sind durch eine UN-Friedenstruppe oder eine OSZE Organisation zu überwachen und ggf. durchzusetzen.

Da zur Zeit wenig Aussicht besteht, dass Russland solche Bedingungen akzeptiert, ist der willensstarke Abwehrkampf der Ukrainer so intensiv und so lange zu unterstützen, bis erstens die Unwahrscheinlichkeit zweitens der zu große Preis des Erfolges in Russland das Motiv zum Frieden schafft.

Der Autor des Gastbeitrags ist Generalleutnant a.D. Dr. Klaus Olshausen.

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